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Schmierstoffe: Anforderungen werden sich ändern

11.07.2022 18:00 Uhr
Schmierstoffe: Anforderungen werden sich ändern
© Foto: Shell

Die Dekarbonisierung im Verkehrssektor schreitet voran. Wie Shell darauf reagiert und wie man sich künftig aufstellen will, erklärt Philipp Martini, Direct Marketing and Technical Manager Europe.

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AH: Herr Martini, wie ist der aktuelle Stand der Versorgung der Autobranche mit Schmierstoffen?

Ph. Martini: Bei Pkw-Motorenölen ist die Situation derzeit gut. Allerdings bleibt die Versorgungslage insgesamt angespannt. Unser Portfolio an Achs- und Getriebeschmierstoffen ist am stärksten betroffen. Jedoch arbeiten wir mit unseren Lieferanten eng zusammen, um die Versorgung in allen Bereichen weitgehend sicherzustellen. Kurzfristige Ausfälle können jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden.

AH: Was sind hier die wesentlichen Einflussfaktoren?

Ph. Martini: Die Nachfrage hat nach der heißen Phase der Pandemie deutlich angezogen. Dies trifft aber auf eine schwierige Lage in den Lieferketten. Derzeit kämpft die gesamte Logistik in Europa und auf der ganzen Welt mit erheblichen Herausforderungen: Verkehrsstaus in den internationalen Häfen, geringere Verfügbarkeit von Lagerflächen oder Logistikdienstleistungen sowie erhöhte Kosten. Dies hat enorme Auswirkungen auf die Rohstoffversorgung und das Liefernetzwerk. Leider sind auch wir bei Shell, trotz aller Bemühungen, davon betroffen. Zudem gab es in den vergangenen Monaten noch ungeplante Wartungsarbeiten bei Lieferanten, was die Situation an fehlenden Basiskomponenten für Additive und die schwierigen Logistikbedingungen noch mal verstärkte. Hinzu kommt eine Disruption in der Logistik, da durch den Ukrainekrieg sowie durch die Covid-Pandemie in großem Ausmaß Fahrer ausfallen, was die Auslieferung von Produkten stellenweise verzögert.

AH: Sind Engpässe im Autohaus- und Werkstattgeschäft zu erwarten?

Ph. Martini: Wir erwarten derzeit für Autohäuser und Werkstätten, die hauptsächlich Pkw warten, keine Engpässe bei der Belieferung mit Shell Motorenölen. Shell Premium Motorenöle basieren auf Gas-To-Liquid (GTL) Grundölen, deren globale Produktionsanlagen und Lieferketten derzeit nicht von den Problemen betroffen sind. Bei anderen Ölen, wie Hydraulik- oder Getriebeölen, wie sie bei landwirtschaftlichen Fahrzeugen eingesetzt werden, haben wir Lieferengpässe gehabt und haben die Planung entsprechend eng mit den Kunden abgestimmt. Daher müssen wir die Lage weiterhin gut beobachten, da man im aktuellen Marktumfeld nicht ausschließen kann, dass es in Zukunft immer wieder mal zu diesen Herausforderungen kommen kann.

AH: Wie entwickeln sich die Preise für Motoröle?

Ph. Martini: Eine Prognose ist angesichts der gegenwärtigen Gemengelage kaum möglich, solange sich die Lage um den Ukrainekrieg sowie die Covid-Pandemie nicht verbessert. Sprich, die marktüblichen Mechanismen sich normalisieren. Dazu zählen die verlässliche Produktverfügbarkeit, ungestörte Lieferketten und ein Angleichen zwischen Angebot und Nachfrage. Trotz aller Bemühungen zeigen die Entwicklungen der vergangenen Monate, dass der gesamte Markt mittlerweile in das zweite Jahr mit extremen Kosten- und Preissteigerungen geht.

Philipp Martini, Direct Marketing and Technical Manager Europe bei Shell
© Foto: Shell

CO2-Fußabdruck

AH: Wie verhält sich ein moderner Schmierstoff in Bezug auf den Kraftstoffverbrauch?

