Titelthema: Herausforderungen im Kfz-Service: Alles andere als eine sichere Bank

Die Bedürfnisse und das Verhalten der Kunden differenzieren sich weiter aus. Willkommen im Zeitalter der Individualität! In der Antike schien die Menschheit noch überschaubar: Folgt man Anhängern der Temperamentenlehre, so unterschieden sie sich zwischen dem Sanguiniker (offen), dem Phlegmatiker (risikoscheu), dem Melancholiker (kritisch) und dem Choleriker (impulsiv). Ein simples Menschenbild, das auch die Kundenansprache vereinfacht. Marketing in der heutigen Zeit ist da schon komplizierter, glaubt man der Unternehmensberatung Roland Berger. Für die Studie "Maßkonfektion im Aftersales" identifizierten die Münchner mehrere Kundengruppen mit unterschiedlichen Interessen: den serviceorientierten Rationalisten stehen anspruchsvolle Enthusiasten gegenüber und junge Statusorientierte verlangen eine andere Herangehensweise wie kostenbewusste Gefühlsmenschen oder minimalistische Sparer, um nur einige der Typen wiederzugeben. Attraktiver Markt Diese Typisierung ist für den automobilen Service insofern relevant, als das deutsche Kfz-Gewerbe einen zwar einträglichen, aber gesättigten Markt beackert. Um sich aber in saturierten Branchen nicht nur über den Preis abzusetzen, müssen kommunikative Maßnahmen und Marketingaktionen zunehmen. Nur auf diese Weise können Markenbetriebe die Trumpfkarte Qualität spielen und die desaströse Preisschraube vermeiden. Für die kommunikativen Maßnahmen muss die Markenwerkstatt den Kunden jedoch so genau wie möglich kennen, sonst wandern die rund 75 bis 80 Prozent ihrer Gewinne und 20 Prozent ihrer Umsätze, die mit Aftersales-Produkten und -Dienstleistungen erwirtschaftet werden, in Richtung günstiger Konkurrenz ab. Der Einsatz ist beträchtlich: Laut Roland Berger werden in Deutschland rund 30 Milliarden Euro pro Jahr im Aftersales-Bereich umgesetzt. Von diesem großen Kuchen will eine zunehmende Anzahl von Anbietern ein Stück abhaben: Neben den Servicenetzen von Herstellern und Importeuren möchten auch freie Betriebe, die teilweise von Teileherstellern und Großhändlern unterstützt werden, sowie Werkstattketten oder weitere, in einer Studie des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) intermediär genannte, Akteure profitieren. Konzentrationsprozesse Trotzdem der Tisch reichlich gedeckt ist, es scheint nicht genug für alle da zu sein. Der IfA-Studie "Automobilservice 2025" zufolge dürfte die Anzahl der Lohnstunden im Jahr 2020 zwischen elf und 15 Prozent unter dem heutigen Niveau liegen. Damit verbunden ist ein Konzentrationsprozess in der Kfz-Branche - ein ständiger Begleiter, nicht erst seit gestern. Zählte der ZDK im Jahr 2000 noch rund 526.000 Beschäftigte im Kfz-Gewerbe, so wies die Verbandsstatistik im März 2014 lediglich 460.000 Mitarbeiter aus. Die Zahl der Betriebe war ebenso rückläufig: Sie sank von 47.000 im Jahr 2000 auf 38.500 zum März 2014. Aufgeben müssen Betriebe, deren Auftragslage sinkt und deren Werkstattauslastung sich ungünstig entwickelt. Gründe dafür gibt es viele. Sie stellen sich so heterogen dar, wie es die Betriebe und Kunden sind. Veränderungstreiber Die Herausforderungen im Aftersales-Bereich nehmen von Jahr zu Jahr zu. Einmal steigt die Qualität der Fahrzeuge und der verbauten Komponenten. Insbesondere auf die lukrativen Garantiearbeiten hat das negative Auswirkungen, zumindest aus Sicht der fabrikatsgebundenen Werkstatt. Hinzu kommt eine stete Verringerung der Fahrleistung deutscher Autofahrer. Weniger Nutzung bedeutet aber auch weniger Verschleiß. Die Verlängerung der Wartungsintervalle tut ein Übriges, damit der Serviceberater die Kundschaft seltener zu Gesicht