Von Heiko Lossie, dpa
Martin Winterkorn klingt derzeit oft nachdenklich. "In den vergangenen sieben Jahren hat sich unsere Branche stärker und schneller verändert als in allen Jahrzehnten zuvor", sagte er kurz vor Weihnachten bei einem internen Treff mit Führungskräften in Dresden. Die Zeitspanne der sieben Jahre macht der Volkswagen-Chef an Apples iPhone fest, das seit Ende 2007 mobiles Internet in jede Hosentasche bringt. Inzwischen griffen Firmen wie Google und Apple die Autowelt gezielt an, warnt Winterkorn. Die Attacke sei aber "Ansporn, uns noch intensiver mit den Chancen der digitalen Welt auseinanderzusetzen".
Anlass gibt es genug. Die Gerüchte um ein mögliches "iCar" von Apple versetzen die Autobauer in Aufruhr. Google testet Roboterautos und kauft das nötige Know-How dafür einfach zu, etwa beim Zulieferer Continental. Es geht ums Neuerfinden der Mobilität, nicht mehr ums Neuerfinden des Autos. Gedanken zu dieser revolutionären Kraft ziehen sich durch Winterkorns Reden. Der Autonarr liebt das Blechbiegen. Auf Messen prüft er mit Magneten die Lackschichten der Konkurrenz oder misst die Spaltmaße von Bauteilen. 1977 promovierte der Metallphysiker über die Suche nach feinsten Gaspartikeln in Edelmetallen, und zwar mit der Methode "tiegelfreie Heißextraktion im Ultrahochvakuum".
Nun trifft die Digitalisierung seine Branche. Autos werden Apps auf Rädern. "Technologische Umwälzungen können gerade für die Starken und Erfolgreichen zur Gefahr werden", warnt Winterkorn beim Neujahrsempfang der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. "Selbst in der 'Autostadt' Stuttgart", sagt der Schwabe Winterkorn, "hat sich die Zahl der Pkw-Besitzer unter 25 Jahren in nur einem Jahrzehnt mehr als halbiert: Von 13.000 auf nicht mal mehr 5.000." Auch darum betont er vor der IHK: "Wir machen das Auto mehr und mehr zum rollenden Smartphone."
Tiefgreifende Veränderungen
VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh sagt: "Digitale Technologien greifen tief in unser Unternehmen ein, in die Welt unserer Kunden und Beschäftigten." Die Wende sei Chance und Risiko zugleich. "In diesen Umbrüchen liegt eine mächtige Innovationskraft", betont Osterloh. Und natürlich will der VW-Konzern das automatisierte Fahren nicht der Konkurrenz überlassen. Das Audi-Flaggschiff A8 wird in der nächsten Generation ab 2017 bis Tempo 60 per Autopilot fahren. "Später sind per Update sogar bis zu 140 km/h möglich", kündigt Winterkorn an.
Selbst im kleinsten VW-Modell, dem Up, ist die Verbindungsfähigkeit mit den Smartphones inzwischen ein Standardextra. Und das wird weiter wachsen, vor allem über neue Grenzen hinweg. Zur Computermesse CeBIT zeigte VW schon, wie die Zukunft für Autobauer aussehen könnte. Eine in VW-Auftrag programmierte App erklärte Besuchern, wie sie am besten und billigsten zur Messe kommen: Neben dem Carsharing-Anbieter Quicar von VW gab es da außerdem noch Bus und Bahn oder Taxis.
Millimetergenaues Blech
Das klassische Geschäft - es ist ein Heimspiel für Winterkorn. Anfang 2015 zeigt er im VW-Pavillon in der Wolfsburger Autostadt den neuen Kompaktvan Touran. "Das hier", sagt Winterkorn, "können nur wir." Er deutet auf eine feine Kante oberhalb der Türen, die sich noch vor der Wölbung zum Dach wie eine Ziernaht bis zum Heck des Autos zieht. Dort findet sie, trotz der Unterbrechung an der Kofferraumklappe, auf dem angedeuteten Heckspoiler ihre Fortsetzung, und zwar millimetergenau.
Blech derart präzise zu biegen, gilt bei VW als Paradebeispiel für den vollendeten Karosseriebau. Und der Metallphysiker Dr. Winterkorn ist dort zu Hause. Einer seiner Nachfolger wird vielleicht einen Doktortitel haben für App-Programmierungen.
Branchenexperte Stefan Bratzel, der zu Managementfragen in der Branche forscht, betont: "Es geht ja um die Verheiratung von Vernetzung und Auto", sagt Bratzel. Mobilität werde neu definiert - und Autos seien nur ein Baustein in den fusionierten Welten zwischen Wohnen, Arbeiten, Freizeit und dem Transport dabei.
Peter Becker
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