Automobilvertrieb 2030: Keine einschneidenden Veränderungen bislang

Die Strukturen im automobilen Vertriebssystem sind - insbesondere im Vergleich zur Transformationsdynamik in anderen Branchen - als äußerst stabil zu bezeichnen. Weder Anpassungen bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen noch gesellschaftliche oder technologische Trends haben bislang den in zahlreichen Publikationen angekündigten Strukturbruch herbeigeführt. Das vielzitierte "wheel of retailing" dreht sich vor diesem Hintergrund bislang eher langsam. Einen maßgeblichen Beitrag zur Stabilität des etablierten Vertriebssystems leisten sicherlich die spezifischen Charakteristika des Produkts "Automobil": Dazu zählen insbesondere das anspruchsvolle Preisniveau, die zeitlich ausgedehnten Beschaffungsintervalle, die hohe technische Komplexität, die Erklärungsbedürftigkeit sowie eine meist hohe emotionale Beeinflussung des Kaufentscheidungsprozesses. Hinzu kommen logistische Anforderungen, da der Verkauf eines Fahrzeuges häufig mit der Rückgabe beziehungsweise Inzahlungnahme des bislang genutzten Fahrzeuges verbunden ist. Innerhalb der Nutzungsphase treten wiederum Wartungs- und Reparaturbedarfe auf. Autohaus als Komplettbetrieb Die dargelegten Spezifika haben schon zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zur Betriebsform des Autohauses als Komplettbetrieb geführt. Sie genießt auch heute noch eine hohe Kundenakzeptanz. Rund ein Jahrhundert dominiert diese Betriebsform mit ihren Neuwagen-, Gebrauchtwagen-, Werkstatt- und Teile- beziehungsweise Zubehörbereichen die Retail-Ebene und erfüllt nach wie vor die Kundenanforderungen bezüglich der Automobilität. Auch die vertikale Vertriebssystemgestaltung zeichnet sich bislang durch stabile Strukturen aus und ist durch eine Großund eine daran angegliederte Einzelhandelsstufe geprägt. Die Großhandelsstufe besteht in der Regel aus herstellereigenen Tochtergesellschaften oder herstellerdominierten Importeuren, während auf der Einzelhandelsstufe vornehmlich Vertragshändler und vereinzelt herstellereigene Niederlassungen agieren. Erweiterte Absatzkanalstrukturen mit E-Commerce-Optionen befinden sich vielfach in der Erprobungsphase. Entgegen dieser wenig dynamischen Entwicklungen im Bereich der Absatzmittler, haben in den vergangenen Jahren insbesondere die Online-Medien zu einer Pluralisierung der Absatzwege - beispielsweise durch Online-Plattformen für die Neuwagenvermittlung - beigetragen. Die Steuerung der automobilen Vertriebssysteme unterliegt allerdings weiterhin den Automobilherstellern, die über die sogenannte System- und Marketingführerschaft maßgeblichen Einfluss auf alle Aktivitäten der Vertriebsstufe nehmen. Nicht zuletzt die kontinuierliche Erhöhung der Herstellervorgaben gegenüber den Vertragshändlern führte in den vergangenen Jahren zu einer deutlichen Konsolidierung auf der Handelsstufe. Strukturbrüche: andere Branchen als Alarmsignal Insbesondere die Digitalisierungsbestrebungen hinsichtlich des Vertriebs haben in der vergangenen Dekade radikale Veränderungen in den Handelslandschaften einzelner Branchen erzwungen und bisher physische Geschäftsmodelle obsolet gemacht. Beispiele wie Netflix, Spotify oder Airbnb sind hinlänglich bekannt. Damit dem Automobilhandel kein vergleichbares Schicksal widerfährt, gilt es, die tradierten Strukturen kontinuierlich in Richtung der neuen Kundenanforderungen auszurichten. Aktuelle Trends und Treiber Grundlage für die Ableitung von Zukunftsszenarien für den Automobilvertrieb bilden die aktuellen Branchentrends und -treiber, beziehungsweise deren systematische Ableitung. Dies erfolgt innerhalb der Studie mittels eines zweistufigen Modells. Die Makro-Analyse ist dabei als Bestandsaufnahme relevanter Publikationen, die die Entwicklungen im Automobilvertrieb ganzheitlich abdecken und nach dem Jahr 2000 veröffentlicht