Der VW-Konzern sieht im Abgas-Skandal bisher weiter keine Anzeichen für eine mögliche Mitschuld auf Vorstandsebene. Bei der Hauptversammlung Ende Juni soll daher der komplette Vorstand für das Geschäftsjahr 2015 entlastet werden, wie Volkswagen am Mittwoch in Wolfsburg mitteilte. Aufsichtsrat und Vorstand betonten aber, dass der Vorschlag unter dem Vorbehalt stehe, dass die weiter laufende Untersuchung bis zum Aktionärstreffen am 22. Juni nichts Belastendes zutage fördere. Mögliche Schadenersatz-Ansprüche blieben erhalten.
"Grundlage dieser Empfehlung sind die derzeit vorliegenden Informationen aus der umfassenden, wenngleich noch nicht abgeschlossenen Untersuchung der US-amerikanischen Kanzlei Jones Day zur Diesel-Thematik", hieß es in der Mitteilung. Der VW-Aufsichtsrat habe prüfen lassen, ob nach derzeitigem Kenntnisstand "eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzungen von aktuellen oder ehemaligen Vorstandsmitgliedern festzustellen sind".
Der Mitteilung war eine Aufsichtsratssitzung vorausgegangen, bei der die Kontrolleure bis zum späten Dienstagabend "intensiv" um eine Lösung gerungen hätten, hieß es aus ihrem Umfeld. An diesem Donnerstag erfolgt die Einladung für das Aktionärstreffen.
Entlastung sorgt für Brisanz
Auf der Tagesordnung für Hauptversammlungen steht stets der Punkt Entlastung. Im Diesel-Debakel hat er aber plötzlich große Brisanz. Der ehemalige Konzernchef Martin Winterkorn war im Strudel der Affäre im September 2015 zurückgetreten, beteuerte aber seine Unschuld. Der frühere Finanzvorstand und Winterkorn-Vertraute Hans Dieter Pötsch wechselte an die Spitze des Aufsichtsrates, was Kritik auslöste. Unter anderem ist es umstritten, ob Pötsch in seiner alten Funktion rechtzeitig die Finanzwelt über die Abgas-Affäre informierte.
Einkaufsvorstand Francisco Javier Garcia Sanz, der schon Jahre vor dem Einbau der Betrugs-Software in die Topmanager-Riege aufstieg, bekam die Aufarbeitung des Diesel-Skandals zugewiesen – und damit eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen mit den USA, dem Ursprungsland der Affäre. Auch Winterkorn-Nachfolger Matthias Müller, Audi-Chef Rupert Stadler und China-Vorstand Jochem Heizmann saßen schon vor dem Auffliegen des Skandals im Konzernvorstand.
Die Entlastungsfrage war daher mit Spannung erwartet worden. Eine Alternative zum nun erfolgten Vorschlag hätte es sein können, die Entlastung zu verschieben, um die Aufarbeitung weiter abzuwarten.
"Nichts verschleppt oder vertuscht"
Generell passt der Vorschlag als Vertrauensbeweis aber ins Bild, das der Konzern bisher abgab. Bereits in einer Erwiderung auf klagende Anleger und in diversen öffentlichen Erklärungen hat Volkswagen stets betont, dass frühere Vorstandsmitglieder erst sehr spät – nämlich im Frühling 2015 – erste Indizien gesehen hätten. Demnach verdichteten sich ab Mai 2015 auch auf der Führungsebene Hinweise darauf, "dass es zum Einsatz einer gegen US-Recht verstoßenden Software gekommen sein könnte". Auch im weiteren Verlauf sei im Vorstand nichts verschleppt, verschleiert oder gar gezielt vertuscht worden. (dpa)
Hermann