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50 Jahre Volvo 140: Kantig und cool wie Knäckebrot

20.09.2016 07:00 Uhr
1966 feierte Volvo mit dem ersten 144 den Produktionsbeginn der 140er-Familie.
© Foto: Volvo

Sie schienen Autos für die Ewigkeit zu sein. Vor allem aber sind die 140er die ersten Volvo in Millionenauflage. Langlebige Limousinen und Kombis mit klaren Linien, deren Sicherheitstechnik sogar die Gesetzgebung beeinflusste

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Von Wolfram Nickel/SP-X

Vielleicht musste ein solch unaufgeregtes Auto irgendwann aus dem Land der Knäckebrotbäcker kommen. Kantige Konturen, trocken-pragmatische Vierzylinder-Benziner sowie eine fast unvergängliche Frische, das waren die Zutaten, mit denen der viertürige Volvo 144 vor einem halben Jahrhundert vorfuhr - und alle Volvo-Fans verblüffte. Stand doch die skandinavische Marke bis dahin für die modisch rundlichen Formen des Buckel-Volvo und des Amazon, die sogar bei Concours d'Elegance Preise gewannen. Aber jetzt machte Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard alles anders. Seine Mission war es, ein neues, unverwechselbares Markendesign zu kreieren. Dazu zählten schlichte, kantig-klassische Linien ebenso wie das dritte Seitenfenster.

So prägten fortan die kastenförmigen Limousinen 142 und 144 sowie der riesige Kombi 145 das Image von Volvo als Hersteller fast unzerstörbar sicherer und funktionaler Familienfahrzeuge. Autos wie Panzer, von Amerikanern und Engländern gerne "Tank" genannt. Was Motorsporterfolge nicht ausschloss, wie die vom Volvo Competition Service geschärften 142 und 144 etwa bei der East African Safari oder der Baja-Rallye bewiesen. Vor allem aber wurde der Volvo 140 als erstes Modell aus Göteborg Produktionsmillionär und zusammen mit der Weiterentwicklung Volvo 240 bis heute der meistgebaute Volvo aller Zeiten. Ganz nebenbei gelang Volvo mit der Serie 140 der Durchbruch in Deutschland – was zuvor weder der Buckel-Volvo noch der Amazon vermocht hatten.

Dabei war der im August 1966 vorgestellte Volvo 144 technisch mit dem Amazon verwandt, tatsächlich wurden sogar die ersten Erprobungsfahrten der neuen Fahrzeuge im Karosseriekleid des Amazon durchgeführt. Einer bereits zehn Jahre alten Baureihe, die sich bei den Kunden solcher Popularität erfreute, dass sie bis 1970 parallel zum Nachfolger im Programm blieb. Zu diesem Zeitpunkt hatten der Volvo 140 in allen Karosserieformen und auch der luxuriöse Volvo 164 mit längerem Radstand und 3,0-Liter-Sechszylindermotor die Marke bereits auf einen bis dahin beispiellosen Höhenflug geschickt. Und Jan Wilsgaards Designlinien für die 140er und 160er – mit denen er sich gegen konkurrierende Entwürfe der italienischen Stardesigner Frua und Ghia durchgesetzt hatte – waren zum stilistischen Markenzeichen aller neuen Volvo geworden.

Volvo wurde zur Prestigelimousine

Gespart hatte die frische Volvo-Mittelklasse anfangs bei den Motoren, die aus dem Amazon übernommen wurden und weiterhin 55 kW / 75 PS bis 74 kW / 100 PS leisteten. Dennoch konnten sich die Vierzylinder im Wettbewerbsumfeld von Mercedes 200, BMW 1800/2000, Opel Rekord C oder Peugeot 404 sehen lassen. Einen Sprung nach vorn gab es im Herbst 1968 mit der Einführung des B20-Vierzylinders, der aus 2,0-Liter-Hubraum mindestens 60 kW / 82 PS und mehr Drehmoment freisetzte. Die später nachgelegte sportliche Spitzenversion Volvo 142 GT brachte es sogar je nach Markt auf 91 kW / 124 PS bis 103 kW / 140 SAE-PS und gewann auf Anhieb Kultstatus. Waren doch unter den vergleichbaren zweitürigen Europäern nur die Sechszylinder Opel Commodore GS/E und Ford Granada 3000 ähnlich temperamentvoll. Eigentlich aber trat dieses deutsche Duo gegen das im Herbst 1968 lancierte Volvo-Flaggschiff des Typs 164 an. Kennzeichnend für diese auch im Staatsdienst eingesetzte Prestigelimousine waren der um zehn Zentimeter auf 2,70 Meter verlängerte Radstand, ein mächtiger Chrom-Kühlergrill und die in Leder schwelgende Luxusausstattung.
 
