Steuerrecht: Nachforderungszinsen verfassungsmäßig?

Das bereits länger anhaltende Niedrigzinsniveau ist nicht nur ein Dauerthema für Sparer, sondern hält auch die Rechtsprechung in Atem. Dies ist wenig verwunderlich, wenn man sich überlegt, dass der Steuerzinssatz seit über 50 Jahren 0,5 Prozent pro vollem Monat - also sechs Prozent pro Jahr - beträgt. Vergleicht man hiermit die Zinsen auf Tages- und Festgeldkonten und die Überlegung einiger Banken, Negativzinsen für Sparer einzuführen, so geht der Steuerzinssatz mit sechs Prozent pro Jahr völlig an der Realität vorbei. Aber immer der Reihe nach: Zunächst sollen die gesetzlichen Grundlagen der Festsetzung von Zinsen erläutert und anschließend die wichtigsten Urteile und anhängigen Verfahren vorgestellt werden. Es gibt verschiedene Arten von steuerlichen Zinsen. Der häufigste Fall ist die Verzinsung von Steuernachzahlungen bei Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer. Es werden Zinsen festgesetzt, wenn die Steuer 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres erstmals festgesetzt oder geändert wird. Der Zinslauf endet mit der Steuerfestsetzung, d. h. mit Bekanntgabe des Steuerbescheids. Beispiel: Auf Grund einer Betriebsprüfung für die Jahre 2012 bis 2014 ergab sich eine um 30.000 Euro höhere Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2014. Der geänderte Steuerbescheid wurde am 18.04.2018 bekannt gegeben. Verzinst wird der Betrag in Höhe von 30.000 Euro vom 01.04.2016 bis 18.04.2018. Es zählen nur volle Monate und der angefangene Monat April 2018 bleibt deshalb außer Betracht. Der Betrag von 30.000 Euro ist damit für 24 Monate mit 0,5 Prozent pro Monat zu verzinsen. Die Nachforderungszinsen betragen daher 3.600 Euro. Steuerlicher Zinssatz bis einschließlich 2013 Die Rechtslage bis einschließlich 2013 scheint aus Sicht des III. Senats des BFH weitgehend geklärt zu sein. Ob dies so ist, werden aber die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zeigen. Der III. Senat des BFH hat mit Urteil vom 09.11.2017, veröffentlicht am 27.02.2018 unter dem Aktenzeichen ("Az.") BFH III R 10/16, die Verfassungsmäßigkeit des Steuerzinssatzes bestätigt. Der Zinssatz verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, da bei allen Steuerpflichtigen der gleiche Zinssatz zugrunde gelegt wird. Nach Auffassung des III. Senats verstößt der Zinssatz auch nicht gegen das Übermaßverbot. Denn nach einer Untersuchung der Deutschen Bundesbank liegen die Zinssätze für verschiedene kurz- und langfristige Einlagen und Kredite für das Jahr 2013 zwischen 0,15 Prozent und 14,70 Prozent. Daher kommen die Bundesrichter zu dem doch etwas fragwürdigen Schluss, dass der steuerliche Zinssatz von sechs Prozent in der Bandbreite zwischen 0,15 Prozent bis 14,70 Prozent liegt und folglich verfassungsgemäß ist. Steuerlicher Zinssatz ab 2014 Völlig offen und ungeklärt ist die Verfassungsmäßigkeit des steuerlichen Zinssatzes ab 2014. In einer ersten Entscheidung des BFH hat der IX. Senat mit Beschluss vom 25.04.2018 (Az. BFH IX B 21/18) erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des steuerlichen Zinssatzes ab dem Jahr 2015 geäußert. Nach Auffassung des IX. Senats verstößt die Höhe des Zinssatzes mindestens ab 2015 gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und gegen das Übermaßverbot. Interessanterweise erteilt der IX. Senat der Argumentation des III. Senats eine Absage. Denn die Obergrenzen der herangezogenen Untersuchung von 14,70 Prozent beruhen auf Sonderfaktoren, die nicht als Referenzwert für ein realitätsgerechtes Leitbild geeignet sind. Nach Ansicht des IX. Senates liegt ein strukturelles und nachhaltiges Niedrigzinsniveau vor. Der Beschluss des IX. Senats erging in einem Eilverfahren und eine Entscheidung in der Hauptsache bleibt abzuwarten, wird aber wohl nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Derzeit sind noch zwei Verfahren vor dem BFH zur Verfassungsmäßigkeit des steuerlichen Zinssatzes anhängig. Bei dem III. Senat ist ein Verfahren (Az. BFH III R 25/17) für den Zeitraum 2012 bis 2015 und beim IX. Senat ein Verfahren (Az. BFH IX R 42/17) für den Zeitraum 2014 bis 2016 anhängig. Die Vorinstanzen, FG Münster und FG Berlin-Brandenburg, hielten den Zinssatz für den jeweiligen Zeitraum für angemessen. Angesichts der unterschiedlichen Auffassung des III. Senats und des IX. Senats ist derzeit nicht abzusehen, ob aus Sicht des BFH der Zinssatz für steuerliche Nachforderungszinsen ab dem Jahr 2014 verfassungsgemäß ist. Im Ergebnis wird der BFH wohl die für 2018 angekündigten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Auffassung des BVerfG Bisher hat sich das Bundesverfassungsgericht lediglich zu den Jahren 2003 bis 2006 geäußert und die Verfassungsmäßigkeit des steuerlichen Zinssatzes für diesen Zeitraum bestätigt. