Von Nico Esch, dpa, und Marco Engemann, dpa-AFX
Man nennt das neudeutsch wohl ein Statement: Wenn schon, dann gleich richtig. Und wenn schon die Nachricht an sich nach wochenlanger Spekulation niemanden mehr groß überrascht, dann zumindest die Dimension. Mit fast zehn Prozent auf einmal steigt der chinesische Geely-Konzern beim deutschen Autobauer Daimler ein.
Geely-Gründer Li Shufu ist kein Mann der kleinen Schritte. Aus dem Stand schwingt sich das Firmenimperium des weltweit umtriebigen Milliardärs zum größten Einzelaktionär der Schwaben auf. Mit durchaus positiven Folgen, wie Autoexperten meinen. "Geely ist für Daimler fast so etwas wie eine Familie Quandt bei BMW oder Porsche/Piëch bei VW", sagt Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen.
Für Daimler mit seiner eher kleinteiligen Eigentümerstruktur ist der Geely-Einstieg nichts Alltägliches. Platzhirsch war bislang der Staatsfonds Kuwaits mit knapp sieben Prozent, einen Ankeraktionär wie bei BMW oder VW haben die Stuttgarter nicht. Das, sagt Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft in Geislingen, sei ein Problem, was die Stabilität und auch den Schutz vor feindlichen Übernahmen angehe.
Auf rund 900.000 Aktionäre waren die Daimler-Anteile Ende des vergangenen Jahres verstreut. Neben Kuwait waren nur drei weitere überhaupt so groß, dass sie die Meldegrenze von drei Prozent überschritten. Daimlers Börsenwert lag zuletzt bei rund 75 Milliarden Euro, das Paket des Chinesen ist damit 7,3 Milliarden Euro schwer.
"Es ist mir eine Ehre"
"Daimler freut sich, mit Li Shufu einen weiteren langfristig orientierten Investor gewonnen zu haben, der von der Innovationsstärke, der Strategie und dem Zukunftspotential von Daimler überzeugt ist", verlautet es aus Stuttgart. "Es ist mir eine Ehre", sagt wiederum Li Shufu – und verspricht, genau das zu sein: ein Partner mit langfristigen Zielen. "Wir respektieren und schätzen die Kultur, die Werte und die Corporate Governance der Daimler AG."
Derzeit geht das Management um Vorstandschef Dieter Zetsche einen großen Konzernumbau an – da sollte der Großaktionär schon mitziehen, wenn es klappen soll. Zetsche und Finanzchef Bodo Uebber schwebt eine Holding vor, unter deren Dach drei separate Unternehmen stehen sollen: eines für Pkws und Vans, eines für Lastwagen und Busse, das dritte für Finanzdienstleistungen und neue Mobilitätsdienste.
"Daimler kennt und schätzt Li Shufu als chinesischen Unternehmer mit besonderer Kompetenz und Zukunftsorientierung, mit dem man den industriellen Wandel konstruktiv diskutieren kann", heißt es. Man zeigt sich zuversichtlich, dass Li den eingeschlagenen Weg mitgeht. Laut unbestätigten Berichten der "Financial Times" will der Chinese kommende Woche nach Deutschland kommen, um erste Gespräche zu führen.
Geely habe den Wert einer starken Marke erkannt – und auch, dass man die nicht mal eben aufbauen könne, sagt Diez. Angst, technologisch angezapft und ausgesaugt zu werden, müssten die Autobauer heute nicht mehr haben. "Da hat sich ja gezeigt: Das ist nicht so." Auch Dudenhöffer hält die Chinesen für einen Gewinn. Li sei ein langfristiger, gut berechenbarer Anker-Investor – und ein Stratege, der daran arbeite, einen der wichtigsten Weltkonzerne für Mobilität aufzubauen und gegen die Googles und Amazons in Stellung zu bringen.
Auch Li selbst verweist auf die "Eindringlinge von außen". "Den Kampf um die Zukunft des Automobils wird kein aktueller Branchenspieler allein gewinnen können", sagt er. "Aus dieser Herausforderung ergeben sich aber auch Chancen." Man brauche Freunde und Partner.
Am Erfolg des schwedischen Autobauers Volvo, den Geely 2010 dem US-Konzern Ford abkaufte und wieder auf Kurs brachte, lasse sich die Strategie erkennen, sagt Dudenhöffer: eigenständige Unternehmen und Achtung vor Premium-Marken. Getrieben von hohen Investitionen verdient Volvo Cars aktuell prächtig mit seinen SUV – insbesondere in China, dem wichtigsten Automarkt überhaupt.
Nun hat Daimler aber schon Partner in China – und betont das in seinem ohnehin eher nüchtern gehaltenen Geely-Statement auch extra. Die Geschäfte laufen blendend, 2019 sollen die ersten Fahrzeuge der neuen Elektro-Serie EQ auf den Markt kommen, und auch bei vielen modernen Mobilitätsdienstleistungen abseits des Kerngeschäfts hat man längst einen Fuß in der Tür. Da passt es ins Bild, dass der deutsche Autobauer mit dem langjährigen Partner BAIC Motor dort auch noch die Produktionskapazitäten der Marke Mercedes-Benz ausbauen will. Die Unternehmen investieren dazu rund 1,9 Milliarden US-Dollar (1,54 Millionen), wie BAIC am Sonntag gegenüber der Börse in Hongkong mitteilte.
Noch besserer Zugang zum chinesischen Markt
Was also haben die Schwaben von Geely? Ganz andere Ansätze und Zugänge zum chinesischen Markt, meint Dudenhöffer. "Geely ist das dynamischste Unternehmen von allen", sagt er und verweist auf die Tochter Lynk. Die will Autos mit Know-how von Volvo bauen und dann in wenigen Varianten komplett online vertreiben – ohne Händlernetz und monatelanges Warten. Oder der Fahrdienstanbieter Cao Cao, der Türen in China öffnen könne, die Daimler mit den eigenen Töchtern Moovel und Co. sonst womöglich verschlossen blieben.
Wenn Li sich für etwas entscheidet, setzt er die Sache oft auch ohne große Kompromisse um. Als es um die etwas ungewöhnliche Namensgebung für die neue Automarke Lynk ging, habe der Gründer einfach gesagt: "Lynk & Co, das ist das neue Geely." So erzählt dies Lynk-Chef Alain Visser. Damit sei die Diskussion dann beendet gewesen.
Profitieren könnten beide Seiten auch von Größeneffekten. Was Daimler bisher zwar mit Renault-Nissan schon auf kleiner Flamme mache, was in wirklich großem Stil derzeit aber nur VW mit Audi und Porsche gelinge – nämlich durch einheitliche Plattformen für verschiedene Marken die Kosten zu senken –, sei künftig durchaus denkbar. Und das, meint Dudenhöffer, könnte Daimler vor allem im Wettbewerb mit BMW helfen.
Li hat Geely 1986 gegründet und seitdem immer wieder erweitert. Die Gruppe verkaufte zuletzt 1,24 Millionen Autos im Jahr, 2018 sollen es knapp 1,6 Millionen sein. Volvo Cars kam zuletzt auf gut 570.000 Pkw. Auch beim Lkw-Bauer Volvo stieg Li groß ein. Ihm schwebe vor, Marken verschiedener Segmente zu einem Riesen zu formen, will die "Financial Times" erfahren haben: zu einer chinesischen Version von Volkswagen.