Deutschland kommt wegen zu schmutziger Luft durch Diesel-Abgase in vielen Städten immer stärker unter Druck: Die EU-Kommission will die Bundesregierung mit einer Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Einhaltung der Grenzwerte zwingen. Letztlich drohen hohe Strafgelder. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ - anders als Frankreich - vorerst keine Absicht zu zusätzlichen Maßnahmen erkennen. Der Koalitionspartner SPD, Umweltschützer und Städte dringen dagegen auf technische Nachrüstungen älterer Diesel. Auch wegen des Umgangs mit dem VW-Skandal verschärft Brüssel den Ton.
EU-Umweltkommissar Karmenu Vella sagte am Donnerstag in Brüssel, Deutschland und fünf weitere Länder hätten keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, um die Grenzwerte so schnell wie möglich einzuhalten. "Ich bin überzeugt, dass die heutige Entscheidung sehr viel schneller zu Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger führen wird."
Klage einreichen will die Kommission auch gegen Frankreich, Großbritannien, Ungarn, Italien und Rumänien. Dabei geht es um die Missachtung von EU-Grenzwerten für Stickoxide (NOx), die seit 2010 verbindlich sind. Auch 2017 wurden sie jedoch in 66 deutschen Städten überschritten. Für den hohen NOx-Ausstoß im Verkehr werden vor allem Dieselautos verantwortlich gemacht.
Politischer Druck wächst
Die EU-Kommission hatte schon 2015 ein Verfahren wegen der Verletzung von EU-Recht eingeleitet und die Regierungen immer wieder ermahnt. Klagen vor dem EuGH gegen EU-Staaten sind nicht ungewöhnlich. Unterliegt Deutschland, könnte die Kommission in einem weiteren Verfahren hohe Zwangsgelder durchsetzen. Mit der Klage-Entscheidung wächst der politische Druck, mehr für bessere Luft in Städten zu tun.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte Fahrverbote für zulässig erklärt, solange sie verhältnismäßig sind. Hamburg bereitet als erste deutsche Stadt solche Verbote an zwei Straßenabschnitten der Innenstadt vor.
Merkel sagte am Rande des EU-Gipfels in Sofia, die Bundesregierung habe in "beispielloser Weise" Förderprogramme aufgelegt: "Wir sind auf einem sehr, sehr gutem Weg." Sie verwies auf die Verantwortung der Kommunen, die Umsetzung der Programme müsse vor Ort erfolgen. Es werde in verschiedenen Bereichen sehr schnell Fortschritte geben. Der Bund hat unter anderem ein Milliarden-Programm für saubere Luft in betroffenen Städten aufgelegt. Dazu gehören die Umrüstung von Bussen oder eine bessere Taktung des öffentlichen Nahverkehrs.
Weiterhin Forderungen nach technischen Nachrüstungen
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) untermauerte ihre Forderung nach technischen Nachrüstungen, die nun "so schnell wie möglich" auf Kosten der Autobauer gebraucht würden. "Darauf zu hoffen, dass sich das Problem von selbst erledigt - wie manche das offenbar tun -, ist spätestens jetzt keine Option mehr. Blockieren und Aussitzen sollte in dieser Frage niemand mehr." Merkel hatte sich erst am Mittwoch erneut skeptisch zu Umbauten an Motoren geäußert. Die Branche lehnt solche Hardware-Nachrüstungen auch mit Verweis auf die Kosten ab.
Der Städtetag forderte von der Bundesregierung Klarheit über weitere Abgas-Verbesserungen. Wenn von der Branche zugesagte Software-Updates nicht reichten, um Grenzwerte einzuhalten, müsse die Industrie zu Hardware-Nachrüstungen verpflichtet werden und diese auch bezahlen.
Die Opposition und Umweltschützer drängten ebenfalls zum Handeln. "Jetzt muss die Bundesregierung liefern", sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Sie müsse eine Offensive für Öffentlichen Nahverkehr starten und die Hardware-Nachrüstung durchsetzen. FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic meinte, mit der "Politik des Weckduckens" von Merkel müsse Schluss sein. Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup sagte, die Regierung lasse den Konzernen wirkungslose Maßnahmen durchgehen.
Die französische Regierung kündigte für den Juni die Vorstellung neuer Maßnahmen an. "Über die Gefahr einer Verurteilung Frankreichs hinaus verpflichtet uns vor allem der Schutz der Gesundheit der Franzosen dazu, das Handeln zugunsten der Luftqualität zu beschleunigen und zu verstärken", sagte Umweltminister Nicolas Hulot.
Vorwurf für weiterer Versäumnisse
Die EU-Kommission warf der Bundesregierung auch in einem anderen Verfahren Versäumnisse vor. Sie habe VW für Schadstoff-Manipulationen nicht bestraft und nicht ausreichend überwacht, ob die Autohersteller Vorschriften einhalten. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wies die Ermahnungen scharf zurück: "Kein anderer Mitgliedstaat hat so umfassende und strenge Maßnahmen ergriffen wie Deutschland."
Dazu gehörten Pflichtrückrufe und Software-Updates auf Kosten der Hersteller. "Für die Strafverfolgung ist in Deutschland die Justiz zuständig, und das ist gut so", meinte Scheuer. "Es ist befremdlich, dass die EU-Kommission das offensichtlich nicht weiß."
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