Das Institut für Automobilwirtschaft (IfA) hat Stellung zum von der Bundesregierung verabschiedeten 130-Milliarden-Konjunkturpaket genommen. Die Entscheidungsträger seien mit dem vorgelegten Maßnahmenpaket wohl den Kritikern von Kaufprämien gefolgt, heißt es in einer Mitteilung. Entgegen der massiven Kritik und der häufig tendenziös geführten Diskussion gelangten Analysten am Institut für Automobilwirtschaft zu der Erkenntnis, dass Kaufprämien nicht nur ratsam, "sondern überlebenswichtig für den führenden Industriezweig in Deutschland" seien.
Kaufprämien für Automobile würden häufig mit Vorzieheffekten und Negativeffekten auf andere Wirtschaftszweige in Verbindung gebracht. Hinzu komme Kritik von Umweltverbänden, denn sie sähen die notwendige Energie- und Mobilitätswende in Gefahr. Häufig bemühten Kritiker dabei Vergleiche mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 sowie der damaligen Abwrackprämie - und wendeten sich auf dieser Basis gegen Kaufprämien.
Zwar sei dieser Vergleich mit der aktuellen Situation nur bedingt aussagekräftig, dennoch ließen sich folgende Erkenntnisse aus der Vergangenheit ableiten:
- Beschäftigungseffekte in Deutschland: Das Statistische Bundesamt habe nach dem Inländerkonzept für das Jahr 2008 rund 40,8 Millionen, für 2009 knapp 40,9 Millionen sowie für 2010 etwa 41,0 Millionen Erwerbstätige in Deutschland ausgewiesen. Die Maßnahmen der beiden Konjunkturpakete dürften laut IfA in dieser Zeit zunächst für eine Stabilisierung gesorgt, sowie daran anschließend die Basis für einen stetigen Anstieg der Beschäftigung in Deutschland gelegt haben.
- Einfluss auf die Beschäftigungssituation in der deutschen Automobilindustrie: Aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise sei die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Automobilindustrie von 749.000 im Jahresmittel 2008 auf 702.000 im Jahr 2010 zurückgegangen. Die Umweltprämie habe sich in der Folge als stabilisierend erwiesen, denn die Beschäftigung habe ab 2011 kontinuierlich zulegen können, sodass der Verband der Automobilindustrie (VDA) 2018 und 2019 im Mittel 834.000 bzw. 833.000 Mitarbeiter habe ausweisen können.
- Nachfrageseitige Vorzieh- und Mitnahmeeffekte: Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) habe im Zeitraum von 2000 und 2008 durchschnittlich 3,3 Millionen Neuzulassungen von Pkw ausgewiesen. Befeuert durch die Umweltprämie habe der Neuwagenabsatz dann im Jahr 2009 auf 3,8 Millionen Pkw zugelegt. Vorzieh- und Mitnahmeeffekte dürften nach Angaben des IfA maßgeblich diesen Anstieg bewirkt haben. Allerdings habe die Neuwagennachfrage – nach einem Rückgang auf 2,92 Millionen neue Pkw im Jahr 2010 – bereits ab 2011 (3,17 Millionen Pkw) wieder über dem Niveau von 2008 (3,09 Millionen Pkw) gelegen. Auf der Basis dieser Ausnahmejahre 2009 und 2010 habe sich die Nachfrage allerdings im nachfolgenden Zeitraum von 2011 bis 2019 bei einem Mittelwert von rund 3,25 Millionen Neuzulassungen stabilisieren können – also in etwa auf dem Durchschnittsniveau des Zeitraums von 2000 bis 2008.
