Von Michael Gebhardt/sp-x
Platz für vier Passagiere, kommoder Ein- und Ausstieg, ein ordentlicher Kofferraum und dann auch noch Allradantrieb? Klingt nach einem ziemlich praktischen Auto, nicht aber nach einem Ferrari. Doch sowas gibt es auch in Maranello: 2011 brachte die schnelle Fiat-Tochter den FF mit eben jenen Genen auf den Markt, der jetzt als knapp 262.000 Euro teurer GTC4 Lusso neu durchstartet. Das Blechkleid wurde nahezu komplett neu geschneidert, betont jetzt etwas mehr die Breite. Hinzugekommen sind ein paar neue Lufteinlässe, ein kleiner Heckspoiler und eine zusätzliche Rückleuchte auf jeder Seite, so dass auch der 4,92 Meter lange GTC4 jetzt die Ferrari-typischen Doppel-Lichter trägt. Der neue Name soll die Positionierung deutlich machen, ein luxuriöses (italienisch: lusso) Grand Turismo Coupé mit vier Sitzen, vier angetriebenen und neuerdings sogar vier gelenkten Rädern.
Fangen wir mit den vier Sitzen an: Ja, der GTC4 hat vier Sessel, aber auf längeren Fahrten will man die Plätze im Fond guten Freunden trotzdem nicht anbieten – auch wenn sie dank des riesigen Panoramadachs einen wunderbaren Ausblick haben. Vorne ist es deutlich geräumiger und selbst mit über 1,90 Meter Körperlänge findet man noch ordentlich Platz. Während viele Sportwagen auf eine rigorose Fahrerkonzentrierung setzen, kümmern sich die Italiener auch um den Beifahrer, auf Wunsch hat der Sozius einen breiten Touchscreen vor sich, über den er unter anderem das Navigations- und Entertainmentsystem ansprechen kann. Ein weiteres, über zehn Zoll großes Display in der Mittelkonsole bietet zeitgemäßes Infotainment – inklusive Apple-Car-Play-Funktion.
Der Fahrer blickt, gewohnt mittig, auf den überdimensionalen, gelb hinterlegten Drehzahlmesser. Geschwindigkeit, Navi-Hinweise und weitere Infos werden auf den beiden flankierenden Displays angezeigt. Ein Head-up-Display sucht man, ebenso wie sonstige Assistenzsysteme, dagegen vergebens. In den Händen hält der Fahrer das neue Multifunktionslenkrad, mit dessen vielen Tasten nicht nur Blinker, Scheibenwischer und Licht gesteuert werden, sondern auch die Fahrprogramme gewählt und der Motor angeworfen werden.
Nicht mehr ganz so laut
Per Knopfdruck erwacht der freiatmende 6,3 Liter große Zwölfzylinder mit einem kurzen Aufschrei zum Leben, allerdings nicht mehr ganz so lautstark wie noch im FF. Das hat nicht der Gesetzgeber gefordert, sondern die Kunden, die morgens nicht unbedingt die gesamte Nachbarschaft aufwecken wollen. Trotz seiner jetzt 507 kW / 690 PS (plus 30 PS) präsentiert sich der GTC4 als Gentlemen, rollt beim sanften Druck aufs Gas gemütlich los und schnurrt ganz manierlich vor sich hin. Genauso manierlich zeigt sich das Fahrwerk: Geschmeidig rollt der mit fast drei Metern Radstand ausgestattete Italiener trotz 20-Zöllern selbst über schlechte Straßen und verschont seine Passagiere vor übertriebenen Härten – das ist auch gut so, fahren die Viersitzer-Kunden im Schnitt doch rund 10.000 Kilometer pro Jahr und damit doppelt so viel wie andere Ferraristi.
Sportwagentypisch steht auch im GTC4 die maximale Leistung erst bei hohen 8.250 Touren bereit, die gesamte Kraft von 697 Newtonmetern liegt bei 5.750 Umdrehungen an. Reizt man das Potential komplett auf, erreicht der GTC4Lusso in nur 3,4 Sekunden Landstraßentempo und wird bis zu 335 km/h schnell. Da der Viersitzer aber auch ein Ferrari für jeden Tag sein will, und Lieschen Müller eher nicht mit über 6.000 U/min durch die Stadt gondeln möchte, stehen 80 Prozent des Drehmoments schon ab 1.750 Motorumdrehungen bereit und wer nicht händisch in die Gangwechsel eingreift wird die Nadel des Drehzahlmessers nur selten oberhalb der 4.000er-Markierung sehen. Selbst der Sportmodus, den man mit dem klassischen Manettino, dem kleinen Hebelchen auf dem Lenkrad, anwählt, zwingt das nach klassischer Transaxle-Bauweise im Heck montierte Siebengang-Doppelkupplungs-Getriebe den Motor nur selten hochzudrehen – manchmal dürfte es sogar etwas schneller schalten.
Reichlich Arbeit für die Keramik-Bremsen
Hat man über die Schaltwippen den Zwölfender erst einmal in seinen Wohlfühlbereich gebracht, gibt es kein Halten mehr. Dann wird jedes kleine Zucken mit dem rechten Zeh unverzüglich in Längsdynamik umgesetzt, heißer röhrend schnalzt der Ferrari nach vorne – um kurz vor der nächsten Biegung den Keramik-Stoppern reichlich Arbeit zu bescheren. Mit Leichtigkeit vernichten die überdimensionalen Bremsscheiben die Energie, der GTC4 stürzt sich in die Kurve und noch ehe der Scheitel passiert ist, nimmt der Lusso Gasbefehle wieder willig an und zieht mit stoischer Ruhe aus der Kehre heraus. Für maximale Stabilität und Präzision sorgt zum einen der Allradantrieb: Um den zu realisieren, bräuchte es eigentlich eine zweite Kardanwelle, die wiederum Drehmoment nach vorne befördert.
Das aber war den Ingenieuren zu viel Gewicht, kurzerhand bekam der Motor einen zweiten Kraftausgang und ein zusätzliches Zweigang-Getriebe an der Front, dass die Vorderräder versorgt. Zwar quittiert das System den Dienst, sobald die Box im Heck in den fünften Gang schaltet, für die ambitionierte Kurvenhatz werden diese Übersetzungen aber ohnehin nicht benötigt. Zum anderen sorgt auch die Allradlenkung dafür, dass der Ferrari wieselflinke Haken schlägt und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk der vorgegebenen Linie folgt. Unter Normalbedingungen ist der Bolide kaum aus der Ruhe zu bringen, und auch der Fahrer kriegt nur selten feuchte Hände; die Souveränität des GTC4 scheint sich förmlich auf den Lenker zu übertragen. Höchstens der Blick auf die Tankuhr vermag den Puls in die Höhe zu treiben: Schon auf dem Prüfstand rauschen 15 Liter je 100 Kilometer durch die Benzinleitungen.