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht durch zwei Verfassungsbeschwerden die Möglichkeit bekommen, eine klare Rechtslage ab 2009 zu schaffen. Durch die Verfassungsbeschwerden sollen die Fragen geklärt werden, ob der steuerliche Zinssatz für den Zeitraum ab 2009 bis einschließlich 2011 (Az. 1 BvR 2237/14) und ab 2012 (Az. 1 BvR 2422/17) verfassungswidrig ist. Beide Verfahren sind in der Jahresvorschau 2018 des Bundesverfassungsgerichts enthalten. Es ist daher noch mit Entscheidungen in 2018 zu rechnen. Wie diese Entscheidungen aber aussehen, kann derzeit nicht vorausgesagt werden. Vorgehensweise in der Praxis Soweit die Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, sollte auf jeden Fall gegen Zinsbescheide ab dem Jahr 2014 Einspruch eingelegt und unter Bezugnahme auf die aktuelle BFH-Rechtsprechung sowie die anhängigen Verfahren beim BFH und Bundesverfassungsgericht das Ruhen des Verfahrens beantragt werden. Sofern die Einspruchsfrist für Zinsfestsetzungen vor 2014 noch nicht abgelaufen ist, sollten die Erfolgsaussichten eines Einspruchs sorgfältig abgewogen werden. Zinsfuß bei Pensionsrückstellungen Das niedrige Zinsniveau wirft nicht nur die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit steuerlicher Nachforderungszinsen auf, sondern auch, ob der Zinsfuß für die Abzinsung von Pensionsrückstellungen noch der Realität entspricht. Pensionsrückstellungen sind in der Handelsbilanz und in der Steuerbilanz abzuzinsen. Es wird somit nicht die Höhe der späteren Pensionszusage ausgewiesen, sondern der Betrag, welcher zum Bilanzstichtag angelegt werden müsste, damit die Pensionszusage im Pensionsfall erfüllt werden kann. In der Handelsbilanz ist für die Abzinsung der durchschnittliche Marktzinssatz laut Bundesbank zu verwenden. Je niedriger demzufolge das Zinsniveau ist, desto höher muss der anzulegende Betrag am Bilanzstichtag sein, damit die Pensionszusage später erfüllt werden kann. Dies führt bei einem niedrigen Zinsniveau zu hohen Pensionsrückstellungen und einem niedrigeren Eigenkapitalausweis. Der Gesetzgeber hat auf diese Folge reagiert - nicht aber auf die Ursache - und den Betrachtungszeitraum für den durchschnittlichen Marktzinssatz von vormals sieben auf zehn Jahre ausgedehnt. So beträgt der Zinsfuß zum Beispiel 3,74 Prozent bei einer Restlaufzeit von 15 Jahren im Oktober 2017. In der Steuerbilanz ist der Zinsfuß für die Abzinsung von Pensionsrückstellungen seit 1982 unverändert bei sechs Prozent. Da der steuerliche Zinsfuß mittlerweile deutlich höher ist als der handelsrechtliche Zinsfuß, sind Rückstellungen in der Steuerbilanz niedriger bewertet als in der Handelsbilanz. Ob der steuerliche Zinsfuß von sechs Prozent für die Abzinsung von Pensionsrückstellungen in dem derzeitigen Niedrigzinsniveau noch angemessen ist, ist Gegenstand eines Verfahrens beim FG Köln (Az. FG Köln 10 K 977/17). Nach Auffassung des FG Köln ist der Gesetzgeber zwar zur Typisierung des Zinsfußes befugt, jedoch muss er in regelmäßigen Abständen die Realitätsnähe überprüfen. Der seit 1982 unveränderte Zinsfuß von sechs Prozent hat sich so weit vom Kapitalmarktzins entfernt, dass Pensionsrückstellungen in der Steuerbilanz systematisch zu niedrig bewertet sind. Das FG Köln hat daher am 12.10.2017 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des Zinsfußes einzuholen (Az. BVerfG 2 BvL 22/17). Kurzfassung 1. Die Rechtslage bezüglich des steuerlichen Zinssatzes ist ab 2014 völlig offen und ungeklärt. Auch für den Zeitraum davor bleibt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten.2. Auf jeden Fall für noch offene Zinsbescheide ab 2014 sollte Einspruch eingelegt und Ruhen des Verfahrens beantragt werden.3. Es bestehen erheblich Zweifel, ob der steuerliche Zinsfuß für Pensionsrückstellungen verfassungsgemäß ist. Eine entsprechende Vorlage ist beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Kommentar Steuerliche Nachforderungszinsen mögen mit jährlich rund zwei Milliarden Euro eine sprudelnde Einnahmequelle des Staates sein. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass zum Schutz der Bürger auch die Finanzierung des Staatshaushaltes dem Gleichheitssatz und dem Übermaßverbot unterliegt. In Zeiten eines anhaltend niedrigen Zinsniveaus sollten daher die steuerlichen Nachforderungszinsen der tatsächlichen Lage angepasst werden. Denn Ziel der Verzinsung ist es nicht, den Bürger zu bestrafen, sondern den Vorteil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige wegen des ihm zur Verfügung stehenden Steuergeldes hatte. In der Realität schaut das aber leider ganz anders aus!Maximilian Appelt Rechtsanwalt, Steuerberater www.raw-partner.de

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