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Schadensteuerung: Keine Entspannung in Sicht

25.11.2020 20:41 Uhr
Schadensteuerung: Keine Entspannung in Sicht
Neben den sichtbaren Auswirkungen der Corona-Krise hat die Pandemie Reparaturbetriebe mit einer ganzen Reihe weiterer Herausforderungen konfrontiert.
© Foto: iStock, Drazen Zigic

Auch in K&L-Werkstätten hat Covid-19 bestehende Schieflagen und Schwächen im Geschäftsmodell offengelegt. Laut Rechtsanwalt Henning Hamann gehört vor allem der Sektor Schadensteuerung zu den Sorgenkindern.

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Reparaturbetriebe haben durch die Corona-Pandemie nicht nur mit einem Rückgang der Instandsetzungsaufträge und mehr Desinfektionsaufwand zu kämpfen. Auch indirekte Folgen wie der verstärkte Trend zur Digitalisierung oder nicht erfüllte vertragliche Vereinbarungen zur Schadensteuerung stellen Unternehmer vor zusätzliche Herausforderungen, so Rechtsexperte Henning Hamann, Geschäftsführender Gesellschafter der ETL Kanzlei Voigt.

Bereits seit Jahren fordert die Balance zwischen Investitionen in moderne Werkstattausrüstung und hochqualifizierte Fachkräfte auf der einen Seite und das Bemühen um attraktive Großkunden, die die Werkstattauslastung möglichst dauerhaft erhöhen, besonderes Fingerspitzengefühl der Unternehmer. Durch die niedrigeren Konditionen im Geschäftsfeld Schadensteuerung ist ein gesunder Mix aus lukrativen Privatkundenaufträgen und Versicherungspartnerschaften vorteilhaft. Eine Gratwanderung, die sich durch die Ereignisse 2020 weiter verschärft hat, so Rechtsanwalt Henning Hamann, der als geschäftsführender Gesellschafter der bundesweit vertretenen ETL Kanzlei Voigt zu Deutschlands Experten in Sachen Verkehrs- und Werkstattrecht zählt.

Herr Hamann, die Corona-Pandemie stellt die Reparaturwerkstätten vor eine ganze Reihe zusätzlicher Herausforderungen. Wo liegen aus Ihrer Sicht aktuell die größten Problemfelder?

H. Hamann: Die Corona-Pandemie insgesamt, aber natürlich insbesondere der 6-wöchige Lockdown haben zu deutlich geringeren Unfallzahlen und damit für die Werkstätten zu einem erheblichen Auftragsrückgang sowie zu massiven Umsatzeinbrüchen geführt. Die Unfälle, die sich während des Lockdowns nicht ereignet haben, werden sich auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt ereignen – die damit verbundenen Aufträge sind also einfach endgültig weg. Dabei kann man feststellen, dass Betriebe mit einem hohen Firmenkundenanteil noch mal deutlich stärker betroffen sind als Betriebe mit einem hohen Privatkundenanteil, weil das Flottengeschäft um ca. 20 bis 30 % eingebrochen ist und vermutlich auch auf Jahre hin auf einem niedrigeren Niveau verbleibt.

Nachhaltige Probleme

Welche Gründe gibt es für diese gravierenden Auswirkungen je nach Kundenmix?

H. Hamann: Viele Dienstwagenfahrer sind noch immer in Kurzarbeit oder im Homeoffice, zudem haben die meisten Unternehmen mittlerweile erkannt, dass man Meetings auch ohne jeden Reisestress und unter Reduzierung von Spesen und Übernachtungskosten per Videokonferenz abhalten kann. Auch ist ein Großteil aller Messen und Kongresse ausgefallen, so dass also insgesamt deutlich weniger Firmenfahrzeuge unterwegs sind als vor dem 16.03.2020. Darüber hinaus sorgt auch die jüngste BGH-Rechtsprechung zur Offenlegungspflicht von Großkunden-Rabatten für weitere Umsatzeinbrüche.

