Ausgabe 03/2012: Bestmöglicher Kompromiss

Bestmöglicher KompromissSchmierstoffentwicklung E Die Fantasie der Motorenölentwickler gegen die nötige Komplexitätsreduktion in der Werkstatt. Zu möglichen Mittelwegen äußert sich Dr. Helmut Leonhardt, Leiter Entwicklung Motorenöle bei Shell.von Kerstin Hadrath und Peter DiehlDie Beschäftigung mit Motorölen gleicht einer Wissenschaft – nicht nur in den Laboren der Schmierstoffhersteller. Neue Anforderungen bedingt z. B. durch den Einsatz von Bio-Zusätzen, die Rückkehr längst bewältigt geglaubter Probleme und ein Wirrwarr an herstellerspezifischen Normen überfordern nicht nur den Autofahrer, sondern immer öfter auch die Werkstätten. AH: Immer diffizilere Motorkonstruktionen mit höheren Bauteiltemperaturen (Stichwort Downsizing) und angepassten Schmierstoffen auf der einen, Kraftstoffe mit immer mehr nicht langzeitstabilen Bio-Zusätzen auf der anderen Seite. In den Brennräumen und deren Peripherien treffen beide Seiten aufeinander. Was bedeutet das für die aktuelle und künftige Motorenölentwicklung?Dr. Leonhardt: Grundsätzlich stehen wir vor der Aufgabe, einen „bestmöglichen Kompromiss“ im Hinblick auf die Zusammensetzung unserer Motorenöle zu formulieren. Haupttrends sind dabei eine Kombination von Energieeffizienz und Robustheit auf der einen sowie eine Emissionssystem-Kompatibilität auf der anderen Seite. Diese nicht leicht zu vereinbarenden Anforderungen sind der Grund dafür, dass zunehmend hochqualitative, „synthetische“ Motorenöle erforderlich werden, auch wenn die individuellen Fahrbedingungen als normal und nicht besonders fordernd eingestuft werden können.Im Hinblick auf „Biokraftstoffe“ wird vom Motorenöl zusätzlich vor allem eine erhöhte Oxidationsstabilität verlangt. Moderne OEM-Spezifikationen gehen verstärkt auf diese Anforderungen ein, so dass Motorenöle also robuster und damit Biokraftstoff-kompatibler sind.AH: In diesem Zusammenhang: Zahlreiche Leser berichteten uns über die Rückkehr der Ölschlamm-Problematik. Was war die damalige, was ist die heutige Ursache? Und welche Mittel stehen Autohäusern zur Verfügung, die Ölschlamm-Bildung zu verhindern?Dr. Leonhardt: Die Bildung von Schwarz-schlamm in Ottomotoren stellte sich damals mit der Verbreitung von Motoren mit sogenannter„magerer“ Verbrennung als neues Problem ein. Ursache war der höhere Gehalt an Stickoxiden, die als Bestandteile der Verbrennungsgase über die Kolbenringe in das Kurbelgehäuse gelangen und zu Stickstoffdioxid, NO2, umgeformt werden. Das reaktive NO2 reagiert anschließend mit polaren Ölkomponenten zu organischen Nitraten, die zu unerwünschten schwarzen, schlammartigen Ablagerungen und zu einem vorzeitigen Zusammenbruch des Motorenöls führen können. Die Kraftstoffqualität wird schließlich auch in das Motorenöl eingetragen, ist ein weiterer wichtiger Einflussparameter: Schlechte Kraftstoffe führen eher zur Schlammbildung.Heute haben wir Kraftstoffe, die Ethanol enthalten. Daher gelangt natürlich auch Ethanol in das Motorenöl. Es gibt Hinweise, dass Alkohole direkt die Entstehung von Schlamm begünstigen können. Andererseits scheinen Alkohole auch Wasser-in-Öl-Emulsionen zu stabilisieren, so dass sich das, vor allem im Winter, im Motorenöl vorhandene Wasser nicht abscheidet, sondern als braune Emulsion auffällig wird, die dann auch für Schlamm gehalten werden könnte. Eine schöne Wochenendausfahrt auf einer – leeren – Autobahn würde hier helfen. Da aber Autohäuser die Fahrbedingungen und das Fahrverhalten der Kunden nicht beeinflussen können, ist das einzige Mittel gegen dieses Phänomen die Nutzung eines Qualitätsmotorenöls und eine höhere Ölwechselfrequenz.AH: Im Zug der Eindämmung der Partikelemission bei Dieselmotoren durch Filter ab ungefähr Mitte der 2000er Jahre wurde auch das Motorenöl an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Stichwort Low-Ash-Öle. Derzeit ist die Rede vom gleichen Emissionsproblem bei Ottomotoren. Wird es auch hier Filter und in der Folge angepasste Motorenöle geben? Wenn ja, wie kann/wird diese Anpassung aussehen?Dr. Leonhardt: Tatsächlich ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Motorenöl für alle Fahrzeuge mit Rußfilter technisch ähnlich aussehen würde wie die heutigen Low-Ash-Öle. Denkbar wäre, dass man in der Werkstatt einen Öl-Typ für beide Antriebsarten verwenden könnte. AH: Zwar existieren noch immer API- und ACEA-Normen für Motorenöle, allerdings auch und immer intensiver herstellerspezifische Normen wie aktuell VW 50400/50700. Wie wird diese Entwicklung weitergehen? Müssen Autohäuser künftig Motorenöle einkaufen wie beispielsweise Reifen – kurzfristig nach Kundenfahrzeug und Kundenwunsch?Dr. Leonhardt: Kein Öl kann alle Anforderungen gleichzeitig erfüllen. Wenn wir uns eine Ölflasche einmal ansehen, kann man als Kunde API-, ACEA- und OEM-Normen bzw. -Spezifikationen ausmachen. Eindeutig ist die richtige OEM-Spezifikation die beste Ausführung für unser Gefährt – denn diese Spezifikation „kennt“ den Appetit unseres Automotors am besten. OEMs sind sich bewusst, dass verschiedene Spezifikationen ihren Produktionsbetrieb komplexer machen. Daher werden sie versuchen, Spezifikationen mit einem möglichst breiten Einsatzbereich zu erhalten und z. B. so viele unterschiedliche Anforderungen wie möglich in einem Öl zu vereinen. Als Beispiel ist es sehr wahrscheinlich, dass die Ausfertigungen von Ölen für Fahrzeuge mit Partikelfilter mit Benzin- und Dieselmotoren kompatibel sein werden, so dass hier ein Öl ausreichend sein sollte.AH: Zum Schluss zurück zu Frage 1: Im Zug der dort genannten Problematik erleben chemische Reiniger und teilweise Additive eine beachtliche Konjunktur. Was hält man beim Motorenölspezialisten Shell von solchen Mitteln?Dr. Leonhardt: Sprechen wir doch zuerst über chemische Reiniger. Da haben wir durchaus zerstörte Motoren gesehen, die eindeutig auf den Einsatz von Motorreininger zurückzuführen waren. In einem stark verschmutzten Motor, der offensichtlich auch unter lackartigen Ablagerungen litt, wurden durch den Einsatz des Motorreinigers diese Ablagerungen großflächig unterspült und abgelöst. Dadurch wurde dann die Ölpumpe verstopft, mit der Folge massiven Verschleißes. Kein Laie, und auch kein Fachmann, kann diese Art der Motorenverschmutzung dem Motor von außen ansehen, und auch der Effekt des Reinigers ist nicht abzuschätzen. Daher wird hier immer ein Risiko bestehen.Zum zweiten Teil der Frage möchte ich gerne erklären, dass Motorenöle ein fein ausbalanciertes Gleichgewicht von Additiven sind, die sich gegenseitig beeinflussen. Stellen Sie sich zum Beispiel ein „Zuviel“ von Alterungsschutzstoffen und Antioxidantien in einem Öl vor. Zunächst scheint das eine längere Nutzungsdauer des Öles zu versprechen, aber als Nebenreaktion kann die Verträglichkeit mit Dichtungen negativ beeinflusst werden. Da dies wirklich nur eine Möglichkeit von vielen ist, ist verständlich, dass die Automobilhersteller den Einsatz von Zusatzadditiven verbieten. Die Freigabe des Automobilherstellers für ein Motorenöl erlischt beim Verpanschen mit einem Additiv – damit erlischt dann auch die Fahrzeuggarantie.AH: Herr Dr. Leonhardt, herzlichen Dank für das Gespräch.Lesen SIe hier...... welche Anforderungen Biokraftstoffe, Partikelfilter und Additive an Motoröle stellen und ob sich Werkstätten bald mit ebenso vielen Öl- wie Reifensorten bevorraten müssen.Anforderungen ans ÖlFolgenden Problematiken sieht sich die Schmierstoffentwicklung aktuell gegenüber:1. Zusammensetzung der Öle soll einerseits Energieeffizienz und Robustheit gewährleisten, andererseits Kompatibilität mit Emissionssystemen (Partikelfilter)2. Wegen des Einsatzes von Biokraftstoffen wird eine höhere Oxidationsstabilität verlangt 3. Ethanol im Kraftstoff (E10) und Kurzstreckenfahrten v. a. im Winter führen zu verstärkter Ölschlamm-Bildung im Motor4. Entwicklung von Low-Ash-Ölen für den Einsatz in Fahrzeugen mit Ottomotoren und Partikelfiltern, möglichst ein mit Diesel- und Ottomotoren kompatibler Schmierstoff5. Kombination möglichst vieler verschiedener Anforderungen in einem Öl, um Zahl der Spezifikationen und damit der Öle handhabbar zu halten

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