Von Hannes Breustedt, Jan Petermann und Andrej Sokolow, dpa
Tesla "made in Germany": US-Starunternehmer Elon Musk hat bei der Verleihung des "Goldenen Lenkrads" die Bombe platzen lassen. Das erste europäische Werk seines E-Autobauers soll in der Nähe Berlins entstehen. Details blieben, wie so oft bei Musk, zunächst rar. Der Tech-Milliardär erklärte der verdutzten Moderatorin Barbara Schöneberger lediglich: "Berlin rockt!" Und dann verkündete der Viel-Twitterer, dass in der Fabrik Batterien, Antriebsstränge und Fahrzeuge gebaut werden sollen. "Giga Berlin", schrieb er an seine 29 Millionen Follower – garniert mit schwarz-rot-goldenen Herzchen.
Die Wahl für den Europa-Stützpunkt ist eine handfeste Überraschung, die in der Region schon jetzt für große Euphorie sorgt. Grundsätzlich stellt sich in der Autonation Deutschland aber sofort auch die Frage: Ist es eine Kampfansage an die heimische Industrie, die bei der E-Mobilität noch hinterherhinkt? Oder profitieren am Ende alle?
Ohne das Publikum einzuweihen, war Musk bei der Auszeichnung von «Auto Bild» und «Bild am Sonntag» aufgetaucht. Als er dann mit der entscheidenden Information herausrückte, dass man in der Nähe eine "Gigafactory" plane: großes Raunen im Saal. Die Menge war entzückt.
Fahrzeuge, Batterien, Antriebe
Tesla will das künftige Kompakt-SUV Model Y, Batterien und Antriebe südöstlich der Hauptstadt bauen. Wo genau die Fabrik hochgezogen werden soll, blieb zunächst noch unklar. Auf Nachfrage sagte Musk lediglich, das Werk solle in der Nähe des geplanten Hauptstadtflughafens BER entstehen. Am Mittwoch wurde dann aus Kreisen der Brandenburger Landesregierung bestätigt, dass die rund 35 Kilometer entfernt von Berlin gelegene Gemeinde Grünheide als Standort ausgewählt wurde. Tesla werde zudem ein Ingenieurs- und Designzentrum in Berlin ansiedeln, sagte Musk.
Tesla Model Y (2021)
BildergalerieDas ist eine kleine Sensation. Doch die Entscheidung beleuchtet auch einige kritische Punkte. Kann Musk, dessen Unternehmen bislang kaum Geld verdient und ehrgeizigen Zielen häufig hinterher hängt, halten, was er verspricht? In welchem Ausmaß profitiert der Standort durch Jobs und Investitionen? Und: Was bedeutet der Vorstoß des US-Rivalen für die eigenen deutschen Ambitionen in Sachen Elektroautos?
"Ich bin der Meinung, dass Konkurrenz das Geschäft belebt und die deutschen Premiumhersteller dadurch sicher zu stärkerer Leistung animiert werden", sagt Auto-Analyst Frank Schwope von der NordLB. Das Werk sei ein starkes Signal für E-Mobilität, könne gerade bei BMW und Daimler zu höheren Zielen führen. "Es zeigt zudem, dass man auch in Deutschland noch neue Werke eröffnen kann, wenn das Produkt stimmt."
Sicher ist: Die Ankündigung erhöht den Druck auf die Deutschen, bei dem Zukunftsthema in die Gänge zu kommen. "Europa ist ein Kernmarkt, Deutschland der Standort schlechthin", sagt Stefan Reindl, Chef des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) in Geislingen. "Aber die Wahl Berlins ist auch ein wenig der Symbolpolitik des Herrn Musk geschuldet. Der will mittendrin sein." Andere Regionen, die sich Hoffnungen machten – etwa das Emsland in Niedersachsen –, haben das Nachsehen. Im Wirtschaftsministerium in Hannover zeigte man sich zerknirscht, man sei bis zur letzten Minute im Gespräch gewesen.