- Einflussnahme auf Fahrzeugimporte: Die deutsche Automobilindustrie habe von der Umweltprämie profitiert, denn die deutschen Fabrikate hätten ihren Absatz im Jahr 2009 gegenüber 2007 um knapp zwölf Prozent steigern können. Der Marktanteil der Importfabrikate habe 2009 mit 40,6 Prozent um 4,7 Prozentpunkte höher als 2007 gelegen. Dieser Marktanteil sei allerdings nur geringfügig höher als im Jahr 2019 (39,5 Prozent) gewesen. Zu berücksichtigen ist laut IfA, dass die international agierenden Zuliefererunternehmen in Deutschland sowie die hierzulande ansässigen Vertriebsorganisationen und Händlerunternehmen ebenfalls vom zusätzlichen Absatz von Importfabrikaten profitiert hätten.
Die Rolle der Konjunkturpakete I und II während der Krisenjahre 2008 und 2009 hinsichtlich einer nachhaltig positiven Einflussnahme auf die konjunkturelle Performance lasse sich in letzter Konsequenz nicht vollumfänglich nachweisen – dies gelte auch für die Abwrackprämie bzw. deren Einfluss auf die Beschäftigung in der Automobilwirtschaft, heißt es. Dafür seien die binnen- und außenwirtschaftlichen Zusammenhänge relevanter Einflussfaktoren zu umfangreich und komplex. "Dennoch dürften die staatlichen Maßnahmen für eine Stabilisierung der akuten Situation während der Ausnahmejahre gesorgt sowie die Basis für den gesamtwirtschaftlichen Aufschwung in den Folgejahren geschaffen haben", so Professor Stefan Reindl, der die Untersuchungen am Institut für Automobilwirtschaft leitet.
Angesichts der aktuell prekären Situation seien staatliche Anreize in Form von Konjunkturpaketen und weiteren staatlichen Unterstützungsmaßnahmen dringend erforderlich, um die Wirtschaft zunächst zu stabilisieren und anschließend einen nachgelagerten Aufschwung zu initiieren. Dies gilt insbesondere für die Automobilwirtschaft, weshalb das IfA aus folgenden Gründen nach wie vor Kaufprämien für Neufahrzeuge einfordert:
- Beschäftigungseffekte durch weit verzweigte Werkschöpfungsstrukturen: Bei Berücksichtigung so genannter Input-Output-Effekte dürften laut IfA im vergangenen Jahr 2019 bundesweit rund 1,83 Millionen Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Automobilproduktion abhängig gewesen sein. Durch die Verbund- und Verkettungseffekte würden demnach durch Kaufprämien für Neufahrzeuge die Unternehmen und deren Beschäftigte auf unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen, in verschiedenen Branchenzweigen sowie – neben den Industrieunternehmen – eine Vielzahl an klein- und mittelständischen Betrieben erreicht.
- Absicherung der Wirtschaftskraft: Die Automobilwirtschaft sei die umsatz- und exportstärkste Branche Deutschlands. Allein die Industrieunternehmen der Automobilwirtschaft erwirtschaften 2019 einen Gesamtumsatz von 436 Milliarden Euro, davon 283 Milliarden Euro im Ausland. Die Branchenunternehmen seien maßgeblich für das Wohlstandsniveau in Deutschland verantwortlich, dessen Absicherung eine finanzielle Absicherung in Krisenzeiten erfordere.
- Stabilisierung und Stärkung der Wettbewerbsposition: Insbesondere Automobilhersteller und -zulieferer seien bei ihren Marktaktivitäten dem globalen Wettbewerb ausgesetzt. Angesichts des Transformationsprozesses mehr denn je. Das Hauptaugenmerk bei staatlichen Maßnahmen bezüglich einer finanziellen Unterstützung sei demnach auf die Absicherung und den Ausbau der Wettbewerbssituation zu richten. Um alle weitverzweigten Wertschöpfungsstufen zu erreichen, eigneten sich gerade Kaufprämien für Fahrzeuge.
