"Macht es gut!" Nach diesen Worten an die Belegschaft räumt Bernd Osterloh am Freitag sein Büro - es ist der letzte Arbeitstag nach 44 Jahren bei VW und fast 16 Jahren an der Betriebsratsspitze. "Ich weiß, das überrascht", schreibt der mächtige Mitarbeitervertreter, auch Mitglied des Aufsichtsratspräsidiums von Deutschlands größtem Industriekonzern, an die Kolleginnen und Kollegen. Er wolle jedoch eine geordnete Übergabe. Und es sei nun an der Zeit, dass seine Nachfolgerin Daniela Cavallo nach vorn rücke.
Ganz verabschiedet sich der 64-Jährige freilich nicht: Zum 1. Mai wird er Personalchef der VW-Nutzfahrzeug-Holding Traton in München. Ausgerechnet Personalvorstand, und warum denn jetzt, dürfte so mancher im Unternehmen denken. Ähnliche Angebote gab es schon früher, bisher lehnte Osterloh stets ab. Woher der plötzliche Sinneswandel?
Er richte sich auf drei weitere Jahre bei Traton ein, sagt Osterloh der Deutschen Presse-Agentur. Das Aufhören in Wolfsburg begründet er - neben dem "Reiz" der neuen Aufgabe - damit, klare Verhältnisse vor Entscheidungen bei VW im nächsten Jahr zu schaffen: "Diesen Mai steht schon die Nominierungsrunde für die Wahlen der Belegschaftsvertreter im Aufsichtsrat an, die dann 2022 kommen. Wenn ich jetzt nicht gehen würde, stünde ich dort wieder auf der Kandidatenliste." Außerdem müsse Traton die seit Mitte 2020 freie Position des Arbeitsdirektors möglichst bald besetzen - daher auch die konkrete Offerte aus Bayern.
"Das Thema Generationswechsel ist ohnehin angebracht", so Osterloh. Ablösen soll ihn die 46-jährige Cavallo. Sie trat mit ihm zuletzt oft gemeinsam auf, gilt als stiller, aber taktisch versiert und vernetzt. Wichtige Voraussetzungen für die zweite einflussreiche Stellung, die sie von Osterloh erbt: Laut Betriebsrat soll Cavallo dessen Mandat im Aufsichtsratspräsidium "so schnell wie möglich" ausüben. Oberster Kontrolleur bei Europas größtem Autobauer ist Ex-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch, Stellvertreter ist IG-Metall-Chef Jörg Hofmann.
Turbulente Jahre mit Porsche-Übernahme, Dieselgate und Corona
Der Belegschaft gegenüber spricht Osterloh von einem "klaren Schnitt" - seine vielen Jahre im Betriebsrat waren turbulent. 2005 übernahm er die Leitung, nachdem Vorgänger Klaus Volkert in der Lustreisen-Affäre zurücktreten musste. Der Skandal war ein Tiefpunkt auch für die bei VW sehr stark organisierte IG Metall. Es folgten etliche schwierige Phasen. Die Abschaffung der 1994 eingeführten Vier-Tage-Woche, der Übernahmekampf mit Porsche, die Suche nach der Verantwortung für "Dieselgate", die Corona-Krise sind nur einige Beispiele. Und das Braunschweiger Landgericht will prüfen, ob einige VW-Personalmanager womöglich lange überzogene Gehälter an hohe Betriebsräte genehmigten.
"Nach all den Jahren fällt mir dieser endgültige Schritt natürlich nicht leicht", sagt Osterloh. Er trat immer wieder auch als scharfer Kritiker von Vorstandschef Herbert Diess auf. So lieferten sich beide harte Auseinandersetzungen zum Umbau- und Sparkonzept "Zukunftspakt"» oder um den teils stockenden Anlauf wichtiger Modelle wie Golf 8 oder ID.3. Die mit schöner Regelmäßigkeit, aber intern wie extern von viel Stirnrunzeln begleiteten Duelle mit dem schneidig auftretenden "Onkel Herbert" (Osterloh über Diess) schaukelten sich voriges Jahr derart hoch, dass der Vorstandschef angeblich kurz vor dem Rauswurf stand.
