Kraftfahrzeuggewerbe: "Wir brauchen Kostenersatz"

Volkswagen will gemeinsam mit dem Institut für Automobilwirtschaft (IFA) nach innovativen Ideen für den Autovertrieb der Zukunft suchen. Ziel des "Future Retail Lab" ist die Entwicklung wegweisender Vertriebsstrategien und -konzepte für die Automobilbranche und deren Implementierung in die Praxis. Überlegungen dazu von Ernst-Robert Nouvertné, Vorstandsmitglied des Zentralverbands Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK). AH: Herr Nouvertné, schon früh haben Sie sich in die Diskussion um den Automobilvertrieb der Zukunft eingemischt. Wie sehen Sie das heute? E. Nouvertné: Ein Vertreter des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes sollte unbedingt am "Future Retail Lab" beteiligt werden, um die Interessen der Händler dort zu wahren. Da Volkswagen in Deutschland der Marktführer ist, können wir davon ausgehen, dass die Überlegungen der Wolfsburger in der Branche Nachahmer finden werden. AH: Sonst hören wir immer, dass die Fabrikatsvertreter nicht wollen, dass bestimmte Themen übergreifend geregelt werden. Sie wollen das in den "Familiengesprächen" tun. E. Nouvertné: Wenn wir beim Thema "neues Geschäftsmodell" so etwas hätten bewegen können, hätte das in den zehn Jahren, in denen ich jetzt schon im ZDK-Vorstand bin, passieren können. Aber wir haben bisher in Sachen Geschäftsmodell, vom Restmargenmodell bis jetzt zum Agenturgeschäft, von den Herstellern und Importeuren relativ wenig Resonanz bekommen. Das muss man deutlich sagen. Ich glaube nicht, dass man alle an einen Tisch holen muss. Man muss etwas auf die Beine stellen, was funktioniert. Dann wird das automatisch in andere Bereiche transportiert. Bisherige Ansätze zu theoretisch AH: Warum hat das in den letzten Jahren nicht funktioniert? E. Nouvertné: Ich bin der Meinung, das ist alles zu theoretisch und zu wenig praxisbezogen. Der Bezug zu den Betrieben fehlt. AH: Ein Präsident eines Händlerverbandes hat kürzlich gesagt: Rechnen können wir selber. Wir brauchen jemanden, der die daraus resultierenden Forderungen durchsetzt. E. Nouvertné: So ist es. Normalerweise müsste man Arbeitskreise oder Ausschüsse haben, in denen man auf das Know-how starker Betriebe, die im jeweils besprochenen Bereich erfolgreich sind, zurückgreifen kann. Dann wäre man nah am Handel. AH: In welche Richtung sollten die Überlegungen des "Future Lab" gehen? E. Nouvertné: Das ist die ganz große Frage. Ursprünglich habe ich die These von Robert Rademacher vertreten, die Hersteller müssen die Hoheit haben über die Internetportale und die Händler hängen sich dran, um ein vernünftiges Preisgefüge zu bekommen. Der Zug ist abgefahren, weil es schon eine ganze Reihe Betriebe gibt, die sehr gut im Internet unterwegs sind. Warum sollten die einen Schritt rückwärts machen? Wir müssen andere Wege gehen. Wir brauchen Kostenersatz für unsere Aufwendungen oder es müssen extra Margenbestandteile dafür ausgewiesen werden. Aufwendungen heißt Immobilie, Schauraum, Erlebniswelt, teures Personal, Vorführwagen, aber auch alle anderen Standards. Diese Aufwendungen sind mittlerweile sehr hoch. Zum Beispiel: Wenn ich einen R8 Vorführwagen zulasse, sind bei dessen Vermarktung 25.000 Euro weg. Wenn ich einen A 6 Vorführwagen zulasse und ein halbes Jahr fahre, sind 5.000 bis 6.000 Euro weg. Das sind Kosten, bei denen ich der Meinung bin, wenn ein Hersteller das von seinen Händlern verlangt, muss er das auch bezahlen. Lokale Geschäfte haben die höchste Kundenzufriedenheit AH: Und wie lautet Ihr Vorschlag? E. Nouvertné: Mein Vorschlag ist: Wenn ich ein Fahrzeug an einen Kunden verkaufe, dem ich vor einiger Zeit schon einmal ein Auto verkauft habe, oder an einen, den ich regelmäßig in der Wartung habe, dann muss ich dafür eine deutlich höhere Marge erhalten als für einen, der durchreist. Das wäre auch von Vorteil für die Hersteller. Es ist bewiesen, dass alle Streckengeschäfte, das heißt Verkäufe außerhalb des eigentlichen Marktgebiets, einmalige Geschäfte sind und der Kontakt zum Kunden danach abreißt. Wenn dieser Kunde eine Reklamation oder eine Nachforderung hat, dann habe ich keine Veranlassung, finanziell nochmals etwas hinterherzuwerfen. Denn wenn dieser Kunde sich das nächste Mal ein Auto kauft, ist zu erwarten, dass er wieder im Streckengeschäft, wieder beim Billigsten kauft. Wenn aber ein Kunde mit einer Reklamation kommt, der schon seinen dritten oder vierten Audi bei mir gekauft hat, der auch den fünften kaufen will, dem würde ich eine ganz andere Kulanz entgegenbringen. Es gibt bei allen Herstellern Untersuchungen, dass Fahrzeuge, die über Internetportale