Im Straßenverkehr wirken neue Automobile meist anders als auf Messen, in Autohäusern oder bei statischen Produktpräsentationen. Dass der neue VW Tiguan nicht sonderlich aufregend designt ist, zeigte sich bereits beim Erstkontakt. Das war bei VW meist so, ist so und wird wohl in Zukunft so bleiben. Der Vorteil: Auch ein VW Tiguan 2, also der Vorgänger des hier vorgestellten, und der weiterhin produzierte Tiguan Allspace (Langversion), sehen nach wie vor nicht alt aus – obwohl dieses Design bereits rund acht Jahre auf dem Buckel hat. Für VW dennoch Zeit für ein komplett neues Modell.
VW Tiguan 2024
BildergalerieVW Tiguan 2024: Muss es immer eine Neuentwicklung sein?
Schade eigentlich, denn oftmals ist die Basis des Vorgängers gut genug, um lediglich technisch und optisch aufgepäppelt zu werden und weiterhin gut zu funktionieren. Das schont Ressourcen – menschliche, materielle und finanzielle. Fiat 500 und VW T6.1 beweisen das noch immer. Der Fiat 500 debütierte 2007 und wurde an die Zeichen der Zeit stets angepasst. So ebneten neue Sicherheitstechnik, Spritspartechnologie und sanfte Designmodellierungen stets den Weg, sodass er noch immer zu haben ist. Die technische Basis des VW geht sogar zurück auf den VW Bus T5 aus dem Jahr 2006. Beim Bulli ist aber nun Schluss. Der neue VW Bus ist technisch und teils optisch ein Ford Transit.
Der neue Tiguan ist hingegen ein echter Tiguan. Designtechnisch darf man aber vielleicht doch guten Gewissens von einem Rückschritt sprechen. Denn der Neue sieht belangloser aus als der teils scharf gezeichnete Vorgänger und wenn man nun die VW-Logos entfernt (die sind übrigens, anders als nach dem 2024er-Facelift des Golf, nicht beleuchtet), würden wohl die wenigsten auf einen VW tippen. Immerhin hat sich die Aerodynamik verbessert, 0,28 lautet der Bestwert, zuvor lag er bei 0,33.
Tiguan 2024 ist komplett neu
Technisch bleibt, wie oben bereits angedeutet, kein Stein auf dem anderen. Auch wenn sich der Tiguan nun die Technik mit dem neuen Passat Variant teilt, was VW unverhohlen im Innenraum präsentiert. Am Dashboard wurden lediglich die Luftausströmer minimal geändert. Dennoch dürfte es aus rein ästhetischen Gründen wenig Kritikpunkte geben. Fast alles sieht gut aus und fasst sich gut an. Lediglich der Anteil an Hochglanzschwarz-Elementen passt nicht mehr ins Jahr 2024. Da gibt es Materialien, die nicht so leicht verkratzen und weniger staubbindend sind – andere Hersteller nutzen diese. Der neue, klobige Lenkstockhebel zum Einlegen der Fahrstufen (den Tiguan gibt es nur noch mit DSG) sieht wenig hochwertig aus und die Bedienung geht schlechter von der Hand als der im Konzern noch immer genutzte kleine Knubbel. Begründet wird die Neugestaltung mit einem Platzgewinn in der Mittelkonsole. Platz gibt es im Tiguan aber eh in Hülle und Fülle, und das bei nahezu unveränderten Abmessungen.
Vorn schmeicheln sich vor allem die AGR-Sitze (Aktion Gesunder Rücken) astrein an den Körper und können vielfach verstellt werden. Auf Wunsch wird auch kräftig massiert. Serienmäßig ist das Ergo-Active genannte Gestühl bei den Ausstattungsversionen Elegance und R-Line installiert und ein Garant dafür, lange Strecken entspannter absolvieren zu können. Die Sitzposition hinter dem Volant ist nach wie vor kaum besser zu gestalten, die Rundumsicht ist klassenüblich – also nicht ideal. Zu hoch sind mittlerweile die Anforderungen an die Crashsicherheit, die die Durchmesser der A-, B- und C-Säulen nach wie vor meist anschwellen lassen. Kameras an allen Ecken und Enden und in den Außenspiegeln sollen das Sicht-Dilemma lösen, tun es aber nur unzureichend. Und wer mal einen abgefahrenen Außenspiegel mit allem Klimbim ersetzen muss, staunt nicht schlecht über die oft vierstellige Summe.