bekommt. Zudem steigt das Alter des Fahrzeugbestands. Es ist kein Geheimnis, dass Halter älterer Fahrzeuge preissensibler werden. In den Fahrzeugsegmenten II und insbesondere III sind freie Werkstätten stark - Tendenz steigend. Ein Ergebnis fördert der DAT-Report jährlich zutage. Auch im druckfrischen DAT-Report 2015 haben freie Betriebe weiter aufgeholt (vgl. Beitrag ab Seite 16). Die freie Konkurrenz professionalisiert sich zusehends. Von den insgesamt 21.000 freien Betrieben gehören inzwischen rund 12.000 den zahlreichen freien "Werkstattmarken" an (vgl. Beitrag ab Seite 20). Die Folge: Auch kleine und günstiger wirtschaftende Systempartner von Bosch Car Service, Autofit oder Meisterhaft erhalten technische Informationen und Unterstützung im Bereich Marketing, die als Einzelkämpfer nicht darstellbar wären. Zwar versuchen Hersteller und Importeure zunehmend, die Neuwagenkunden länger in der eigenen Organisation zu halten und die Werkstatttreue in Segment I und sogar III zu steigern. Doch erstens nimmt die Zahl der privaten Neuwagenkäufer ab und zum Zweiten rechnen sich Servicepakete, Flatrates sowie die Vermarktung einer zweiten Teileschiene für Markenbetriebe nicht immer (vgl. Beitrag Seite 24). Auch die Bestandaktivierung bzw. die Rückholung abgewanderter Kunden gestaltet sich für Hersteller und Importeure aus den gleichen Gründen sehr schwierig. Wachsender Konkurrenzdruck Nicht unerheblich ist außerdem der Anstieg an gewerblichen Neuzulassungen, der inklusive der Eigenzulassungen 2014 teils im zweistelligen Bereich war. Dass Händlerzulassungen nicht förderlich für das Aftersales-Geschäft sind, muss nicht erklärt werden. Aber auch die Zunahme an Flottenkunden ist zweischneidig. Ähnlich den Versicherungen, die Professor Dr. Stefan Reindl und Co-Autor Mark Klümper in der IfA-Studie als Intermediäre bezeichnet, nehmen auch große Flotten Einfluss auf die Werkstattpreise. Partnerwerkstätten profitieren zwar von einer Steigerung der Werkstattauslastung, können im schlechtesten Fall allerdings nicht mehr gewinnbringend arbeiten. Stichwort Versicherung: Unfallreparaturen sind zwar ein attraktives Geschäftsfeld. Ein Auftrag bringt im Schnitt mehr als 2.200 Euro, wie eine Untersuchung von TÜV Nord und AUTOHAUS im vergangenen Jahr herausfand. Eine Einigung mit einer Versicherungsgesellschaft hat aber Abstriche bei Teilemarge und Stundenverrechnungssatz sowie erhöhte Investitionen in Werkstattausrüstung und Qualifizierungen zur Folge. Darüber hinaus drängen spezialisierte Anbieter auf den Markt: Kompetenzzentren wie K&L-Spezialisten, Autoglas-Profis oder Betriebe mit einem Fokus auf Smart-Repair nehmen herkömmlichen Werkstätten Marktanteile ab. Die Spezialisten konzentrieren sich auf einen Bereich, sammeln Know-how und nutzen diese USP, um mehr Qualität zu einem kleineren Preis anzubieten. Zudem überzeugen zu größeren Netzwerken gehörige Anbieter wie Junited, Carglass etc. in ihrem Marketing. Und nicht zuletzt verliert das eigene Fahrzeug - besonders bei einer jüngeren Stadtbevölkerung - seinen Stellenwert. Stattdessen greifen Hippster in Berlin-Friedrichshain, Hannover-Linden oder im Frankfurter Nordend bei seiner oder ihrer individuellen Mobilität lieber auf die Angebote von Car-Sharing-Angeboten wieCar2Go, Stattauto, Drive Now, Citee oder Flinkster zurück. Kurzfassung Weniger Laufleistung, hohe Produktqualität sowie die Steigerung der Wartungsintervalle - die Herausforderungen für einen auskömmlichen Markenservice sind mannigfaltig. Hinzu kommen neue Aftersales-Anbieter. In unserer Titelgeschichte auf den folgenden Seiten beleuchten wir das Thema von verschiedenen Seiten.

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