wurden, aufzufassen und weist die wesentlichen Veränderungsfelder aus. Diese 26 identifizierten Veränderungsfelder lassen sich wiederum vier Faktorengruppen zuordnen ( siehe Abbildung 1). Um die aktuelle Relevanz der Einzelfaktoren bewerten zu können, werden diese mit beschreibenden Attributen versehen und die Häufigkeit deren Nennung mittels einer Volltextsuche in acht Fachzeitschriften ermittelt. Die Häufigkeit der Nennung lässt Rückschlüsse auf die aktuelle Bedeutung der einzelnen Felder zu. Die jeweilige Anzahl an Fundstellen kann den Werten in den Klammern entnommen werden ( siehe Abbildung 1). "Technology Push" spürbar Sowohl die Inhaltsanalyse als auch die Wirkungsketten zwischen den Veränderungstreibern und deren potenziellen Auswirkungen auf die Strukturen im Automobilvertrieb lassen darauf schließen, dass die Veränderungen vielmehr auf einen sogenannten "Technology Push" und weniger auf einen "Customer Pull" zurückzuführen sind. Es sind also vorrangig neue Technologien im Umfeld der Digitalisierung, die als Ursprung für Veränderungsprozesse im Automobilvertrieb auszumachen sind. In einem darauffolgenden Schritt entscheiden dann die Kunden, inwiefern sie die neuen Technologien akzeptieren und damit notwendige Anpassungen hinsichtlich der Vertriebs- und Servicestrukturen einfordern. Digitalisierung treibt die Branche Aufgrund der Dominanz des Veränderungsfeldes "Digitalisierung" werden hierzu im Rahmen dieses Beitrags die einzelnen Aspekte exemplarisch dargelegt. Übertragen auf den Automobilvertrieb lassen sich die Auswirkungen der Digitalisierung in vier Aktionsfelder einteilen: Online-Medien der Kundeninteraktion, Connected Car, automatisiertes Fahren und E-Commerce ( siehe Abbildung 2). Innerhalb der einzelnen Aktionsfelder werden Kunden-, Fahrzeug- oder Fahrerprofildaten generiert, die wiederum für nahezu alle Prozessen entlang des Verkaufsprozesses relevant sind. Die Vertriebsverantwortlichen sind daher dazu angehalten, den Einfluss der Digitalisierung auf jegliche internen und externen Prozesse zu berücksichtigen. So führte beispielsweise die Digitalisierung bereits zu einer Pluralisierung der Kundeninteraktionspunkte in den frühen Phasen des Verkaufsprozesses. Diese Entwicklung nutzten insbesondere intermediäre Akteure, die sich mit neuen Online-Geschäftsmodellen an den digitalen Kundenschnittstellen positionierten. Nicht zuletzt deswegen haben Intermediäre mittlerweile einen massiven Einfluss auf die Lenkung von Kundenströmen und somit auf die Beeinflussung der Kaufentscheidung. Die Verantwortlichen auf Hersteller- und Handelsebene sind also dazu angehalten, einer weiteren Integration von Intermediären innerhalb des Verkaufsprozesses entgegenzuwirken und sich konsequent an der Kundenschnittstelle zu positionieren. Andernfalls laufen sie Gefahr, in ein zunehmendes Abhängigkeitsverhältnis mit zahlreichen negativen Folgen für die etablierten Vertriebsakteure zu geraten. Zusammengefasst werden die beobachtbaren Entwicklungen zu einem Wechsel vom Mono- zum Omni-Channel-Vertrieb führen. Hintergrund In seiner Dissertation untersucht Dr. Benedikt Maier den Einfluss von Megatrends auf die automobilen Vertriebsstrukturen. Anhand von Experteninterviews mit Händlern, Herstellern und Vertrieblern entwickelt er Szenarien. Die darauf aufbauende Befragung von Top-Level-Entscheidern der Branche ermöglicht die Bewertung von Eintrittswahrscheinlichkeiten der Zukunftsszenarien. Neue Serie Veröffentlichungsreihe mit Auszügen aus der Dissertation von Benedikt Maier.1. Strukturen im Automobilvertrieb: Rückblick und Status quo (AH 16/19)2. Zukunftsszenarien: Veränderungstreiber und mögliche Auswirkungen (AH 17/19)3. Störfaktoren - die großen Unbekannten in Zukunftsprognosen (AH 18/19)4. Gestaltungsempfehlungen für die Akteure des Automobilvertriebs (AH 19/19)

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