Um den Namen gab es schon Streit, bevor das Kind überhaupt auf die Welt kam. Audi hatte den chinesischen Newcomer Nio verklagt, weil die Bezeichnung ihrer Elektrofahrzeuge einigen Audi-Modellen zum Verwechseln ähnlich war. Da bislang keine Einigung erzielt wurde, taufte Nio sein neues SUV kurzerhand um. Aus ES7 wurde EL7. Doch egal, was am Ende hinten dran steht: Dieser Siebener aus Shanghai könnte Audi & Co. noch ganz andere Probleme bereiten.
Nio EL7 Fahrbericht (2023)
BildergalerieNio: In China schon vertreten
Im Heimatland hat Nio bereits über eine viertel Million E-Fahrzeuge auf der Straße. Ein ähnlicher Erfolg wird in Europa zwar noch etwas dauern, doch die Chinesen haben bei uns bereits ihre Visitenkarte hinterlegt. Der erste Aufschlag mit der Business-Limousine ET7 war - zumindest medial - eine Punktlandung. Autoexperten lobten unisono das Design, wechselten warme Worte mit dem Sprachassistenten Nomi, dem chinesischen Pendant zu Alexa und diskutierten über das mobile Batteriewechsel-System, bei dem in sogenannten Power Swap Stations (PSS) leere gegen volle Akkus in nur fünf Minuten getauscht werden. In Deutschland gibt es bislang magere drei Stationen. Für 2023 verspricht Nio bis zu 120 Akku-Wechsel-Punkte in Europa, vornehmlich entlang der Haupt-Reiserouten. Eine spätere Nutzung durch andere Hersteller wäre denkbar.
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Swappen wir rüber zum Blech. Nach dem ET7 fährt nun also der EL7 vor. Ein stattlicher Premium-SUV, mit geschlossener Front im Tesla-Stil, Nio nennt es Sharknose, darüber schmale LED-Lichtschlitze. Die klaren Seitenlinien unterbrechen keine effekthaschende Sicken, bündig eingelassene Türgriffe springen einladend heraus, wenn der Fahrer sich mit seiner Schlüsselkarte nähert. Oberhalb der Windschutzscheibe sitzen, nicht wirklich elegant platziert, glubschige Sensoren, dahinter erhellt das laut Nio “größte Panorama-Schiebedach der Branche” den Innenraum. Am Ende zieht ein durchgehendes, schmales Leuchtenband (202 LED-Module) das Heck optisch in die Breite.
Mit 4,91 Meter ist der Nio-SUV ein Typ vom Kaliber BMW IX, hat aber mit 570 Litern Fassungsvermögen ein deutlich größeres Gepäckabteil (BMW IX 500 Liter). Daraus werden 658 Liter mit abgesenktem Kofferraumboden und 1545 Liter bei umgelegten Rücksitzlehnen. Zwischen den Achsen streckt sich beim EL7 ein üppiger Radstand von fast drei Metern, der für luftige Platzverhältnisse sorgt. Vorne und hinten.
Nio EC7 und ES8
BildergalerieNio EL7 in Top-Qualität
Was sofort auffällt, ist die Top-Qualität. Lichtjahre entfernt von all den China-Gurken früherer Tage. Und - ja - auch mindestens eine Klasse über Tesla. Was man anfasst, fühlt sich gut an. Nichts knarzt, alles passt. Das muss so sein, wenn du mit den großen Jungs aus gutem Hause spielen willst. Dennoch: An so ein Niveau "made in China"müssen wir uns wohl erst noch gewöhnen.
Alles hier drin sieht stylisch und hochwertig aus. Und alles ist serienmäßig. Nur Sonderlackierungen und größere Räder kosten extra. Nio spricht vom "Second Living Room", dem zweiten Wohnzimmer. Tolle Sitze, elektrisch verstellbar (auch hinten) und mit Massagefunktion. Der Beifahrer-Lounge-Sitz hat eine ausfahrbare Beinauflage, fast wie in der Business-Class kann man sich hier flachlegen. Natürlich ist der Innenraum nachhaltig und vegan. Die Sitzbezüge könnten aus Leder sein, sind aber im Kaffeebohnenschalengerbverfahren hergestellt, die coolen Dekors aus nachwachsendem Rattan.
