Von Wolfram Nickel/SP-X
Mein Haus, meine Familie, mein Kapitän: In den Wirtschaftswunderjahren waren die gesellschaftlichen Erfolgssymbole noch fest definiert und wer es beruflich "zu etwas gebracht hatte", zeigte dies besonders gern durch ein möglichst repräsentatives Fahrzeug. Ein Trend, den Opel vorantrieb, denn billigere Oberklassemodelle als den beliebten Kapitän gab es nicht und stylishere schon gar nicht. Geformt nach amerikanischen Vorbildern – Opel war noch Tochter von General Motors – wölbten sich beim Kapitän P des Modelljahrs 1959 die Panoramascheiben für eine Breitbildaussicht, die Kinogefühl wirkte wie bei Breitwand-Blockbustern. Was für den Fahrer gut war, gefiel den Fondpassagieren im Kapitän "P" (wie Panorama) wenig, denn gekrümmte Scheiben und schmale Türen erschwerten den Einstieg in die Chauffeurlimousine. Und so passierte das bis dahin Unvorstellbare: Der großformatige Aufsteiger-Opel verlor seine langjährige Führungsposition in der Oberklasse an die Sechszylinder mit dem Stern. Für die deutsche GM-Dependenz Anlass zu zeigen, wie schnell Amerikaner Autos erneuern können: Nach wenigen Wochen Entwicklungszeit rollte schon im Herbst 1959 der Opel Kapitän P 2,6 vom Fließband. Geradliniger und größer als der Vorgänger und mit mächtigem 2,6-Liter-Sechszylinder hinterm gewaltigen Chromkühler avancierte das Panorama-Flaggschiff für die 1960er Jahre zum meistverkauften Kapitän aller Zeiten.
Statussymbol "Großwagen"
Es ging aufwärts in der Bundesrepublik Deutschland vor 60 Jahren und das im Rekordtempo, wie alle amtlichen Wirtschaftszahlen vermeldeten. So kommunizierte das Kraftfahrtbundesamt mit 7,33 Millionen Autos einen neuen Höchststand der Motorisierung, damals gleichbedeutend mit einer Spitzenposition im europäischen Vergleich, allerdings gab es gleichzeitig auch einen deutlichen Rückgang der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Wer konnte, kaufte ein Auto und wer viel verdiente, zeigte dies über einen repräsentativen sogenannten "Großwagen". Diese imageträchtigen Limousinen lagen voll im Trend, wie 1959 eine Vielzahl brandneuer Sechszylinder zeigte - von Borgward (2,3 Liter P100) über Fiat (2100), Jaguar (MK 2), Mercedes (220) bis Rover (3 Litre). Aber auch die altgedienten BMW 502 erhielten eine Modellpflege. Viele frische Konkurrenten für den Kapitän, mit dem Opel seit 1948 nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa die Sechszylinder-Klasse zu bestimmen versuchte. Tatsächlich platzierte sich der stattliche Kapitän in den 1950ern hierzulande vorübergehend sogar auf Rang drei der Zulassungsstatistik hinter VW Käfer und Opel Olympia-Rekord und noch 1958 kam jeder zweite Sechszylinder auf deutschen Straßen aus Rüsselsheim. Schließlich waren die Luxus-Liner mit Blitz bei Firmenchefs und wohlhabenden Familienvätern populär, aber auch bei Taxiunternehmern und Behörden oder Prominenz aus Show und Sport – bis Designexperimente diesen Lauf abreißen ließen.
Aus dem automobilen Symbol des deutschen Wirtschaftswunders wurde ein Verlierertyp, als die Detroiter GM-Designer die Linien der Rüsselsheimer "Prominentenklasse" (Opel-Prospekt) im verspielten Panoramalook gestalten ließen mit einer unpraktischen coupéartigen Dachlinie. Gegenüber der vorhergehenden Generation verlor der Kapitän P zwei Drittel seiner Käufer, die damals übrigens noch fast jeden der raschen Modellwechsel mitmachten. War es doch gesellschaftlich en vogue, nach der jeweils neusten Automode gekleidet zu sein. Deshalb machte sich Opel berechtigte Hoffnungen, mit einem stilistisch gestrafften und in der Leistung gestärkten Kapitän im Modelljahr 1960 ein glamouröses Comeback zu lancieren.