VW Tiguan mit MIB4
Und dennoch wird bei jedem neuen Modell elektronisch weiter aufgerüstet, ob sinnvoll oder nicht. MIB4 nennt sich die neueste Ausbaustufe des VW-Infotainmentsystems (bis zu 15 Zoll Diagonale) und allen daran angebundenen Elektronik-Bausteinen. Hier soll unter anderem KI für deutlich bessere Ergebnisse beispielsweise bei der Umsetzung von Spracheingaben sorgen. In der Realität funktioniert der Sprachassistent IDA (Intelligent Digital Assistant) zwar deutlich besser als vorangegangene Systeme, gut aber trotz Integration von Chat GPT noch immer nicht. Zu oft antwortet die Damenstimme: „Entschuldigung, da muss ich wohl noch etwas lernen“, ja, in der Tat. Das stellt mal wieder klar, dass wir uns gerade in der Transformation von MI (menschlicher Intelligenz) zu KI (künstlicher Intelligenz) befinden und das eigene Hirn doch diverse Dinge schneller und besser erledigt – zumindest dann, wenn man die Funktion mittels haptischer Regler oder virtueller Button einfach einstellen könnte. Das ist längst nicht selbstverständlich, wenngleich beim MIB4 sich diverse Funktionen nach Gusto im scharfen Display arrangieren lassen. Sprich: Ich kann meine Lieblingsfunktionen dauerhaft ins Display einfügen und mittels Berührung abrufen. Jedoch gibt es auch Funktionen, die sich dort nicht platzieren lassen, wohl aber von einigen Menschen vor jeder Fahrt deaktiviert werden (wollen).
Die meisten Menschen werden sich dennoch mit der Sprachbedienung anfreunden können, wenngleich Musikliebhaber es stören wird, wenn der tolle Klang aus dem optional erhältlichen Harman-Kardon-Soundsystem (11 Lautsprecher, 700 Watt für 735 Euro brutto) bei jedem „Hallo IDA, stell mir bitte die Sitzmassage ein“ und dem anschließenden „Ich aktiviere die …“ für zirka 20 Sekunden unterbrochen wird.
Gekühltes Induktivladen im VW Tiguan
Wunderbar hingegen funktioniert die Schnittstelle zwischen virtueller und haptischer Welt bei den beiden Ablageflächen fürs induktive Handyladen. So wird beispielsweise Apple Carplay kabellos angeschlossen, was nichts Ungewöhnliches ist (App-Connect für 225 Euro brutto in der Basisversion, sonst Serie). Eine Induktivladeschale ist auch nicht ungewöhnlich, zwei hingegen nebeneinander für zwei Handys schon und erst recht, wenn diese gekühlt sind, damit die Akkus beim Nutzen diverser Apps und dem gleichzeitigen Laden nicht zu warm werden. Die Ladeleistung ist mit 15 Watt flott und die Hitzeentwicklung minimal (oder nicht vorhanden). Das Induktivladen kommt jedoch nur in Kombination mit den Navi-Paketen Discover (1.325 Euro) oder Discover Pro Max (2.550 Euro) in den Tiguan.
Ebenso gut, wenngleich nichts Neues, ist das Head-up-Display, das die Inhalte beim Tiguan endlich in die Windschutzscheibe projiziert – für 750 Euro auch einzeln zu haben und eine Empfehlung. Technisches Highlight im Wortsinn ist das HD-LED-Matrixlicht (IQ-Light für 495 bis 2.540 Euro, je nach Ausstattungslinie), das rund 19.000 Pixel so fein verteilt, dass weder Entgegenkommende noch man selbst (durch Reflexion der Straßenschilder) geblendet werden soll. Zudem leuchtet das System exakt die genutzte Fahrspur nochmals heller aus (eine Art Lichtteppich), ohne andere Verkehrsteilnehmer zu stören. Was sich belanglos anhört, sorgt in der Realität bei Nachtfahrten dafür, dass die Augen nicht so schnell ermüden und man sich wacher fühlt. Bitte mehr von solcher Technik, die hilft, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und den Fahrer konzentriert bei der Sache lässt.