Bei der Bedienung vertraut Nio wenigen Tasten am Lenkrad und an der Mittelkonsole. Das funktioniert relativ intuitiv und logisch. In der Mitte sitzt ein großes Ipad, auch hier scheint Tesla als Blaupause gedient zu haben.
Nio EL7 technisch quasi wie ET7
Technisch gleicht der EL7 nahezu dem ET7. Heißt: zwei Batteriegrößen, 75 kWh (Lithium-Ionen, Reichweite 390 Kilometer) oder 100 kWh (Nickel-Magnesium, Reichweite 509 Kilometer). Später soll noch ein 150 kWh-Akku mit rund 850 Kilometern Reichweite folgen. Allrad ist immer Standard, dank zweier E-Maschinen, eine an jeder Achse. Die Systemleistung beträgt famose 480 kW/653 PS, das maximale Drehmoment 850 Newtonmeter. Was dem Schwergewicht zu einem Antritt verhilft, der geradezu grotesk anmutet. Die 100 km/h-Marke verspeist der fast 2,4 Tonnen schwere EL7 (im Sportmodus) äußerst lässig in gerade mal 3,9 Sekunden. Noch vor wenigen Jahren feierten wir dafür Supersportwagen.
Der EL7 ist groß und massig und in der City eher ungelenkig. Der Wendekreis beträgt ausufernde 12 Meter Plus. Lässt man ihm vor den Stadttoren freien Lauf, gewinnt er an Format. Und Klasse. Schnelle Kurven nimmt er weitgehend aufrecht und berechenbar, der Lenkung mangelt es noch ein wenig an seriöser Rückmeldung, der Geradeauslauf könnte besser sein. Dank Luftfederung sowie sensibel ansprechender adaptiver Dämpfer reist es sich allerdings äußerst kommod. Selbst mit den riesigen 21-Zoll-Rädern (2.500 Euro extra, 20 Zöller sind Serie). Komfortabstimmung und Geräuschniveau erreichen vielleicht noch nicht ganz das geschliffene Niveau eines Mercedes, BMW oder Audi - weit weg von den Besten der Klasse ist man aber auch nicht.
Vieles will Nio per Software-Upgrade "over the air" noch verfeinern und verweist dabei auf sein Computergenie Adam. Der Zentralrechner brilliert mit einer Rechenleistung von acht Gigabyte pro Sekunde - ausgelegt fürs autonome Fahren von Morgen. Dem Superhirn und seiner digitalen Eingreiftruppe empfehlen wir schon heute: Entspannt euch mal! Denn, wenn etwas wirklich nervt an diesem Wagen, ist es die ewige Bevormundung durch die Elektronik. Einige Assistenzsysteme sind supernervös, greifen zu oft, viel zu früh und dann wenig sensibel ein. Und die kleine Nomi quasselt mit ihrem zuckersüßen Stimmchen ständig dazwischen. Sie lässt einen keine Sekunde aus ihren künstlichen Augen, belehrt einen und warnt vor Gott und der Welt. Nio macht Hoffnung, schließlich besitze das vorlaute Mädel künstliche Intelligenz und lerne ständig dazu.
Gehen wir an die Kasse. Und da ist es nicht nur teuer, sondern auch etwas kompliziert. Den EL7 kriegt man bei Nio im Auto-Abo mit fixer Laufzeit (12 bis 60 Monate) ab 1.300 Euro pro Monat, mit flexibler (1 Monat oder länger) ab 1.700 Euro. Man kann den SUV aber auch für 73.900 Euro kaufen. Allerdings ohne Batterie. Die kostet nochmal extra. 12.000 Euro die kleine, 21.000 Euro die große. Alternativ gibt es Mietoptionen für die Akkus. 169 und 289 Euro im Monat. Eigentlich doch ganz logisch, oder Nomi?