Aktionärsschützer und Branchenexperten warnen vor einer massiven Verunsicherung bei einem länger anhaltenden Machtkampf an der VW-Spitze. Der insgesamt noch erfolgsverwöhnte Autobauer müsse aufpassen, sein Kapital bei kleineren Aktionären, aber auch bei vielen Beschäftigten nicht zu verspielen, sagte der Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Ulrich Hocker, am Freitag der Deutschen Presse-Agentur: "Es ist ja klar, dass nun nicht nur 600.000 Mitarbeiter erst einmal den Atem anhalten. Natürlich sieht man eine Verunsicherung."
Mit Blick auf die für den 5. Mai geplante Hauptversammlung von Europas größtem Autohersteller betonte Hocker, auch die Aktionäre erhofften sich von Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch Klarheit über dessen Motive für die Attacke auf Vorstandschef Winterkorn. "Das wird sicher eine der wichtigsten Fragen dort überhaupt sein. Nur mit sechs Worten der Indiskretion ist es nicht getan."
Hocker bezog sich damit auf eine Interview-Aussage Piëchs im "Spiegel". Sein Satz "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn" hatte vor zwei Wochen eine heftige Debatte um Winterkorns Zukunft ausgelöst. Die entstandene Unsicherheit spiegele sich auch in der Entwicklung der VW-Vorzugsaktie wider, deren Kurs seither an Wert eingebüßt habe.
"Spiegel": Piëch zunehmend unter Druck
Am Freitag meldete zudem der "Spiegel", Piëch gerate unter Druck. Er sei als Aufsichtsratsvorsitzender des VW-Konzerns nicht mehr tragbar, sagten mehrere Mitglieder des 20-köpfigen Kontrollgremiums. Am Donnerstag hatten die Deutsche Presse-Agentur, der NDR und die "Welt" übereinstimmend berichtet, Piëch versuche, die Ablösung von Vorstandschef Martin Winterkorn noch vor der VW-Hauptversammlung am 5. Mai zu betreiben. Nach den Informationen bat er bereits Anfang dieser Woche Porsche-Chef Matthias Müller, sich für einen Wechsel auf die Position des Vorstandsvorsitzenden bereit zu halten.
Aus Sicht des Branchenexperten Stefan Bratzel sollte der Streit um die Führung bei VW zügig beendet werden. "Der VW-Konzern kann sich einen Machtkampf nicht lange leisten, wenn man nicht im Wettbewerb zurückfallen möchte", sagte Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, der dpa. Volkswagen habe in den vergangenen zehn Jahren eine enorme Leistungsstärke entwickelt und stehe im Branchenvergleich trotz einiger Schwachpunkte derzeit noch sehr gut da. "Durch den Machtkampf werden die enormen Erfolge des einstmaligen Duos Winterkorn und Piëch ein Stück weit diskreditiert."
Volkswagen müsse sich nun wieder vollständig auf die drängenden inhaltlichen Aufgaben und Probleme konzentrieren. Möglichst bald sei eine Klärung der Frage nötig, wer den Konzern in die "20er-Jahre" führen werde, in denen viele neue Herausforderungen rund um die Vernetzung des Autos, autonomes Fahren, alternative Antriebe und neue Geschäftsmodelle warteten. (dpa)
HarHu
Frank Fehling