Die Kanzlei Prüftreu – Beratung, Prüfung, Steuern – aus Frankfurt hat ihr diesjähriges Partnermeeting 2023 im Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach veranstaltet. Wirtschaftsprüfer Andreas Becker, der Sprecher der Kanzlei, führte in die Thematik der Neuausrichtung des Automobilvertriebs mit dem Agenturmodell ein.
Das Meeting gestaltete sich in Folge zu einem fundierten Ausflug ins HGB-Recht. Siehe da: Der Gesetzgeber unterscheidet im HGB nicht zwischen echter und unechter Agentur. Das wurde für alle Teilnehmer deutlich, was sich seit Inkrafttreten des HGB zum 1. Januar 1900 an gestalterischer Dimension in den §§ 84 bis 89b bis heute und nun in Zukunft zur vertriebspolitischen Gestaltung nach vorne entwickelt hat. Die Materie "Automobiler Agenturvertrieb" erfordert von allen zum besseren Verständnis ein intensives Beschäftigen mit der Materie. Vor lauter Komplexität! Das bedeutet für die geplante europaweite Ausdehnung des Agentursystems, dass individuelle Landesnormen ein paar Dinge anders sehen, als das deutsche HGB aus 1900. Meint, die europaweite Umsetzung wird eine zeitwährende Veranstaltung. Fünf oder gar zehn Jahre?
Es handelt sich beim Agenturmodell um ein völlig neues Geschäftsmodell, und dies geht mit einer kompletten Reorganisation des Vertriebs einher. Dr. Stefan Zweigle, Partner der Kanzlei Falkenstein Rechtsanwälte nahm, das Auditorium juristisch verständig für die neue "Agenturdimension" mit. Wichtige Anmerkung: "Es gibt grundsätzlich kein eindeutig 'überlegenes' Vertriebsmodell."
Gründer der Kanzlei Falkenstein ist Dr. Günter Falkenstein, seit 2009 Geschäftsführer des Porsche-Händlerverbandes. Und Porsche ist im VW-Konzern die einzige Marke, die am selektiven Vertriebssystem festhält. Mit anderen Worten: Wäre Porsche-Vorstandsvorsitzender Oliver Blume früher VW-Konzernchef geworden, er hätte vermutlich die Agentur 911er-germäß auf die Seite geschoben.
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Künftig wird der Vertragshändler in die Verkaufsorganisation des Herstellers eingegliedert. Wer gegenwärtig im IfA MarkenMonitor die Händlerzufriedenheitswerte mit den Herstellern mit der Durchschnittsnote 3,41 (!) zur Kenntnis nimmt, stellt fest, dass eine wichtige Ebene für die praktische Umsetzung des Agenturmodells löchrig macht: Vertrauen, um Geschäfte für einen anderen Unternehmer zu vermitteln bzw. in dessen Namen abzuschließen. Man muss die Realität sehen: Das Interesse des Herstellers steht vor den Eigeninteressen der Händler! Auch dem Kunden gegenüber!
Zweigle zeigte im Detail auf, welche erforderlichen Unterlagen der Hersteller seinem Agenten Autohändler kostenfrei zur Verfügung stellen muss. Dazu gibt es in der Literatur detaillierte Ausführungen. Auch hinsichtlich der Übernahme der IT-Kosten.
Provision für abgeschlossene Geschäfte
Ein weites Feld nahm der Anspruch auf Provision für alle abgeschlossenen Geschäfte ein. Der Anspruch entsteht, sobald der Hersteller das Geschäft ausgeführt hat. Dabei ist der vertragliche Umfang der Vermittlungstätigkeit entscheidend. Die Provision ist grundsätzlich monatlich abzurechnen. Der Hersteller kann sich vorbehalten, die Grundmargen und Boni einmal jährlich einseitig festzulegen. Das Kartellverbot gilt für den echten Handelsvertreter nicht. Maßgeblich für die Unterscheidung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter ist die Bewertung für den Grad der Eingliederung in das Unternehmen des Prinzipals, sprich Herstellers. Die Vertikal-GVO (EU) 2022/70 sieht Risikofaktoren vor, von denen der echte Agent weitestgehend zu entbinden ist. Es sollte eben aufgezeigt werden, welche Kosten wirklich eingespart werden, um dann die Provisionshöhe in Gänze solide festzulegen.