Ph. Martini: Ein moderner Schmierstoff kann den Kraftstoffverbrauch senken und damit die CO2-Emissionen eines Motors. Basierend auf Messungen im M111 Fuel Economy Standardtest emittiert ein Motor, der mit einem Shell Helix Ultra 0W-30 betrieben wird, über ein Ölwechselinterwall von 15.000 Kilometern etwa 1,3 Prozent weniger als ein mit einem Shell Helix Ultra 5W-30 betriebener Motor. Aus dem reduzierten Kraftstoffverbrauch ergibt sich eine Einsparung von 26 kg CO2. Der CO2-Fußabdruck des eingesetzten Öles über seinen gesamten Lebenszyklus beträgt 21 kg und damit weniger als die Einsparung, die sich aus seinem Einsatz ergibt.

Wenn wir in demselben Beispiel ein Shell Helix Ultra 0W-20 einsetzen, dann ist die Einsparung gegenüber dem 5W-30 Öl mit 2,5 Prozent und 54,2 kg CO2 mehr als doppelt so hoch wie mit einem 0W-30 Öl (Basis für die Kalkulation ist Helix Ultra Professional AV-L 0W-20, VW Blue Oil). In anderen Anwendungen, wie z. B. Kompressoren, kann der Effekt noch größer sein. Der Schmierstoff ist eine einfache Möglichkeit, die Emissionen im Betrieb einer Maschine zu senken. Und diese sind enorm: bei durchschnittlichem Verbrauch belaufen sich die Motoremissionen in einem Ölwechselintervall auf über 2.200 kg - dagegen sind die 21 kg CO2-Fußabdruck des Schmierstoffs vernachlässigbar. Deshalb ist das Entwickeln hocheffizienter Schmierstoffe ein wesentlicher Beitrag, den wir kurzfristig zur Dekarbonisierung unserer Kunden leisten können.

AH: Was tut sich künftig bei der Produktentwicklung z. B. bei der Viskosität?

Ph. Martini: Shell investiert weiter in die Entwicklung und Verbesserung von Motorenölen zur Optimierung des Kraftstoffverbrauchs und der damit einhergehenden Reduktion von CO2-Emissionen. 0W-20 Motorenöle sind in der Erstbefüllung heute Standard und dringen langsam in das Endkundengeschäft vor. Wir entwickeln jetzt 0W-12 Motorenöle für die nächste Motorengeneration der deutschen Hersteller und werden hier weiterhin investieren. Wir wollen Technologieführer sein und werden auch in Zukunft hochqualitative Schmierstoffprodukte entwickeln, die dabei helfen können, Verbräuche oder Emissionen zu senken.

AH: Was kann damit erreicht werden?

Ph. Martini: Die Energieeffizienz der Shell-Produkte kann zu einer Reduktion der CO2-Emissionen führen und die Leistungsfähigkeit der Motoren und Maschinen steigern. In Zukunft werden Themen wie der Einsatz von bio-basierten Schmierstoffen und möglicherweise Power-to-Liquid (Ptx) eine Rolle spielen. Darüber hinaus entwickelt Shell sich auch stetig im Bereich der Produktverpackungen und Logistik weiter - Mehrwegfässer, Papierverpackungen und so viel lose Ware wie möglich tragen ebenfalls zu mehr Nachhaltigkeit über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg bei.

AH: Nun setzt sich die Dekarbonisierung im Verkehrssektor fort. Wie wird sich der Bedarf an Schmierstoffen für Verbrenner bis 2030 entwickeln?

Ph. Martini: Die Anzahl der neu zugelassenen Fahrzeuge in Deutschland wird nach dem letzten Rückgang womöglich wieder anziehen. Deshalb sehen wir in den kommenden Jahren eine Nachfrage auf einem vergleichbaren Niveau wie vor der Corona-Krise. Jedoch muss der Anteil alternativer Antriebe weiter ausgebaut werden, wenn wir die Dekarbonisierung im Fahrzeugmarkt weiter vorantreiben und unsere Ziele erreichen wollen. In Zukunft werden sich sicherlich die Anforderungen an Schmierstoffe ändern, aber auch Elektro- oder Wasserstofffahrzeuge benötigen Schmierstoffe. Somit wird es auch weiterhin einen Bedarf im Markt geben, den Shell bedienen wird.

