Handel und Hersteller fehlt es an gegenseitigem Vertrauen. Deshalb sind beide beim Thema Online-Kauf noch längst nicht da wo sie sein sollten – und könnten. Das ist kurz gesagt die zentrale Botschaft des Vortrags von Werner Söcker, beim diesjährigen AUTOHAUS Finanzgipfel in München. In diesem widmete er sich am Beispiel der BMW-Online-Vertriebsplattform für Lager- und Vorführwagen der herrschenden Diskrepanz aus wollen, müssen und können.
Die zur Wellergruppe gehörende B&K-Gruppe ist einer der Pilothändler für den Online-Shop für BMW. Allein diese Tatsache, dass ein Autohaus im Jahr 2021 noch ein Pilotbetrieb für den Online-Vertrieb sein könne, zeige, dass man das Thema zu lange verschlafen habe, so Söcker. "Ich habe gedacht, als es am Freitag den 13. März letzten Jahres losging mit dem Shutdown, dass die Hersteller alle ihren Online-Vertrieb aus der Schublade ziehen", erinnerte sich Söcker. Passiert sei aber zunächst rein gar nichts. Dabei gäbe es aus Kundensicht mittlerweile genug Menschen, die genau das wollen.
Die Kundensicht: Wollen
41 Prozent könnten sich bereits einen Online-Kauf vorstellen und zehn Prozent hätten es bereits getan, zitierte Söcker aus dem aktuellen DAT-Report. Vor allem letztere Zahl sei zwar aus seiner Sicht zu hoch gegriffen, aber selbst wenn nur zwei Prozent tatsächlich online kaufen, dann wolle man die als Autohaus auch haben – zusätzlich zur großen Mehrheit die nach wie vor ins Autohaus kommt, weil für sie Besichtigung, Probefahrt und persönliche Beratung unerlässlich seien, konstatierte Söcker.
Die Händlersicht: Müssen
Insofern sei für jeden Händler klar: Der Online-Vertrieb ist schon aufgrund der Kundenerwartung ein Muss. Hinzu komme: Andere Player drängen auf den Markt und beanspruchen das Geschäft für sich. Darüber hinaus verlange auch der Hersteller den Online-Vertrieb. Wolle der Handel mit den Herstellererwartungen und vor allem der neuen Konkurrenz mithalten, müsse er aktiv werden. So gelte es beispielsweise die Verkaufsprozesse einfacher zu machen, sich auf die unterschiedlichen Erwartungshaltungen von Online- und Offline-Kunden einzustellen und vor allem die persönliche Beratung als einzigartigen USP, den weder Hersteller noch neue Akteure in dieser Form bieten können, zu stärken.
Dass Hersteller und Händler beim Online-Vertrieb nicht schon viel weiter sind, liege nicht zuletzt an fehlendem Vertrauen: "Es gibt keine richtige Partnerschaft", diagnostizierte Söcker. So hätten beispielsweise die Händler stets Angst, sich überflüssig zu machen, sobald sie ihre Kundendaten herausgeben. "Das bremst uns", sagte Söcker. Seine Forderung: Beide Partner müssen aufeinander zugehen und jede Seite müsse das einbringen, was sie am besten leisten kann.
Die Erfahrungen von B&K mit dem Online-Vertrieb von BMW würden belegen, dass der Handel keineswegs überflüssig werde. So hätte B&K bis dato lediglich drei Fahrzeuge komplett online über die BMW-Vertriebsplattform verkauft. Umso mehr Kunden hätten dafür den Verkaufsvorgang kurz vor dem Verkaufsabschluss abgebrochen, weil sie Fragen hatten und Beratung durch das Autohaus wollen. 50 bis 60 Leads habe man auf diese Weise gewonnen, die Mehrheit davon Neukunden. 30 Prozent davon konnten in Verkäufe umgemünzt werden. "Das ist wirklich sehr gut", befand Söcker.
Die Herstellersicht: Können
Die Tatsache, dass viele Kunden den Online-Kaufvorgang abbrechen, zeige auch, dass die Hersteller den reinen Online-Verkauf auf eigene Faust schlicht nicht umsetzen können. Es gebe auf Herstellerseite schlicht nicht die nötigen Ressourcen, um den Beratungsbedarf der Kunden zu einem so komplexen Produkt wie einem Auto abzudecken. "Aktuell nimmt der Handel eine zentrale Rolle im Verkaufskanal der Hersteller ein!", analysierte der B&K-Geschäftsführer. Zu guter Letzt seien auch die Konfigurations- und Kaufprozesse beim Online-Kauf von Neuwagen für die Hersteller zu komplex, befand Söcker. Das zeige sich auch daran, dass im derzeitigen Shop nur Lager- und Vorführwagen angeboten werden. Die Hersteller müssten massiv in ihre IT-investieren um das zu ändern. All das zeige: Hersteller und Handel können nicht ohneeinander. Seinen Vortrag schloss Söcker daher mit dem Appell "Gemeinsam. Zukunft. Machen."
AUTOHAUS Finanzgipfel 2021
BildergalerieWas außerdem noch Thema war
Weitere Themen auf der von Ralph M. Meunzel (Chefredakteur AUTOHAUS), und Norbert Irsfeld, (geschäftsführender Gesellschafter Prudentes Management) moderierten Veranstaltung kamen unter anderem vom Moderator selbst: Irsfeld stellte zwei Zukunftsszenarien zur Entwicklung und Bedeutung des Automobilhandels als Vertriebskanal vor. Wie das "echte" Auto-Abo für Handel, OEM und Bankpartner zum Ertragsfeld wird, erläuterte hingegen Mathias R. Albert, CEO/ Founder von ViveLaCar.
Auto-Abo und Onlinevertrieb
Frank Schuran, Director Online Business, und Thomas Mengelkoch, Finanzdirektor Volvo Car Germany, MD VCFS Germany und MD VCIS Germany, wiederum gaben einen Einblick in den Online-Direktvertrieb des schwedischen Automobilherstellers mit der zentralen Rolle des Auto-Abos. Aus der Handelspraxis dazu berichtete Volvo-Händler Michael R. P. Hedtke (Geschäftsführender Gesellschafter im Autohaus Hedtke).
Digitale Finanzierungslösungen
Autohandel "verträglicher" gestalten durch ein intelligentes Vertragsmanagement – war das Thema von Nils Ebert, Head of Customer Value EMEA, DocuSign. Über echten Multichannel-Vertrieb inklusive digitaler Finanzierungslösung informierten Alexander Bühler, Leiter Vertrieb Automotive, und Marco Christ, Executive General Manager, beide Creditplus Bank. Die neue Rolle der Banken im Automotive-Bereich schließlich hatte Andrea Kemmer (Partner, Financial Services - CFO Services, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft) im Fokus.
Versicherung und Cybersicherheit
"Sind die alten Versicherungsmodelle im Autohaus noch zeitgemäß?", fragte Christian Sossna, Direktor Vertrieb Automotive bei AutoProtect. Als Lösung stellte er das Thema InsurTech im Automobilhandel vor.
Dem Thema Digitalisierung und Sicherheit schließlich widmete sich Cem Karakaya. Der Experte für Internetkriminalität und Geschäftsführer von Blackstone432 gab unter anderem Auskunft über aktuelle Maschen der Cyberkriminellen in Zeiten von Corona und informierte über soziale Netzwerke und die Fake-Nachrichten.