- Ökologische Effekte: Untersuchungen am Institut für Automobilwirtschaft zeigten, dass sich gerade mit Fahrzeugen der neueren Generation, die den Euro-6d-TEMP oder den Euro-6d-Vorschriften genügen, in einem überschaubaren Zeitraum zumindest bei den Luftschadstoffen die aktuell geltenden EU-Grenzwerte nachhaltig unterschreiten ließen. Eine spürbare Reduktion des C02-Klimagases lasse sich wohl aktuell noch nicht durch den verstärkten Einsatz von batterieelektrischen Fahrzeugen erreichen, denn es seien auf Basis der Fertigung von Fahrzeugbatterien Zusatzmengen mit bis zu 106 Kilogramm pro KWh in die Berechnungen einzubeziehen – soweit die Analyseergebnisse des schwedischen Umweltforschungsinstituts IVL. Im ungünstigen Fall liege damit der CO2-Ausstoß von batterieelektrischen Fahrzeugen oder Hybridfahrzeugen über dem von Verbrenner-Fahrzeugen. Angesichts der aktuell stark eingeschränkten Angebotssituation sowie wegen der Kaufzurückhaltung, die nicht zuletzt auf die eingeschränkte Reichweite und die unzureichende Ladeinfrastruktur zurückzuführen sei, sei hinsichtlich der erhöhten Kaufprämie für E-Autos nicht von einem nachhaltigen Impuls auszugehen.
- Einflussnahme auf andere Branchen und Wirtschaftssektoren: Die häufig kritisierte Fokussierung der Autokaufprämien auf einen Industriezweig lasse sich einerseits nicht wegdiskutieren. Andererseits liefere gerade dieser Fokus konkrete Ansatzpunkte zur gezielten Steuerung der eingesetzten öffentlichen Mittel mit Impulswirkung. Nur durch hohe Prämienbeträge entstünden nachvollziehbare und transparente Kaufvorteile, die dann gezielt die Nachfrage in Krisenzeiten stimulierten. Außerdem müssten die Käufer zusätzliche, eigene Finanzmittel einsetzen, um ein Neufahrzeug zu erwerben, wodurch sich nicht zuletzt Steuereinnahmen generieren ließen. Nicht berücksichtigt werde bei der Kritik an Kaufprämien zudem, dass Mitarbeiter der Automobilindustrie häufig zu den "Besserverdienern" zählten. Bei vorhandener Ausgabebereitschaft bestehe zumindest auf diesem Weg die Option, die Nachfrage in anderen Branchen positiv zu beeinflussen.
"Zusammenfassend hat die Bundesregierung mit dem Konjunkturpaket die Chance verwirkt, schnell und unmittelbar wirtschaftliche Impulse zu setzen", resümiert IfA-Chef Prof. Stefan Reindl. Bundesminister Olaf Scholz wolle zwar "mit Wumms aus der Krise kommen". Dies werde aber zumindest mit dem ausgerufenen Maßnahmenpaket nicht gelingen. Im Mittelpunkt stehe dabei die zeitlich auf sechs Monate befristete Senkung der Mehrwertsteuer ab 1. Juli 2020. Die Maßnahme lasse sich zwar schnell umsetzen – ob sie jedoch unmittelbar eine Stimulierung des Konsums bewirken könne, sei zweifelhaft.
Dies liege einerseits daran, dass die Preisvorteile in vielen Konsumbereichen kaum wahrnehmbar seien. Andererseits würden viele Anbieter die Mehrwertsteuersenkung nicht oder nicht vollumfänglich an Verbraucher weitergeben. Und sollte die Maßnahme wider Erwarten erfolgreich sein, komme es wohl zu Vorzieh- und Mitnahmeeffekten, die sich zeitlich versetzt in einer zurückhaltenden Nachfrage äußern würden. "Die Bundesregierung trägt mit der Absage hinsichtlich einer Kaufprämie außerdem dazu bei, dass die Wettbewerbsposition der deutschen Automobilwirtschaft negativ beeinflusst wird. Dies wird unseren Wirtschaftsstandort langfristig schwächen", ergänzt Prof. Reindl. Eine Kaufprämie ließe sich zudem gestaffelt nach Fahrzeugkonzepten oder nach Emissionswerten gestalten, wodurch auch eine Steuerung der Umweltverträglichkeit möglich wäre. (ah)
Uwe Schneider
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