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Klimaretter, Ökosünde, Ärgernis?: Zwischenbilanz zu E-Tretrollern

12.08.2019 09:47 Uhr
E-Scooter: Derzeit gelten die gleichen Promille-Grenzen wie für Autofahrer.
© Foto: picture alliance/Uwe Anspach/dpa

Manche erhoffen einen Beitrag zur Verkehrswende, andere ärgern sich über unverschämte Fahrer: An E-Tretrollern scheiden sich die Geister. Was lässt sich zwei Monate nach der Zulassung in Deutschland sagen?

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Seit Juni sind Elektro-Tretroller in Deutschland zugelassen. Sie rollen durch viele Städte und stehen auf Gehwegen, an Kreuzungen und Bahnstationen. Die zum Verleih angebotenen E-Scooter haben bereits viele Diskussionen ausgelöst. Ein Überblick:

CO2-Verbrauch: Legt man den deutschen Strommix zugrunde, würden bei einer 100-Kilometer-Strecke auf einem E-Tretroller etwa 0,5 Kilogramm des Treibhausgases CO2 ausgestoßen, sagt Alexander Jung vom Think Tank Agora Verkehrswende. Ein neuer benzinbetriebener Kleinwagen produziere auf der gleichen Strecke gut elf Kilogramm. Um die gesamte CO2-Bilanz zu berechnen, reicht der Blick auf einzelne Fahrten jedoch nicht aus: Denn auch bei Herstellung und Transport der Roller fallen klimaschädliche Stoffe an.

Instandhaltung: Um die Akkus aufzuladen, müssen die Roller zu Ladestationen gebracht werden. Für diesen Transport fielen unnötige CO2-Emissionen an, sagt Jung. Eine Sprecherin des Anbieters Voi sagt, das Unternehmen wolle künftig auf austauschbare Batterien und E-Lastenräder für den Transport setzen. Voi wolle seine mehrere tausend Roller starke Flotte nach und nach erneuern. Teile der alten Geräte würden möglichst wiederverwendet. Agora-Experte Jung sagt, Wechselbatterien lösten das Problem der vielen Fahrten zur Instandhaltung nicht. Denn auch um die Roller dorthin zu bringen, wo sie gebraucht würden, müssten die Geräte nach wie vor mit größeren Fahrzeugen transportiert werden.

Akkus: Laut Umweltbundesamt enthalten die Akkus der Roller eine fluorhaltige, giftige Flüssigkeit, die leicht entzündlich sei. Bekommt die Batterie etwa einen Riss, könne der Akku in Brand geraten. Zudem werden für die Akkus unter anderem Lithium und seltene Erden verwendet. Der Lithium-Abbau ist für die Umwelt bedenklich. Derzeitige Akku-Modelle könnten bei täglichem Laden knapp drei Jahre durchhalten, schätzt Jung. Rechne man die Produktionsschritte für die Akkus zusammen, falle so viel CO2 an wie für eine 250-Kilometer-Fahrt mit einem VW Golf oder für eine Bahnfahrt von Berlin nach Köln bei durchschnittlicher Auslastung, sagt er. Die gesamte Lebensdauer ihrer Roller schätzen die Betreiber derzeit auf über ein Jahr, wie Sprecher von Voi, Tier und Lime mitteilen.

Verkehrswende: Noch gibt es nur wenige Daten zum Einfluss des E-Tretroller-Verleihs auf den Autoverkehr in deutschen Städten. Das Umweltbundesamt verweist auf eine Umfrage unter 4.000 Verleih-Nutzern in Paris. Demnach wäre fast die Hälfte der Befragten ohne Roller zu Fuß gegangen. Knapp 30 Prozent hätten den öffentlichen Nahverkehr genutzt oder das Fahrrad genommen. Nur acht Prozent der Befragten ersetzten demnach mit dem geliehenen E-Scooter eine Auto- oder Taxifahrt. Dem halten die Anbieter eigene Befragungen entgegen: Voi teilt mit, in Deutschland, Österreich und der Schweiz hätten sich Autofahrten auf Strecken von zwei bis fünf Kilometern um 40 Prozent reduziert. Das habe eine Befragung von 1.400 Nutzern in den drei Ländern ergeben. Ob die Umfrage repräsentativ ist, ist unklar.

Tilman Bracher vom Deutschen Institut für Urbanistik ist skeptisch: "E-Tretroller werden besonders im Freizeitverkehr und von Touristen benutzt", sagt der Mobilitäsforscher. E-Scooter könnten den Autoverkehr in der Stadt nicht reduzieren: "Da hat sich der Verkehrsminister einen Bären aufbinden lassen." Besonders Außenbezirke von Städten ließen sich nicht wirtschaftlich abdecken.

Der Agora-Experte Jung hingegen glaubt, E-Tretroller hätten durchaus das Potenzial, ein kleiner Baustein für einen umweltfreundlicheren Stadtverkehr zu werden. Sie allein würden die Verkehrswende aber nicht schaffen. Nötig seien grundlegende Veränderungen wie der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Arbeitsbedingungen: Juicer, Unicorns, Hunter, Ranger - die schillernden Jobbezeichnungen der verschiedenen E-Scooter-Verleiher klingen vielversprechend. Diejenigen, die die Geräte einsammeln, seien häufig Studierende oder Zeitarbeiter, die pro Roller bezahlt würden, sagt Bracher vom Institut für Urbanistik. In den ersten Wochen könne man nicht davon ausgehen, dass ein Großteil der Mitarbeiter in etablierten Arbeitsverhältnissen stecke. Oliver Suchy, Abteilungsleiter Digitale Arbeitswelten des Deutschen Gewerkschaftsbundes, kritisiert: "Bei den E-Scootern erleben wir ähnlich prekäre Arbeitsbedingungen wie auf anderen Plattformen." Sprecher von Voi und Tier weisen die Kritik zurück. "Wir haben hier ausschließlich erfahrene Logistikpartner", sagt ein Voi-Sprecher. Der Sprecher von Tier erklärt: "Wir arbeiten in unserem operationalen Geschäft entweder mit großen Logistikpartnern zusammen oder stellen unsere Mitarbeiter ein." Von prekären Arbeitsbedingungen könne keine Rede sein.

Stolperfallen: Viele Städte klagen über unachtsam abgestellte oder abgelegte Geräte, gerade an touristischen Zielen. Verbände beklagten unlängst, dass nachlässig abgestellte E-Tretroller ein Problem für behinderte Menschen sein könnten. Viele Kommunen haben darum schärfere Regeln angekündigt. 

Sicherheit: Viele Nutzer stünden das erste Mal auf den Rollern und seien entsprechend unsicher unterwegs, sagt ein Sprecher des Anbieters Lime. Das Unternehmen will darum Fahrtrainings anbieten. Außerdem empfehle man Nutzern einen Helm, Pflicht ist der nicht. Den Deutschen Verkehrssicherheitsrat besorgt besonders, dass viele Nutzer betrunken auf die Geräte steigen. Die Forderung nach einer Null-Promille-Grenze für Roller-Nutzer wurde vom Bundesverkehrsministerium zurückgewiesen. Derzeit gelten die gleichen Promille-Grenzen wie für Autofahrer. (dpa)

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