Abschließend stelle der Referent in einer Übersicht die Unterschiede vom Vertragshändler zur echten Agentur vor. In der Diskussion ging es um den Übergang des Vertragshändlersystems in die Agentur und die Erstattung bereits getätigter, marktspezifischer Investitionen.
14 Chancen und 14 Risiken
Norbert Irsfeld, Geschäftsführender Gesellschafter der Prudentes Management GmbH, widmete sich dem Agenturmodell aus ökonomischer Sicht, analysierte 14 Chancen und 14 Risiken, sprach von der noch mehr komplizierenden Doppelgleisigkeit im VW-System der Systeme zwischen der Agentur für E-Modelle und den Verbrenner-Modellen und meinte auf klare Aussage angesprochen: "Wenn ein Agentursystem für den Handel zu fahren ist, dann die echte Agentur."
Nachdem die Modifikation für den Kostenersatz für jeden Händler spezifische IT-Programme erfordert, wird das den "Cross"-erprobten VW-Konzern in Sonderheit fordern. Dennoch, das wurde deutlich von den Referenten sauber herausgearbeitet: Auch die unechte Agentur wirft für die Hersteller keinen Freifahrschein ab. Dafür hat die EU anhand der Leitlinien der GVO 2022/70 eine kartellrechtliche Abgrenzung vorgenommen. Es gibt also keine grenzenlose Vertragsfreiheit für den Hersteller.
Ergo: Die Verbände wie der ZDK und die Hersteller sollten für die praktische Umsetzung hinter den Agenturvorhang schauen lassen und die Sachverhalte offen erläutern, zumal jedes Autohaus all seine Mitarbeiter auf die Transmissionsreise für die erfolgreiche und konsequente Umsetzung der Agentur mitnehmen sollte. Auf dass das echte Agenturwerk gelinge!
Prüftreu-Partnermeeting 2023 - Zentrale Aussagen und Erkenntnisse
BildergalerieM&A in der Autohausbranche
Christian Just, CEO von der Ostbayerischen Mittelstandsbeteiligung in Regensburg, stellte am Beispiel der Avemo Gruppe vor, wie Mergers & Acquisitions-Strategien (M&A) für unterschiedliche Autohausgrößen zu gestalten sind. Bei Avemo waren es bekanntlich vier Handelsgruppen mit 38 Standorten (VW-Konzernmarken). Vier Jahre dauerte die praktische Umsetzung all der strategischen Transaktionsüberlegungen. Share-Deal, Asset-Deal? Derzeit gibt es ein Überangebot an Übernahmemöglichkeiten von Autohäusern. Was sind die Transaktionsgründe? Wie ist die steuerliche Einbringung zu gestalten? Teilnehmerfragen galten der Übernahme von kleineren und mittleren Unternehmensgrößen. Größere Handelsgruppen sind weniger an kleineren Betriebsgrößen interessiert. Diskutiert wurden auch Wachstumsstrategien mit weiteren Marken, vor allem aus China. Da fiel auffällig ein besonderes Auge auf BYD.
Andreas Becker rundete den substanziellen fachlichen Austausch mit dem Blick nach vorne ab. Auch 2024 wird für die Automobilbranche ein Ausnahmejahr werden. Seine Aussage mit Zuversicht: Der deutsche Markenhandel hat es bei allem Auf und Ab bis heute im Interesse seiner Kunden verstanden, erfolgreiche Antworten zu finden. Zukunft ist nicht, Zukunft macht man.