Was wäre, wenn VW nach der Übernahme von Seat in Richtung Spanien abgewandert wäre? Oder BMW nach dem Zukauf von Mini nach Großbritannien? Undenkbar. Doch was ist mit Fiat nach der Fusion mit Chrysler? Siedelt der italienische Konzern nach Amerika über? Mitten in einer der heftigsten Absatzkrisen aller Zeiten auf dem europäischen Automarkt erscheint das gar nicht so abwegig. Italien fürchtet, seinen größten Industriekonzern zu verlieren.
"Fiat bleibt in Italien." Es schwingt Trotz mit, wenn Flavio Zanonato diese Formel gebetsmühlenartig wiederholt. Der Minister für wirtschaftliche Entwicklung will seinen Landsleuten die Sorge nehmen, dass Fiat in Zukunft aus der Stadt Auburn Hills bei Detroit gesteuert wird, dem Sitz von Chrysler. Fiat müsse als "nationales Erbe" verteidigt werden, sagt der Minister. "Wenn wir diese Herausforderung verlieren, wird das Land geschwächt."
Italien und Fiat – das gehört für die meisten Menschen einfach zusammen. Unklar ist, ob auch Konzernchef Sergio Marchionne zu diesen Menschen gehört. Der Manager mit italienisch-kanadischen Wurzeln wird im Land geschätzt, weil er Fiat wieder in die Spur gebracht hat. Gleichzeitig fürchten seine Landsleute seinen Querkopf. Marchionne ist für seine unkonventionellen Ideen bekannt – und dazu könnte auch zählen, den Konzernsitz in die USA zu verlegen.
Zwar hatte Marchionne noch im Mai betont, ein Standortwechsel stehe momentan nicht auf der Agenda. Doch die Spekulationen in den Medien bleiben. Denn es gäbe gute Gründe, den Fiat-Chrysler-Konzern aus den USA heraus zu führen und ihn auch an der New Yorker Börse zu notieren: Hier sitzen die Käufer, hier sitzen die Investoren, und die US-Politik gilt überdies als sehr wirtschaftsfreundlich.
Chrysler wird im Konzern immer stärker
Innerhalb des Konzerns sind die Amerikaner schon heute der starke Part. Im ersten Halbjahr stiegen die Chrysler-Verkäufe im Heimatmarkt um neun Prozent auf 908.000 Stück. Die US-Fabriken laufen auf Hochtouren, die Gewinne sprudeln. Ganz anders bei Fiat: Im November 2011 schloss der Hersteller eine Fabrik auf Sizilien, doch angesichts der Absatzkrise in Europa sind die verbliebenen fünf italienischen Werke weiterhin nicht ausgelastet. Fiat alleine schreibt Verluste, nur dank Chrysler verdient der gesamte Konzern am Ende Geld.
Wie dramatisch die Lage ist, zeigen auch die Zahlen des europäischen Autoverbandes ACEA: Während Italien vor zehn Jahren noch auf Platz elf der Auto-Produktionsländer lag, ist es heute Platz 21. Für etwas Beruhigung sorgte Marchionnes Versprechen, keine weiteren Werke im Land schließen zu wollen. Raffaele Bonanni, Chef der Gewerkschaften Cisl, übt sich in Zweckoptimismus: "Fiat hat bis jetzt investiert und investiert weiter, es hat keinen Grund zu gehen."
Noch käme eine Übersiedlung der Zentrale ohnehin nicht infrage: Fiat hält 58,5 Prozent an Chrysler, die restlichen 41,5 Prozent liegen beim Gesundheitsfonds der US-Autogewerkschaft UAW. Der Fonds hatte die Anteile für Zugeständnisse während der Chrysler-Insolvenz 2009 bekommen, als auch Fiat bei dem US-Hersteller einstieg. Marchionne möchte die Anteile übernehmen, um Chrysler voll kontrollieren zu können. Der Fonds verlangt allerdings mehr als doppelt so viel Geld wie Fiat bereit ist zu zahlen. Ein US-Gericht wird jetzt entscheiden - möglicherweise noch diesen Spätsommer. Die Italiener werden gespannt auf die Entscheidung schauen. (dpa)