Nachfolgerin Cavallo: "führungsstark, empathisch und strategisch denkend"
Der Betriebsratsvorsitzende habe "maßgeblich zum nachhaltigen Wandel zur E-Mobilität und zum softwaregetriebenen Mobilitätskonzern beigetragen", ließ Diess nun erklären. Er habe dabei "das Management konstruktiv hinterfragt". Auch Traton werde von "seiner Erfahrung beim Umbau und der Fähigkeit, Menschen mitzunehmen", profitieren. Pötsch - ebenso Chefkontrolleur bei Traton - äußerte sich ähnlich: "Er hat wichtige strategische Schritte mit vorangetrieben." Und - ob echtes Lob oder kleiner, versteckter Seitenhieb - Osterloh zeige "unternehmerischen Gestaltungswillen und Durchsetzungsstärke".
Die Vertreter des Porsche/Piëch-Clans, VW-Mehrheitseigner, betonen: "Es versteht sich von selbst, dass wir bei bestimmten Themen andere Schwerpunkte setzten als Herr Osterloh als Betriebsratsvorsitzender. Aber es steht auch außer Frage, dass er für diese Vorstandsposition (bei Traton) qualifiziert ist." Osterloh hatte bereits zuvor Angebote erhalten, ins Management zu gehen. Nach dem Ausbruch von "Dieselgate" im Herbst 2015 hätte er beispielsweise VW-Personalvorstand werden können, schlug das damals aber aus. "Gereizt hat mich das immer", erklärt er den Mitarbeitern. "Gemacht habe ich es nie."
Bis jetzt. Zur letzten Ablehnung während des Hochkochens der Abgaskrise sagt er: "Wenn ich gerade damals gegangen wäre, wäre das für Betriebsrat und Belegschaft das absolut falsche Zeichen gewesen. Und danach gab es ja auch noch einiges zu tun.» Die Umstellung der Standorte auf die E-Mobilität, Digitalisierung - "und einiges mehr".
Hilfreich für Osterlohs späten Entschluss, nun doch vom Co- zum Vollzeit-Manager zu werden, könnte auch sein enges Verhältnis zu Gunnar Kilian gewesen sein. Dieser war lange sein Sprecher, wurde dann 2018 VW-Personalvorstand. Inzwischen ist Kilian auf Konzernebene für die Betreuung des Traton-Geschäfts zuständig, aus seiner früheren Tätigkeit im Betriebsrat und von Terminen der VW-Belegschaftsstiftung ist er weltweit auch bei den schweren "Nutzis" gut verdrahtet.
Saki Stimoniaris, Betriebsratschef von Traton, sieht in Cavallo "eine Nachfolgerin auf Augenhöhe". Auch Osterloh sagt, sie sei "sehr gut eingearbeitet". Die Tochter eines italienischen Gastarbeiters begann bei VW als Bürokauffrau, qualifizierte sich zur Betriebswirtin weiter und beteiligte sich früh an der Belegschaftsarbeit. Seit 2002 ist sie im Betriebsrat, Anfang 2019 wurde sie Osterlohs Stellvertreterin.
"Die Herausforderungen bei der Transformation bleiben groß", erklärte Cavallo. "Umso dankbarer bin ich, dass unsere Gremien und Bernd so großes Vertrauen in mich setzen." Laut Osterloh wird der Betriebsrat dem VW-Management weiter kritisch auf die Finger schauen: Cavallo sei "führungsstark, empathisch und so strategisch denkend, dass sich viele noch wundern werden". Die IG Metall hält große Stücke auf sie.
Heimlicher Herrscher im "System Wolfsburg"
Der von vielen als heimlicher Herrscher im "System Wolfsburg" angesehene Osterloh dürfte indes auf andere Weise fehlen. Einerseits hatte sein bissiger Ton Gewicht. Manch einer sieht aber auch die sich wiederholenden Rivalitäten als erstarrte Rituale. "Vielleicht gibt es nun die Möglichkeit, aus Konfrontation und Klassenkämpfer-Attitüde herauszukommen", sagt einer. Umgekehrt gefällt Osterlohs plötzlicher Wolfsburg-Abtritt gerade jetzt und im fortgeschrittenen Dienstalter nicht jedem. Im Endeffekt - eine von Osterlohs am häufigsten benutzten Wendungen - geht es nun aber doch auf die andere Seite.
Helm Glöckler