AH: Lieber Prof. Brachat, seit 35 Jahren wirken Sie für AUTOHAUS. Lassen Sie uns innehalten und zurückblicken. Wo sehen Sie die großen Leitlinien der Branche?
Hannes Brachat: Lassen Sie mich das bitte in der zeitlichen Entwicklung darstellen. Sie wissen um mein Markenzeichen "HB ohne Filter", sprich frei, argumentativ seine Überzeugungen darzulegen. Diese Freiheit ist bis heute mein Credo. Das war in den früheren Jahren, also bei meinem Start bei AUTOHAUS 1984 als Chefredakteur noch einfacher. Die Automobilhersteller waren damals vornehmlich national aufgestellt. Man hatte zum Vorstandsvorsitzenden noch direkten Zugang. Damals gab es diese Werks-PR-Abteilungen wie heute noch gar nicht. Das läuft heute anders, eben viel globaler.
EDV-Einzug - 1984 ff.
Wie in der Branche auch, haben wir 1984 in der Redaktion die ersten Computer installiert. Was damals EDV hieß, wird heute IT genannt. Bis zum IT-Einsatz haben die Drucker jeden Buchstaben gesetzt. Wir haben noch Klebeumbruch gemacht und jeden Seitenplan manuell erstellt. Ich sage es mit einem gewissen Stolz, dass ich damals das erste Fachbuch in der Branche zum Thema EDV geschrieben habe. Meine Söhne können sich ein hör- und sichtbares Kichern nicht verkneifen, wenn ich das heute erzähle.
ASU & GVO - 1985
Anfang der 1980er-Jahre, man erinnere sich an den CSU-Innen- und Umweltminister Dr. Friedrich Zimmermann, "Pomaden-Fritz" genannt. Es ging um die Verhinderung der Einführung des Katalysators durch die Automobilindustrie. Zimmermann brachte den auf die Schiene. Der damalige ZDK-Präsident Fritz Haberl luchste ihm im Gegenzug 1985 die ASU ab. Von den Plaketten leben heute noch viele Kfz-Innungen und auch Kfz-Betriebe in der Werkstatt. Fritz Haberl, der bis heute unangefochten beste ZDK-Präsident, wirkte auch markant in Brüssel an der ersten GVO 1985 mit.
Erste Farbbilder - 1986
Im Magazin kamen dann spärlich und sehr kostenintensiv die ersten Farbbilder auf. Sämtliche Fotos wurden noch einzeln entwickelt. Die Fotoapparate hatten gegenüber heute wirklich begrenzten Charme. Von den Blitzlichtern ganz zu schweigen.
AUTOHAUS akademie & Buch - 1987
1987 sind wir dann mit der AUTOHAUS akademie ins Seminargeschäft eingestiegen. Und ab 1989 haben wir den Buchbereich auf einen soliden Sockel gestellt und können heute sagen, die umfassendste betriebswirtschaftliche Literatur für Automobilwirtschaft vorlegen zu können. Dank unseren Lesern!
Grenzöffnung - 1989
1989 ereignete sich eine große Zäsur: Grenzöffnung! Die Mauer fiel. Noch gut erinnere ich mich etwa an die Großveranstaltung 1990 in der "alten Messe" zu Leipzig. 650 Teilnehmer! Unvergesslich, selbst Opel-Vertriebsvorstand Georg Hehner verteilte Seminarunterlagen. Ich möchte den "Ost-Händlern" abermals größten Respekt zollen, mit welchem Lerneifer, welcher Neugier, mit welcher Kreativität und, bitte, mit welch einer Geschwindigkeit sie automobilistisch im Gewerbe zu Werke gingen. Diese Aufbruchspower war bis heute einmalig. Was automobile Freiheit zu bewirken vermag!
Hochschule Geislingen - 1992 ff.
