Volkswagen hat nach der Ausweitung des Abgas-Skandals betont, dass die Unregelmäßigkeiten bei CO2- und Verbrauchsangaben nicht durch technische Hilfsmittel verursacht wurden. "Es geht um Werte, die einfach zu niedrig angegeben wurden", sagte ein Konzernsprecher am Mittwochabend in Wolfsburg. Unter den betroffenen Autos seien viele Modelle mit dem Label "BlueMotion", mit Volkswagen Fahrzeuge als besonders schadstoffarm vermarktet.
VW hatte am Dienstag eingeräumt, dass es auch bei Verbrauchs- und CO2-Werten Unregelmäßigkeiten gibt, davon sind nach derzeitigem Stand rund 800.000 Autos ab Baujahr 2012 betroffen. Bisher hatte VW keine konkreten Angaben dazu gemacht, ob die Abweichungen technisch erreicht wurden oder eine andere Ursache hatten.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat bereits neue Untersuchungen angekündigt. In der Behörde laufe eine entsprechende Vorprüfung auf mögliche Straftatbestände, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag. Im Raum stünden dabei zunächst sowohl Betrug als auch unlauterer Wettbewerb als denkbare Delikte. Mit der Vorprüfung droht dem VW-Konzern auch eine strafrechtliche Ausweitung des Abgas-Skandals, bei dem die Staatsanwaltschaft schon wegen der Software-Manipulationen an Dieselfahrzeugen ermittelt. Sollten sich die Hinweise konkretisieren, sei davon auszugehen, dass die beiden Themen - Software-Manipulation und CO2-Zertifizierung - in getrennten Verfahren weiterlaufen, sagte der Behördensprecher.
Der Branchenverband VDA warnte angesichts der erneuten Ausweitung des VW-Skandals vor einer Verurteilung der gesamten Autoindustrie. "Es besteht kein Anlass, die ganze Branche unter Generalverdacht zu stellen", sagte Verbandspräsident Matthias Wissmann. Aus Sicht des VDA deute die Affäre bei VW nicht auf ein generelles Diesel- oder Benzinproblem. Beide Antriebe seien in den vergangenen Jahren sparsamer geworden, weitere Effizienzgewinne seien zu erwarten, betonte der VDA in Berlin. Als Brückentechnologie würden die modernsten und effizientesten Verbrennungsmotoren noch viele Jahre gebraucht. VW arbeite selbst an einer vollständigen Aufklärung.
VW-Betriebsratsboss Bernd Osterloh verlangt mehr Planungssicherheit vom Vorstand. "Wir haben über Investitionen, Werksauslastungen und Modellpolitik zu sprechen. Die Beschäftigten und die Investoren müssen wissen, woran sie bei Volkswagen sind", sagte der einflussreiche Arbeitnehmervertreter am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. "Der Vorstand muss Vertrauen von unseren Kunden, aber auch in den Belegschaften unserer Werke und Marken zurück gewinnen." VW hatte am Dienstag eingeräumt, auch Verbrauchs- und CO2-Abgaswerte geschönt zu haben. Damit weitere sich die seit Wochen schwelende Affäre um Manipulationen bei Stickoxiden aus. Gleichzeitig lobte Osterloh Konzernchef Matthias Müller für seine Arbeit. "Es versteht sich von selbst, dass jetzt alles auf den Tisch muss." Das trieben auch die Arbeitnehmervertreter weiter voran.
Mehr Zeit für Stellungnahmen zu Schadensersatzklagen
Volkswagen versucht unterdessen bei der zivilrechtlichen Aufarbeitung Zeit zu gewinnen. Der Konzern habe für Stellungnahmen zu drei Schadensersatz-Verfahren um sechs Monate mehr Zeit gebeten, sagte ein Sprecher des Landgerichts Braunschweig am Donnerstag. "Das ist ungewöhnlich lang." VW begründete sein Anliegen mit der Komplexität der Verfahren. Die Fristen laufen eigentlich nach Gerichtsangaben im November ab. Das Landgericht habe kürzlich in mindestens einem Fall Aufschub bis Januar gewährt, sagte der Sprecher. Bevor es zu weiteren Verlängerungen kommt, würden dazu die Kläger befragt.
Bislang seien beim Landgericht rund zehn Schadensersatzklagen eingegangen, denen allen ein Antrag auf ein sogenanntes Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz beiliegt. Solche Verfahren sollen die Klagen von Anlegern bündeln. Der Streitwert der einzelnen Klagen geht nach Gerichtsangaben "von wenigen Tausend Euro bis zu deutlich über hunderttausend Euro".
Neuzulassungen in Großbritannien fallen um fast zehn Prozent
Unterdessen hat Volkswagen im Oktober in Großbritannien fast zehn Prozent weniger Autos seiner Kernmarke auf die Straßen gebracht. Die Erstzulassungen von VW-Pkw sanken im Vergleich zum Vorjahresmonat um 9,8 Prozent, teilte der britische Branchenverband SMMT am Donnerstag mit. Allerdings fiel auch die Gesamtzahl der neu zugelassenen Autos in dem Land um 1,1 Prozent - zum ersten Mal seit 43 Monaten. Kunden der Marke Skoda, die ebenfalls zum VW-Konzern gehört, meldeten drei Prozent weniger Autos an. Bei Seat betrug das Minus 32,2 Prozent. Die VW-Tochter Audi legte dagegen um 2,2 Prozent zu.
Oft müssen Autokäufer in Großbritannien wie auch in Deutschland Wochen oder sogar Monate auf ihre Fahrzeuge warten, wenn diese nach ihren Wünschen ausgestattet werden. Verzögert könnte die Entwicklung der Neuzulassungen aber auch schon erste mögliche Folgen des VW-Abgas-Skandals widerspiegeln. Insgesamt leidet die Nachfrage nach eigener Einschätzung von Volkswagen noch nicht unter der Affäre. Der Großbritannien-Chef von VW, Paul Willis, hatte im Oktober im Unterhaus in London "ehrlich und uneingeschränkt» um Verzeihung für die Manipulationen bei Stickoxid-Werten von Dieselmotoren gebeten: "Wir werden alles Notwendige tun, um Vertrauen zurückzugewinnen."
Beunruhigung im Spanien
Die Ausweitung des Abgas-Skandals bei Volkswagen sorgt auch in Spanien für große Aufregung. Der Konsumentenverband OCU forderte am Mittwoch das Industrieministerium in Madrid dazu auf, eine "offizielle und dringende Untersuchung über das Ausmaß des Betruges" aufzunehmen. Man schließe eigene rechtliche Schritte gegen den deutschen Automobilhersteller wie Beantragung von Schadenersatz und Sanktionen nicht aus, so die Organisation weiter. Eine Antwort des Ministeriums lag zunächst nicht vor.
Die Nachrichten aus Deutschland beunruhigten unterdessen vor allem die Mitarbeiter des Werks der VW-Tochter Seat in Martorell bei Barcelona, wie der Betriebsratsvorsitzender Matías Carnero der Nachrichtenagentur efe sagte. Bereits Ende Oktober hatte der nationale Gerichtshof im Skandal um manipulierte Abgaswerte Ermittlungen gegen VW eingeleitet. Es geht dabei unter anderem um Subventionsbetrug und Verstoß gegen Umweltgesetze. Die Wolfsburger müssen einen Vertreter ernennen, der bis zum 10. November beim Richter in Madrid vorstellig werden muss. (dpa)
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