gekauft werden, eine deutlich geringere Kundenzufriedenheit haben als diejenigen, die bei den örtlichen Händlern gekauft werden. Und das kann der Hersteller, wenn er es will, über Marge stützen. Stammkundenbonus muss höher sein AH: Bei Volkswagen gibt es diesen Stammkundenbonus. E. Nouvertné: Ja, er liegt bei knapp unter zwei Prozent. Das müssten mindestens fünf Prozent sein, damit es sich lohnt. Damit würde man a) dem Handel die Möglichkeit geben, im Neuwagengeschäft Geld zu verdienen, b) würde die Kundenzufriedenheit signifikant gesteigert. AH: Sie haben vor einiger Zeit schon den Vorschlag gemacht, dass der Händler für die Dienste, die er leistet, auch entlohnt werden sollte. E. Nouvertné: Ja. Wenn ich einen A 6 Vorführwagen herausgebe, kostet das Geld. Wenn mein zertifizierter Verkäufer einen Kunden zwei oder drei Stunden berät, kostet das Geld. Wenn derjenige dann den Neuwagen mit immens hohem Nachlass woanders kauft, dann haben wir die Vorarbeit gemacht und jemand anders macht den Abschluss. Da ist es mehr als gerecht, dass es dafür auch einen Kostenersatz gibt. AH: Wie könnte das abgewickelt werden? E. Nouvertné: Unser Dealer Management System gibt das her. Aufgrund der Datenschutzregelung können wir kein Angebot abgeben, ohne vom Kunden die Datenschutzerklärung bekommen zu haben. Denn die Daten gehen zum Hersteller. Das heißt, die Hersteller wissen, mit wem wir Kontakt gehabt haben, wen wir beraten haben, wer eine Probefahrt gemacht hat usw. Das ist alles im "Profiler" beim Hersteller hinterlegt. AH: Was halten Sie vom Präsenzhandelsbonus von Ford? E. Nouvertné: Das ist eine andere Strategie als der Stammkundenbonus - aber auch ein sehr, sehr guter Ansatz. Das Thema Anonymität ist damit weg. Es gibt aber noch einige Lücken und Mängel, die beseitigt werden müssen. So ein neues System ist ja nie perfekt. Aber es verhindert auch die totale Schleuderei im Netz bei Neuwagen. Ford hat dabei weit gedacht, denn es wurden auch Filialen und Vertragswerkstätten berücksichtigt. Kleine Marken brauchen andere Konzepte AH: Das heißt, Sie sehen auch kein Problem, für unterschiedliche Marken unterschiedliche Lösungen zu finden? E. Nouvertné: Nein. Ein einheitliches System werden wir ohnehin nicht haben, weil die Marken auch ganz unterschiedlich aufgestellt sind. Audi ist ganz anders aufgestellt als Kia, Volkswagen anders als Hyundai. Man kann vielleicht Gruppen zusammenfassen, wie zum Beispiel die deutschen Volumenmarken. Marken mit geringeren Marktanteilen brauchen wahrscheinlich andere Konzepte. Da müssen die Hersteller den Händlern helfen über die Runden zu kommen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es zwei oder drei Systeme geben wird, die nebeneinander laufen, die davon abhängen, wie die Marke auf dem deutschen Markt vertreten ist. AH: Also mit dem Verband der Hersteller, dem VDA, muss über eine Variante verhandelt werden, mit dem Verband der Importeure, dem VDIK, über eine andere? E. Nouvertné: Genau. AH: Wie stehen Sie zum Agenturmodell? E. Nouvertné: Marken mit kleinen Marktanteilen, also deutlich unter fünf Prozent, könnte das Agenturmodell helfen, die Schleuderei zu beenden. Bei den Marken des Volkswagen-Konzerns halte ich das für undurchführbar, weil wir immer noch in einem extremen Wettbewerb stehen. Hier würde das Agentursystem wahrscheinlich nur zu der Überlegung führen, wie viel kann ich noch von meiner Provision abgeben. Die kleinen haben das etwas einfacher, weil die Netze nicht so dicht besetzt sind. AH: Und wie könnte man sonst gegen die Verschleuderung im Internet vorgehen? E. Nouvertné: Die Hersteller sind gefragt, die Händler mit marktgerechten Stückzahlen zu beliefern. Wenn ich 360 Autos abgeschlossen habe, kann ich vielleicht 500 verkaufen. So muss ich beliefert werden. Alles darüber hinaus wäre Ware, die außerhalb des Gebiets verschleudert wird. Hinzu kommt: Bis jetzt stand immer das Volumen im Vordergrund. Die Zukunft wird so sein, dass die Hersteller finanziell stabile Händler wollen. Nur gesunde Händler können Stückzahlen verkaufen. Nur gesunde Händler können Service bieten. Nur gesunde Händler können bauen. Nur gesunde Händler können eine Krise überwinden. Jede Insolvenz kostet auch den Hersteller Geld. AH: Herr Nouvertné, vielen Dank für das Gespräch. Interview: Doris Plate Kurzfassung Kostenersatz für die Aufwendungen des Händlers im Zusammenhang mit dem Verkauf, Stammkundenbonus, Präsenzhandelsbonus, marktgerechte Belieferung. Nouvertné nennt einige Ansatzpunkte für ein tragfähiges Geschäftsmodell im Automobilhandel der Zukunft.

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