1992 wurde die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt mit einer Automobilprofessur durch Prof. Dr. Willi Diez besetzt. Seither bin ich dort mit einem Lehrauftrag vertreten. Ab 2002 bis 2014 mit einer Stiftungsprofessur, die erst Schwacke mit Helmuth H. Lederer und dann Andreas Finkenberg, Santander, zur Verfügung stellten. Seit 2014 bin ich noch mittwochs mit einem Lehrauftrag vor Ort und mit viel Freude dabei. Es sind ja bis heute über 2.200 Absolventen, die mal vor einem auf der Studienbank saßen. Nachdem man sich in der Branche mindestens zweimal sieht, gehört all das freudige Wiedersehen oder auch Einladungen für mich zu den ganz besonderen Erlebnissen. Über die Jahre sind viele Vertrauensverhältnisse gewachsen. Ich möchte auch dafür an dieser Stelle Dank sagen. Du brauchst ja Menschen, die dir ihre persönliche Sicht der Dinge anvertrauen und gewiss sein können, dass man damit verantwortungsvoll umgeht.
Erste Branchenstudie - 1992 ff.
1992 veröffentlichte AUTOHAUS die erste Studie für die Branche. Mit Castrol. Kundendienst! Was hatten damals die großen Mineralölgesellschaften noch an nationaler Kraft. Heute sind sie alle international konsolidiert und werden von außerhalb gesteuert. Liqui Moly um Ernst Prost konnte so zur beliebtesten Mineralölmarke aufsteigen.
Händlerzufriedenheit - 1993 ff.
1993 initiierten Schwacke-Verleger Helmuth H. Lederer und unser Haus den DSI, den Dealer-Satisfaction-Index, mit der Uni in Bamberg. Ab 1998 legten wir mit dem IfA den "MarkenMonitor" auf.
AUTOHAUS Online - 1998 ff.
1994 hatte ich die erste Begegnung mit dem Internet. 1996 wurde mobile.de gegründet, 1998 AutoScout24. Man hätte sich als Verlag daran beteiligen sollen. Scheibe! Es gab also durchaus auch verpasste Chancen. Der eigentliche Internetstart in der Branche ist für 1998 zu setzen. Da kamen dann die ersten Auguren, die den Untergang des klassischen Autohauses auf 2004 datierten. Inzwischen sind 20 Jahre vergangen und wir, der Markenhandel, leben immer noch. 1998 stellten wir auf der Automechanika unseren Online-Newsletter vor, der bis heute werktäglich erscheint. Meine Kollegen brockten mir damals den "HB ohne Filter" ein. Chef vom Dienst Dieter Radl hat mich letztlich dazu verdammt. Seit 20 Jahren, an nahezu allen Freitagen. Ich darf an dieser Stelle mal sagen, dass ich jede Zeile selber in die Tasten drücke - mit Freude!
Weichenstellung - GVO 2002 ff.
2002, es war EU-Kommissar Mario Monti, der gegen heftigen Widerstreit die GVO 2002 durchsetzte. Sie öffnete die Möglichkeit für den Mehrmarkenhandel. Im Rückblick darf gesagt werden, dass diese politische Weichenstellung für zahlreiche Autohäuser essenziell wurde und bis heute ist. Der exklusive Monopolismus der Hersteller war damit gebrochen. Das Ganze läutete zugleich die Branchenkonsolidierung ein.
Nachfolge - 2011 ff.
