Abschalteinrichtungen: EuGH schließt Thermofenster

Mit einem Urteil vom 17. Dezember 2020 hat der EuGH aktuell zu verschiedenen Fragen der Auslegung der EU-Verordnung Nr. 715/2007 Stellung bezogen und klargestellt, dass auch sogenannte "Thermofenster" zur Vermeidung von Verschleiß oder Verschmutzung des Motors gegen die Verordnung verstoßen. Abschalteinrichtungen bezüglich der Abgasrückführung außerhalb der Testverfahren zur Typ-Genehmigung sind damit unzulässig, wenn sie nicht ausschließlich dazu dienen, den Motor in Anbetracht einer konkreten Gefahr während des Fahrzeugbetriebes vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen. Dem Urteil zugrunde liegt eine Voranfrage des Tribunal de grande instance Paris vom Oktober 2018 in einem Strafverfahren gegen VW wegen Betrug und Täuschung. Die Ermittler drohen mit erhöhten Strafen wegen Gefahr für Gesundheit von Mensch und Tier. Über die bekannte Thematik des EA-189-Motors hinaus besitzt die Entscheidung Bedeutung für alle Hersteller, bei deren Motoren Thermofenster Verwendung finden. Der Sachverhalt Angestoßen wurden die Ermittlungen durch Hinweise an die Staatsanwaltschaft aus politischen Kreisen. Es folgten auf Veranlassung der Ministerien für Gesundheit und für Ökologie Untersuchungen durch den nationalen Untersuchungsdienst SNE. Festgestellt und von einem späteren gerichtlichen Gutachten bestätigt wurde die in den bekannten Motoren verbaute Software-Programmierung, die außerhalb der Testkonditionen des NEFZ mit einer reduzierten Abgasrückführung arbeitet. Bezweckt werden sollte damit nach Angabe von VW im französischen Ermittlungsverfahren eine geringere Verschmutzung der Ansaugkanäle, der Ventile und der Verbrennungskammern zugunsten der Langlebigkeit und der Zuverlässigkeit des Motors und zugunsten der Einsparung von Wartungsaufwand. Bei Einsatz der reduzierten Abgasrückführung im Testverfahren zur Typ-Genehmigung wären die zulässigen Emissionsgrenzwerte nicht eingehalten worden. Im Ermittlungsverfahren hatte der Hersteller eine rechtliche Stellungnahme vorgelegt, dass die verwendete AGR- Steuerung nicht als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung Nr. 715/2007 zu bewerten ist. Die Vorlage an den EuGH diente der Klärung, wie die einschlägigen Bestimmungen der "Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typ-Genehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge" im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung zu verstehen sind. Die Vorschriften Art. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 bestimmt in Bezug auf die Schadstoffemissionen die gemeinsame Festlegung technischer Vorschriften für die Typ-Genehmigung von Fahrzeugen und emissionsmindernden Ersatzteilen. Darüber hinaus enthalten sind Bestimmungen für die Überwachung der Emissionen im Betrieb der Fahrzeuge, für die Dauerhaltbarkeit emissionsmindernder Einrichtungen, die Überwachung durch On-Board-Diagnose-Systeme und die Messung des Kraftstoffverbrauchs. Art. 4 verpflichtet den Hersteller zum Nachweis, dass seine Neufahrzeuge und seine neuen emissionsmindernden Ersatzteile über eine verordnungskonforme Typ-Genehmigung verfügen einschließlich Einhaltung der festgelegten Grenzwerte. Sicherzustellen hat der Hersteller, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges bei normalen Nutzungsbedingungen entsprechend der Verordnung wirkungsvoll begrenzt werden mit Kontrollpflichten über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren oder aber 100.000 Kilometer Laufleistung. Emissionsmindernde Einrichtungen sind über eine Laufleistung von 160.000 Kilometern zu prüfen. Art. 5 Abs. 2 verbietet die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern. Vom Verbot ausgenommen sind hier Einrichtungen, die - notwendig sind, um den Motor vor Beschädigungen oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten - nicht länger arbeiten, als zum Anlassen des Motors erforderlich - Gegenstand des Typ-Genehmigungsverfahrens, also auf die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte getestet sind. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung definiert den Begriff der Abschalteinrichtung als "ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird". Der EuGH Die ihm vorgelegten Fragen beantwortet der EuGH klar restriktiv und nicht im Sinne der Hersteller. Unter den Begriff "Konstruktionsteil" bzw. Konstruktionselement im französischen Text der Verordnung subsumiert er sowohl mechanische als auch elektronische Bauteile, die die Aktivierung mechanischer Teile steuern. Dies auch wenn die Steuerungssoftware im Motorsteuergerät integriert ist, da es auf die Funktionsweise des Emissionskontrollsystems einwirkt und seine Wirksamkeit verringert. Die zweite Frage betraf den Begriff des Emissionskontrollsystems, welches vom Hersteller als System zur Überprüfung der primär bei der Verbrennung entstehenden Emissionen gewertet wurde. Unter dem Gesichtspunkt des Verordnungsziels, den tatsächlichen Ausstoß an Schadstoffen zu verringern, sieht der EuGH die Abgasnachbehandlung als Teil einer Maßnahme hierzu und damit auch als Teil der Kontrolle zur Erreichung eines verringerten Abgasverhaltens. Dies mit dem lebensnahen Hinweis, dass im Verfahren zur Typ-Genehmigung von Kraftfahrzeugen die Emissionen immer am Austritt aus dem Auspuff gemessen werden und es somit auf eine Differenzierung zwischen der Strategie zur Verringerung der Abgasemissionen vor oder nach ihrer Entstehung nicht ankommen kann. Auch den Begriff der "Abschalteinrichtung" sieht der EuGH mit der vorliegenden Software erfüllt. Ausgehend vom Wortlaut des Art. 3 Nr. 10 der V. 715/2007 zielt die Software durch Abschaltung der im Testbetrieb gefahrenen Abgasrückführungsrate darauf ab, die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen zu verringern, die beim normalen Betrieb und Einsatz von Fahrzeugen vernünftigerweise zu erwarten sind. Deshalb gilt nicht nur unter dem Aspekt von Art. 4, dass die Emissionsbegrenzung sowohl in der Prüfphase als auch bei der normalen Verwendung des Fahrzeuges ohne Einschränkung gewährleistet sein muss. Letztlich hatte sich der EuGH noch damit zu beschäftigen, ob die Abschalteinrichtung einem der drei Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung unterfällt und damit vom Verbot ausgenommen wird. In Frage kam hier lediglich die erste Variante, den Motor vor Beschädigungen oder Unfall zu schützen bzw. den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten. Auch hier gab es eine klare Absage. Die Richter prüften die Frage, ob "eine systematische Verbesserung der Emissionsüberwachung in Genehmigungsverfahren" durch den Beitrag der Abschalteinrichtung zur Verhinderung von Alterung oder Verschmutzung des Motors gerechtfertigt sein kann. Eine solche nach Umfang und Dauer längerfristig angelegte Strategie unterfällt nicht dem Zweck, den Motor vor einem Unfall oder Schaden zu schützen. Beide Begriffe sieht der EuGH vor dem Hintergrund des Verordnungszweckes im Zusammenhang mit Ereignissen, die in der Regel durch eine gewaltsame oder plötzliche Ursache eintreten. Schutzzweck sind die Vermeidung von plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden, nicht aber Ereignisse wie Verschmutzungen und hieraus resultierende Auswirkungen auf den Motor. Solche sind "grundsätzlich vorhersehbar und dem normalen Betrieb des Fahrzeuges inhärent", so dass der sichere Betrieb des Fahrzeuges dadurch nicht gefährdet sein kann. Kurzfassung 1. Der EuGH hat mit Urteil vom 17. Dezember 2020 entschieden, dass Thermofenster zur Vermeidung von Verschleiß oder Verschmutzung des Motors gegen die EU-Verordnung Nr. 715/2007 verstoßen.2. Für alle Hersteller gilt, dass Veränderungen der Abgasrückführungsrate außerhalb des Testverfahrens und über den Startvorgang des Motors hinaus nur dann keine verbotenen Abschalteinrichtungen darstellen, wenn sie ausschließlich dazu dienen, den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen.3. Längerfristig angelegte Strategien zur Vermeidung von Verschmutzungen widersprechen der Verpflichtung des Herstellers, die wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeuges auch bei normalen Nutzungsbedingungen sicherzustellen. Kommentar Dem Urteil ist eine deutliche Signalwirkung zuzuordnen für die Rechtsprechung in den einzelnen Mitgliedstaaten. In Deutschland sind in der zweiten Diesel-Klagewelle zahlreiche Verfahren gegen verschiedene Hersteller wegen der Thermofenster-Problematik anhängig, in die auch die Händler teilweise mit einbezogen sind. Nunmehr muss davon ausgegangen werden, dass Fahrzeuge mit Thermofenster im Sinne des Kaufrechts mangelhaft sind. Betroffen sind aber zumeist ältere Fahrzeuge, sodass überwiegend bereits Verjährung eingetreten ist. Ansonsten ist Nacherfüllung anzubieten, die vom Hersteller kostenfrei vorzunehmen ist. Im Neuwagenbereich kann Rückgriff auf den eigenen Lieferanten genommen werden. Eine Notwendigkeit zur sofortigen Rücknahme von Fahrzeugen besteht jedenfalls nicht.Rechtsanwalt Robert Glocker

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