Dabei folgte die Typenbezeichnung 164 der von Volvo mit dem 144 neu eingeführten Nomenklatur. Die "1" stand für die Baureihe, die zweite Ziffer – also die "4" oder die "6" - , indizierte die Zylinderzahl und die dritte Ziffer  - "2", "4" oder "5" - die Zahl der Türen. Während die Schweden mit ihrem Sechszylinder in den Verkaufszahlen gegen BMW, Mercedes und Jaguar aber nur Achtungserfolge errangen, fuhren alle Volvo 140er und 164er bei der Sicherheitsausstattung dem Markt voran.

Schließlich galt es weitere weltweite Sicherheitsstandards zu setzen – dies vor allem mit Blick auf die Durchdringung des amerikanischen Marktes. So besaßen die Volvo 140/164 nicht nur eine Sicherheitsfahrgastzelle mit Knautschzonen und Dreipunktsicherheitsgurten auf allen Plätzen, sondern auch neuartige Prallschutzdetails wie mit Kunststoffen gepolsterte Armaturen sowie eine Sicherheitslenksäule mit Sollbruchstelle. Maßstäbe in der Mittelklasse setzte zudem die Bremsanlage mit Scheibenbremsen an allen vier Rädern und zwei separaten Bremskreisen. Handlich wie Kleinwagen waren die Familienfahrzeuge dagegen dank des fast einzigartig kleinen Wendekreises von 9,25 Metern, nur die notwendigen Lenkkräfte erinnerten nachdrücklich an das tatsächliche Format der schwedischen Flaggschiffe.

Erfolg zog lange Lieferzeiten nach sich 

In Schweden eroberte Volvo so fast ein Viertel des Neuwagenmarktes und in Nordamerika hob die Nachfrage derart ab, dass die Kunden monatelange Lieferzeiten akzeptierten und die USA ab 1973 überdies global größter Volvo-Markt wurden. Drei Jahre später wählte die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA die zum Modell 240 weiterentwickelten Nordeuropäer sogar als Referenzfahrzeuge für die Definition künftiger Sicherheitsnormen. Auch in Deutschland war es das Thema Sicherheit, das Volvo einen Imagevorsprung brachte, der besonders Ford- und Opelfahrer zu Volvo-Fans machte.

Dazu beitragen konnte der eingängige Slogan "Sicherheit aus Schwedenstahl" unter provozierenden Werbeanzeigen, die sich im Gedächtnis verankerten. Sei es das Foto einer halbnackten Frau, deren Oberkörper vom Druckstreifen des Sicherheitsgurtes gezeichnet war und dazu die Erklärung: "Sie lebt. In ein paar Tagen wird nicht einmal mehr der Druckstreifen an den Unfall erinnern". Oder das Bild eines Menschen, der einen Totenschädel auf der Hand trägt und kommentiert: "Sein oder Nichtsein. Das ist die Frage für zwei Millionen Autokäufer in diesem Jahr. Einige entscheiden sich für Volvo. Sie entscheiden sich für das Sein". Drastische Werbung und eine souveräne serienmäßige Sicherheitstechnik, durch die sich Volvo in Deutschland aus dem Nischendasein befreite und seinen Jahresabsatz in kurzer Zeit fast versechsfachte. Dabei akzeptierten die deutschen Käufer sogar, dass die Typen 144 und 145 mit Abstand die teuersten Fahrzeuge ihrer Klasse waren.

Äußerliches Erkennungszeichen der Evolution der 140er-Reihe bis zur Serie 240 im Jahr 1974 waren vor allem Leuchteinheiten und Stoßfänger, die wie Jahresringe an einem Baum in mehreren Stufen an Umfang zunahmen. Mit Einführung der 240er- und 260er-Reihen entwickelten sich die klassischen Volvo schließlich zur Großfamilie mit fast unüberschaubar vielen Karosserieversionen. So blieben die Hinterradantriebsmodelle bis zum Jahr 1993 in Bestform. Vielleicht, um so dem damals neuen Modell 850 als erstem großen Volvo mit Frontantrieb wenigstens noch ihre kantigen Formen zu vererben.


50 Jahre Volvo 140

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