Ab Werk ist bereits der Tiguan in der Basisausstattung (die hat keinen Zusatznamen) gut ausstaffiert. Darüber rangieren Life, Elegance und R-Line. Der Life ist die aus rationalen Gründen beste Linie und kostet mit mindestens 39.045 Euro (brutto für den 130-PS-eTSI) 2.245 Euro mehr als die Basis, die 20 Zusatz-PS schlagen mit 1.995 Euro (brutto) zu Buche. Der von uns gefahrene Elegance startet erst bei 45.910 Euro mit mindestens 150 PS. Preislich ganz oben rangiert vorerst die Ausstattungslinie R-Line, die nicht nur aufgrund seiner markanteren Front auf Anhieb erkennbar ist. Bei ihm kommen nochmals knapp 1.300 Euro dazu.
VW Tiguan 1.5 eTSI (150 PS)
Bei den Motoren haben wir uns bewusst für den (fast) schwächsten Motor entschieden. Der eTSI ist bereits aus anderen Fahrzeugen im Konzern bekannt und leistet 150 PS. Der Verbrenner samt 48-Volt-Konglomerat vermittelt vor allem im unteren Geschwindigkeitsbereich ein gutes Ansprechverhalten und fühlt sich fülliger an, als 150 PS und 250 Newtonmeter versprechen. Bis zu 18 PS kommen beim Anfahren aus dem Riemen-Starter-Generator hinzu, was exakt den beschriebenen Eindruck vermittelt. Das System sorgt auch dafür, dass der Motor sich oft komplett abschaltet und lange Strecken gesegelt werden können oder aber der Vierzylinder nur auf zwei Zylindern läuft, was Benzin sparen soll. Das Einschalten des Verbrenners entgeht aufmerksamen Fahrern trotz technischer Verbesserungen nicht, nervt aber auch nicht. Rein elektrisches Fahren beherrscht dieser Motor indes nicht. Das übernehmen demnächst die beiden eHybride, also Plug-in-Hybride, die mit 204 respektive 272 PS antreten und theoretisch 100 Kilometer elektrisch fahren.
Zurück zum eTSI und 150 PS. Der Motor ist akustisch unaufdringlich, solange man sich im meistgenutzten Drehzahlbereich von unter 3.000 Touren bewegt. Das Doppelkupplungsgetriebe schaltet gewohnt schnell und ruckfrei und selbst das Anfahren gelingt nun fein dosiert. Wer den Vierzylinder fordert, bekommt nach einer kurzen Gedenksekunde ausreichend Power geliefert, begleitet allerdings von einer angestrengt wirkenden Akustik.
Laut WLTP begnügt sich der Mildhybrid mit 6,2 Liter Benzin, was nur 0,8 Liter über dem Wert des gleichstarken TDI-Triebwerks liegt – der CO2-Ausstoß ist mit 142 Gramm pro Kilometer sogar identisch. So ist also vor allem der persönliche Fahrstil entscheidend und ausschlaggebend dafür, ob der 2.440 Euro teurere TDI eine Alternative sein kann – für Langstrecken-Autobahnfahrer wird er das in jedem Fall sein, für alle anderen eher nicht. Der 1.5 eTSI darf 1.800 Kilogramm Anhängelast bei zwölf Prozent Steigung ziehen. Maximal sind 2.300 Kilogramm möglich, dafür sind jedoch Allrad und mehr Leistung nötig. Apropos Allrad: Den gibt es zum Marktstart nur in Zwangskombination mit dem starken Diesel (193 PS, 2.200 Kilogramm Anhängelast) und in Zukunft mit den starken Benzinern (2.0 TSI mit 204 und 265 PS).