60 Jahre Opel Kapitän P 2,6
BildergalerieDazu wurde die hintere Dachlinie des auf 4,83 Meter getreckten Sechssitzers - vorne gab es nur optional Einzelsitze - derart angehoben, dass der Fond mit Hut geentert werden konnte. Tatsächlich gab sich der Wagen insgesamt im Gardemaß, denn alle Panorama-Glasflächen wurden vergrößert, die Horizontale in der Linienführung betont und der gewaltige Chrom-Kühlergrill könnte es mit den großen Frontgittern heute aktueller SUV aufnehmen. Auch hinter dem Kühler des Kapitän tat sich viel: Der bis aufs Jahr 1936 zurückgehende Reihen-Sechszylinder bekam eine finale Vergrößerung von 2,5 auf 2,6-Liter und mehr Motorleistung von nun 66 kW/90 PS, so dass die Vmax auf 150 km/h kletterte. Damit war der Opel zwar etwas langsamer unterwegs als die vergleichbare Oberklasse von Mercedes, BMW und Borgward, aber die Elastizität und Drehmomententfaltung der Opel-Maschine erinnerte an bullige amerikanische V8-Kreuzer. Lag das Drehmomentmaximum von rund 190 Nm doch bereits bei 1.300 Touren an, perfekt für schaltfaule Fahrweise. Der dritte und höchste Gang des Schaltgetriebes ließ schon bei Schrittgeschwindigkeit einlegen, was jedoch den Ruf nach einer damals noch neuartigen Vollautomatik nicht verstummen ließ.
Ende 1960 war es soweit: Opel bot optional einen aus Detroit adaptierten, sanft und komfortabel schaltenden Dreigang-Vollautomaten an, für den sich fortan jeder dritte Kapitän-Käufer entschied. Ebenfalls keine Kritik kannten Kunden und Fachpresse an der Laufruhe des Antriebs, die erst ab Tempo 100 von damals üblichen stark vernehmlichen Windgeräuschen abgelöst wurde. Dann wechselte der von Opel als modische Sensation beworbene Bandtacho von grün und gelb auf einen roten Farb-Balken.
Dichtes Händlernetz, kurzfristige Verfügbarkeit und günstige Preise
Letztlich aber war es einmal mehr der Mix aus einem fast konkurrenzlos dicht gewobenen Opel-Händlernetz, kurzfristiger Verfügbarkeit - die Mercedes-Lieferzeiten betrugen bis zu anderthalb Jahre - und günstigen Preisen, der den Kapitän mit Führungsaufgaben in der Oberklasse betraute. "Mehr Wert für weniger Geld" lautete der Opel-Werbeslogan und tatsächlich gab es den Kapitän bereits für unter 10.000 Mark und damit billiger als den Vorgänger sowie alle Wettbewerber. Trotzdem zeigte der Kapitän genügend Noblesse, um "ein vertrauter Anblick vor den Portalen internationaler Hotels" zu bleiben, wie Opel-Plakate postulierten. Dass auch Handwerker und Landwirte die Zugfahrzeugtalente des Riesen schätzten, wurde dezent verschwiegen. Im Vergleich zum direkten Konkurrenten Mercedes 220 konnte Opel zeitweise mehr als doppelt so viele Einheiten vom Kapitän P 2,6 absetzen.
Nachdem Opel auch den bürgerlichen Rekord repräsentativer einkleidete, war es keine Überraschung mehr, dass die Marke mit dem Blitz in den Verkaufszahlen bis auf VW alle abhängte und Anfang der 1960er fast ein Viertel des deutschen Neuwagenmarktes beherrschte. Auch in Europa zählte die hessische GM-Dependenz zu den Größten, wozu Opels vorläufig höchster Marine-Dienstgrad entscheidend beitrug, gingen doch noch einmal rund zwei Drittel der Kapitän-Produktion in den Export. Insgesamt waren es in gut vier Jahren über 145.000 Einheiten, dies auch dank zeitgenössischer Accessoires wie der schicken Zweifarbenlackierung und einer innovativen Servolenkung, die den Kapitän zum Favoriten mancher Fabrikantengattin machte. So waren sie damals noch, die Zeiten als die Herren Hut trugen und die Damen Emanzipation via Führerschein zeigten.
Klaus Jansen