E-Fluids und Ladeinfrastruktur

AH: Was tut Shell, um die rückläufige Nachfrage zu kompensieren?

Ph. Martini: Einerseits investieren wir weiter in klassische Produkte für den Automobilmarkt, die weiter benötigt werden. Andererseits wollen wir mit Blick auf die Energiewende auch in einem von Elektrofahrzeugen dominierten Fahrzeugmarkt eine Rolle spielen. Deshalb entwickeln wir speziell für Elektrofahrzeuge eine neue Produktlinie von "E-Fluids": Kühlflüssigkeiten für Elektromotoren, Schmierstoffe für Hybridfahrzeuge und Fette für alle beweglichen Teile im Auto. Und auch außerhalb des Schmierstoffbereichs ist Shell aktiv. Dafür haben wir schon vor einigen Jahren in den Aufbau des größten Ladesäulennetzwerks Europas investiert, das unter dem Namen Shell Recharge Ladeinfrastruktur für zuhause, bei der Arbeit oder unterwegs anbietet. Zudem gibt es noch viele weitere Investitionen in unsere Anlagen und nachhaltige Lösungen, wie Solar- und Windenergie sowie grüner Wasserstoff. Da auch eine regenerative Energiezukunft bewegliche Teile haben wird und Kühlflüssigkeiten braucht, ist klar, dass Schmierstoffprodukte weiter gebraucht und entwickelt werden. Shells Schmierstoffe für Windkraftanlagen oder sogenannte Emersion Cooling Fluids zur Kühlung von IT-Servern sind da nur zwei Beispiele.

AH: Wie soll das Autohaus seine schwindenden Erträge aus dem Ölgeschäft ausgleichen?

Ph. Martini: In einem zunehmend elektrifizierten Automarkt ist es wichtig, dass Autohäuser sich die Nutzung von Spezialequipment sowie das nötige Know-how aneignen, um Wartung und Service an Elektro- und Wasserstofffahrzeugen durchführen zu können. Die neuen Wertschöpfungsketten werden zunehmend komplexer und auch Händler sollten, ähnlich wie Shell, überlegen, wie sie beispielsweise Teil der Lade-Wertschöpfungskette werden können.

AH: Wann wird im Autohaus das letzte Fass Öl angezapft?

Ph. Martini: Das ist schwer vorherzusagen, weil viele Faktoren eine Rolle spielen, aber ein mögliches Szenario: Im Moment sieht es so aus, als könnten sich Industrie und Politik auf ein Enddatum für den Verkauf von Verbrennern im Jahr 2035 einigen. Auch Shell unterstützt diese Ambitionen. Die Bundesregierung will bis 2030 zehn Millionen Elektrofahrzeuge im Markt haben, was in Anbetracht der bisherigen Geschwindigkeit ein ambitioniertes Ziel ist. Selbst wenn es bis 2035 rund 15 Millionen Elektrofahrzeuge in Deutschland geben sollte, wären dann immer noch deutlich über 30 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor im Markt. Bei einem durchschnittlichen Alter von zehn Jahren wären bis 2045 die Hälfte davon stillgelegt. Im markengebundenen Handel wäre wahrscheinlich nach vier bis fünf Jahre nach dem Ende der neuen Verbrenner Schluss, bei den freien Werkstätten erst sehr viel später.

AH: Welche Produkte bietet Shell künftig für BEV im Aftersales-Geschäft?

Ph. Martini: Shell setzt auf das E-Fluid-Portfolio. Das werden wir auch für den Aftersales verfügbar machen. Zurzeit sind diese Produkte bereits bei unterschiedlichen Herstellern in der Erstbefüllung im Einsatz. Der Aftermarket muss sich allerdings erst noch entwickeln.

AH: Vielen Dank für das Gespräch!

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