Im Revier von VW, BMW und Daimler
Mit der Expansion rückt Tesla nun direkt ins Hoheitsgebiet von VW, BMW und Daimler vor. Volkswagen steckt in den kommenden Jahren Milliarden in den Aufbau einer rein elektrischen Fahrzeuggeneration. Die kürzlich im Werk Zwickau gestartete ID-Serie soll die E-Mobilität massenkompatibel machen – mit Einstiegspreisen unter 30.000 Euro pro Auto und mehreren hundert Kilometern Reichweite. Außerdem ist ab 2020 der Bau einer eigenen Batteriezellfabrik geplant. Ausgerechnet jetzt will der große US-Konkurrent im heimischen Revier mitproduzieren.
VW-Chef Herbert Diess jedenfalls sieht da kein besonderes Problem. "Wir teilen beide eine Vision", sagte Diess mit Blick auf die schärferen CO2-Regeln und Notwendigkeit, das E-Auto auch aus Klimaschutzgründen aus der Luxus-Nische zu bekommen. Auf der Bühne wandte er sich direkt an Musk: "Ich danke dir für deine Pionierarbeit, dafür, dass du uns mitziehst und antreibst. Elon ist wirklich ein Innovator."
Klar ist indes auch: Bei Ankündigungen von Musk ist generell Vorsicht geboten. Oft hat sich Tesla mit den ehrgeizigen Vorgaben schwergetan, Zeitpläne wurden häufig nicht eingehalten. Beim Model 3 – Teslas erstem günstigeren E-Auto, das der Firma den Weg in die Mittelklasse ebnen soll – rumpelte es beim Start gewaltig. Musk sprach angesichts der Schwierigkeiten von einer "Produktions- und Auslieferungshölle". Branchenexperte Reindl glaubt denn auch nicht, dass die Amerikaner den Deutschen im Volumengeschäft schon das Wasser reichen können.
Derzeit ist Tesla zwar Marktführer bei reinen E-Autos in Deutschland, bis Ende Oktober wurden in diesem Jahr 9.301 Wagen des US-Anbieters neu zugelassen. Aber die Produktionspläne etwa von VW stoßen schon in andere Dimensionen vor: Mittelfristig sind für den ID.3 330.000 Stück pro Jahr geplant, die dann freilich weltweit verkauft werden sollen.
Bei Daimler kommen – die Marke Smart mitgerechnet – bis Ende 2022 zehn reine E-Modelle auf den Markt. Man sieht einen Produktionsstart von Tesla hierzulande daher eher als Ansporn denn als Bedrohung. Der Präsident des deutschen Autoverbands VDA, Bernhard Mattes, nimmt es sportlich: "Sollten die Pläne in einigen Jahren umgesetzt werden, bedeutet dies einen weiteren Schub für die Elektromobilität."
Kosten besser im Griff
Zuletzt lieferte auch Tesla selbst positive Nachrichten. Beim Model 3 ist man inzwischen weitgehend in der Spur, beim Nachfolger Model Y geht es nach eigenen Angaben schneller voran als geplant. Auch beim ersten Werk außerhalb der USA – der "Gigafactory 3" in Schanghai – liegt man über Plan und hat bereits mit der Testproduktion begonnen. Trotz des Expansionsaufwands hatte Musk die Kosten zuletzt besser unter Kontrolle, so dass im dritten Quartal ein Gewinn übrig blieb.
Und was bedeutet die Ansiedlung für den Arbeitsmarkt? «"Für die Region Berlin-Brandenburg ist das geplante Werk ein Glückstreffer, der mit Zulieferern sicherlich 5.000 bis 10.000 neue Arbeitsplätze schaffen kann", sagt Schwope. Der Wettbewerb um hochqualifizierte Experten und Ingenieure könnte aber an Schärfe gewinnen – Tesla gilt bei vielen Fachkräften nach wie vor als hip. Der Tesla-Zulieferer Continental glaubt, es dürfte auch entscheidend sein, ob Musk neben dem geplanten "Ingenieurs- und Designzentrum" in Berlin auch tatsächliche Ressourcen für Forschung und Entwicklung in Deutschland ansiedelt.
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