Zum 1. Juli 2011 übergab ich die Verantwortung an Ralph M. Meunzel, mit dem ich seit nahezu 30 Jahren sehr gut zusammenarbeite. Ich möchte an dieser Stelle auch Dieter Radl, unseren ehemaligen Chef vom Dienst benennen. In diesem Trio haben wir gemeinsam das Außen und das Innen von AUTOHAUS über Jahre gemeinsam gesteuert und gelebt. Ist das nicht ein großartiges Geschenk, wenn man beruflich so lange mit Kollegen und Kolleginnen zusammenarbeiten darf? Man kennt sich, mit all seinen Stärken, aber auch Schwächen, man ist immer verlässlich da, legt Hand an, tauscht sich kritisch und offen aus, sucht kreativ nach neuen Lösungen usw. Ich sage auch dafür dem ganzen AUTOHAUS-Team für diese lange gemeinsame Strecke herzlichen Dank. Auch dafür, dass ich bis heute dabei sein kann. Im Januar zum 28. Mal mit den "Perspektiven" und im Sommer dann zum 28. Mal mit der AUTOHAUS-SommerAkademie. Es ist - auch im Alter von 70 Jahren - das größte Geschenk im Leben, wenn man nur noch das arbeiten darf, was man gerne macht, was einen erfüllt.
Dankeschön
1957 wurde AUTOHAUS gegründet. Wir sind nun 61 Jahre alt. Die Hälfte davon durfte ich wesenhaft und verantwortlich mitgestalten. Es ist quasi mein berufliches Lebenswerk. Und da blicke ich gerne mit viel Freude und vielen Erinnerungen - solche und solche - zurück. Mehr solche! Freudige! Auch dafür sage ich all unseren Lesern und Branchengestaltern herzlichen Dank.
AH: In Ihrem Rückblick waren einige wichtige Errungenschaften. Doch wo haben Politik und Verbände versagt?
H. Brachat: Geduld ist in der Tat nicht meine Stärke. Ich habe sowohl in der Politik als auch in den Verbänden erfahren müssen, wie zäh etwas läuft, wenn alles demokratisch abzustimmen ist. Das hat ohne Frage seinen Wert, aber auch einen hohen Preis. Verbände, dazu zähle ich auch die Kfz-Innungen, erfüllen gewisse festgezurrte Standardaufgaben. Die größte Kfz-Innung Oberbayern hat 2.200 Mitglieder, die kleinste 28. Da wären in vielen Innungen dringlich Fusionen zu größeren Einheiten angesagt. Ich frage mich ja immer, wer die Verbände bezahlt? Es sind die Mitglieder, sprich die Kfz-Betriebe. Inzwischen auch Sponsoren über angegliederte Wirtschaftsgesellschaften. Ein weiteres Negativbeispiel von verbandspolitischem "Unternehmertum" war die Schließung der BFC Calw. Das hätte nie passieren dürfen.
70 Jahre Hannes Brachat
Bildergalerie70 Jahre Prof. Hannes Brachat
AH: Vor allem die mangelnde Solidarität in der Branche stellt für Sie ein essenzielles Manko dar.
H. Brachat: Ja, das ist für mich die größte Enttäuschung. Da wird auf einer Händlertagung eine 100-Prozent-Entscheidung getroffen und vor der Türe wechseln viele schon wieder ins gegnerische Lager. Diese Handelsschwäche wissen Hersteller und Importeure zu nutzen. Nachdem alle Fabrikatsverbände autark agieren, ist auch damit der ZDK auf ewige Abstimmung reduziert und kann sich oftmals aufgrund der Interessensgegensätze zwischen Klein- und Großbetrieben gar nicht artikulieren.
AH: Umgekehrt imponiert Ihnen das ehrenamtliche Engagement vieler Unternehmer, oder?
H. Brachat: Ich kenne zahlreiche Händler und deren Mitarbeiter, die ehrenamtlich sowohl im Gesellenprüfungsausschuss, im Händlerverbandvorstand oder in Fachausschüssen mitwirken und sich da - unter anderem auch mit eigenen Nachteilen - für die Gemeinschaft einbringen. Ganz großen Respekt vor diesem ehrenamtlichen Engagement!
AH: Lieber Prof. Brachat, im Namen von AUTOHAUS wünsche ich Ihnen alles Gute. Ich freue mich auch in Zukunft auf Ihre offenen Worte.
Interview: Patrick Neumann
Dieter Mondt