Ausgabe 08/2008: Von Doris Plate

GVO / Die Generaldirektion Wettbewerb will keine branchenspezifische GVO mehr. Darauf lässt die jetzt bekannt gewordene erste Version des Evaluierungsberichts schließen.Sand im GetriebeVon Doris PlateDie Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission will in Zukunft keine branchenspezifische Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) mehr für das Kfz-Gewerbe erlassen. Unsere Branche würde damit in Zukunft ebenso unter die Schirm-GVO fallen wie andere Branchen." Diesen Schluss zog Prof. Dr. Jürgen Creutzig aus dem ersten Entwurf des Evaluierungsberichts der EU-Kommission, der Anfang April bekannt wurde. AUTOHAUS-Redakteurin Doris Plate sprach mit dem Präsidenten des europäischen Kfz-Gewerbeverbandes Cecra über seine Einschätzung der Lage, die Auswirkungen und die weitere Vorgehensweise.AH: Herr Prof. Creutzig, Ihnen liegt der erste Entwurf des Evaluierungsberichts der EU-Kommission zur Wirkungsweise der derzeitigen GVO vor. Welche ersten Schlüsse ziehen Sie daraus?J. Creutzig: Die Generaldirektion (GD) Wettbewerb der EU-Kommission hat hier nicht nur einen Erfahrungsbericht zu Papier gebracht, sondern daraus auch Vorschläge entwickelt, die revolutionär sind. Wenn diese Vorschläge umgesetzt werden, ändern sie eine 23-jährige bewährte Tradition der EU-Kommission bezüglich der Wettbewerbspolitik. Vertragsklauseln rausAH: Was heißt das konkret?J. Creutzig: Dieses Papier kommt zu dem Ergebnis, dass es ab 2010 keine autospezifische Gruppenfreistellungsverordnung mehr geben soll. Schlimmer noch, dass die Herzstücke der Kfz-GVO aus Händlersicht wegfallen sollen. Das sind die so genannten "Vertragsklauseln", also beispielsweise das Recht des Händlers oder der Werkstatt, ohne Zustimmung des Herstellers seinen Vertrag zu übertragen, zu verkaufen, auf einen Kollegen des gleichen Fabrikats. Zu den Vertragsklauseln gehört auch die Notwendigkeit, dass der Autohersteller eine Kündigung, die er gegenüber dem Händler ausspricht, begründen muss und dass die Kündigungsfrist mindestens zwei Jahre sein muss. Verschwinden soll auch die Regel bezüglich der Schiedsgerichtsbarkeit. Eine Einrichtung, die sich in Europa bewährt hat.Die GD Wettbewerb ist der Auffassung, dass es sich bei diesen von mir genannten Klauseln um so genannte vertragsrechtliche Klauseln handelt, die in einem Wettbewerbswerk nichts zu suchen haben.AH: Warum nicht?J. Creutzig: Wenn man das beurteilen will, muss man Folgendes wissen: Schon 1985 ist die erste GVO für den Automobilsektor von der Kommission erlassen worden. 1985 hat die Kommission eine so genannte Vertragsklausel in die GVO aufgenommen, nämlich die Mindestkündigungsfrist von damals einem Jahr. In der zweiten GVO, die zehn Jahre später erlassen worden ist, kam eine zweite Vertragsklausel hinzu, nämlich die Schiedsgerichtsbarkeit. In der jetzigen GVO, die 2003 in Kraft getreten ist, sind zwei weitere Vertragsklauseln hinzugekommen. Jetzt sind es also vier. Wenn man den Trend sieht, hat die Kommission nicht etwa wegen der vertragsrechtlichen Qualität dieser Klauseln die Klauseln gestrichen, sondern diese im Gegenteil erweitert. Wenn jetzt die GD Wettbewerb die Vertragsklauseln von vier auf null herunterfahren will, muss sie dafür ganz überzeugende Gründe haben, und die sehen wir nicht. Überzeugungsarbeit gefordertAH: Was wird Cecra jetzt tun?J. Creutzig: Wir haben bereits alle nationalen Cecra-Mitgliedsverbände über den Stand der Dinge informiert – auch über unsere Position zu dem Thema. Wir haben alle nationalen Verbände gebeten, bei ihren nationalen Behörden vorstellig zu werden und die Cecra-Meinung zu präsentieren. Ich hoffe, dass das Einfluss hat auf die Entscheidung des "Advisory Committees" (beratender Ausschuss, Anm. d. Redaktion) der nationalen Wettbewerbsbehörden. Wenn die GD Wettbewerb die Vorschläge der nationalen Wettbewerbsbehörden zur Kenntnis nimmt und bereit ist, auch nur einen einzigen dieser Vorschläge zu übernehmen, was sie ja nicht muss, dann werden wir vielleicht noch Veränderungen sehen. Der endgültige Text wird dann am 28. Mai im Amtsblatt der Kommission veröffentlicht. Dann hat jedermann das Recht und die Möglichkeit, innerhalb einer dann dort festgelegten Frist zu reagieren. Cecra ist bereits beim Europäischen Parlament und bei verschiedenen anderen Mitgliedern der EU-Kommission tätig und versucht Überzeugungsarbeit zu leisten. Die nationalen Mitgliedsverbände müssen in ihren jeweiligen Ländern Überzeugungsarbeit leisten, denn auch der Ministerrat wird sich mit dem Thema beschäftigen. Alle Länder sind also aufgefordert, sich aktiv in diese Arbeit einzubringen.AH: Was befürchten Sie für die Branche, wenn die Kommission bei ihrer derzeitigen Einschätzung bleibt?J. Creutzig: Wenn dieser Text so umgesetzt wird, wäre das der schlechteste Fall von allen. Es ist verfrüht, darüber zu spekulieren, was das genau bedeuten würde. Ich denke aber, dass es bei Händlern und Herstellern zu einem Stillstand der wirtschaftlichen Entwicklung kommen würde. Wenn es keine Regelungen autospezifischer Art mehr gibt, dann finden irgendwelche Regelungen aus irgendeiner ebenfalls zu erneuernden Schirm-GVO Anwendung.Weil diese zeitgleich mit der jetzt geltenden Kfz-GVO ausläuft, weiß keiner im Augenblick, wie diese in der Zukunft genau aussehen wird, welche Freiräume, welche Möglichkeiten sie geben wird. Das heißt, nicht nur die Händler leben in Unsicherheit, sondern auch die Hersteller. Das bindet Kräfte im juristischen Bereich, die dringend im wirtschaftlichen Bereich benötigt werden. Wir müssen uns auf den Markt konzentrieren und können uns nicht noch durch irgendwelche juristischen Finessen aufreiben. Deshalb wäre es – wenn die EU unsere Branche stützen will – hilfreich, wenn die Kommission unsere derzeitige GVO verlängern und nicht neuen Sand ins Getriebe streuen würde.

Ausgabe 08/2008: Von Doris Plate

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