Zugleich wird der coronabedingt massiv gestiegene Aufwand für die Werkstätten, allen voran der logistische Aufwand und die vorzunehmenden Desinfektionsmaßnahmen, von den Versicherern nicht – oder nur unzureichend – entschädigt. Und natürlich kürzen die Assekuranzen nach wie vor die Erstattungsansprüche der Geschädigten und intensivieren zudem ihre Bemühungen, Regressprozesse zu führen. Die Werkstätten sind also in mehrfacher Hinsicht stark getroffen und vor dem Hintergrund des sich verändernden Mobilitätsverhaltens der Bevölkerung ist auch auf längere Sicht nicht mit einer vollkommenen Entspannung zu rechnen.

Digital auf allen Kanälen

Branchenübergreifend beschleunigt die aktuelle Krise die Bemühungen in Sachen Digitalisierung – Sie hatten die Videokonferenzen bereits angesprochen. Was gilt es hier besonders zu beachten?

H. Hamann: Digitalisierung ist in der Tat schon seit Jahren, wenn nicht sogar seit Jahrzenten in aller Munde, und durch den Beschleuniger Corona endgültig zum alles überragenden Thema geworden. Die Betriebe, die sich bislang nicht umgestellt haben und daher weiterhin analog unterwegs sind, müssen die Digitalisierungsbemühungen jetzt in aller Deutlichkeit und Kürze umsetzen, wenn sie weiterhin am Markt existieren wollen. Nicht nur die Kommunikation mit Herstellern, Versicherern, Gutachtern, Anwälten und Mietwagenfirmen, sondern auch und insbesondere die Kommunikation mit den Kunden verläuft mittlerweile zunehmend digital.

Werkstätten sollten daher dringend über alternative Kommunikationskonzepte wie Whatsapp for Business oder Video-Kundengespräche über Plattformen wie Zoom, Go-To-Meeting, Teams, Webex, etc. nachdenken – weil genau das der Markt in Zukunft noch mehr fordern wird als schon heute. Auch die Schadensteuerer und Versicherer entwickeln sich digital immer weiter.

Die HUK-Coburg schließt eine Kooperation mit einem Anbieter für Online-Termin-Vereinbarungen, die InnovationGroup führt mit Gateway eine Schadenbearbeitungsplattform ein, auf der sämtliche Prozessschritte digital dargestellt sind – von der Beauftragung bis zur Rückgabe des reparierten Fahrzeugs an den Kunden. Das wiederum führt natürlich zu Folgeproblemen im Bereich des Datenschutzes, aber auch des eigenen Personals, denn nicht jeder Mitarbeiter ist geschult im Umgang mit derartigen digitalen Kommunikationsmedien.

Abschluss aus Angst?

Im gesteuerten Geschäft sagen Großauftraggeber wie die von Ihnen genannten ihren Partnerbetrieben gewisse Auftragsvolumina zu und rechtfertigen damit vergünstigte Konditionen. Wie beurteilen Sie die Lage in Zeiten, in denen Einbrüche um bis zu 70 % verzeichnet wurden?

H. Hamann: Ich habe mir schon immer die Frage gestellt, warum Werkstätten einen Vertrag mit einem Schadensteuerer abschließen, und sich dann im Nachhinein über die vereinbarten Stundenverrechnungssätze, die oft unterhalb der Deckungsbeiträge liegen, beklagen. Wenn keine einzige Werkstatt einen solchen Vertrag abschließen würde, dann könnte endlich jeder Betrieb diejenigen Kosten berechnen, die tatsächlich für die Beseitigung des Schadens notwendig sind.

Die Realität sieht indes anders aus. Aus Angst davor, dass beim Verlust des Steuerungsvertrages alle Aufträge ab sofort bei der Konkurrenz landen, verpflichtet man sich gegenüber dem Schadensteuerer nicht nur zur Rabattierung des Stundenverrechnungssatzes bis zur Grenze des wirtschaftlich Vernünftigen – oft leider auch darüber hinaus –, sondern bietet bei gesteuerten Schäden auch zusätzliche kostenlose Serviceleistungen an. Die Nachfrage nach Hol- und Bringservice, Ersatzmobilität, Fahrzeugreinigung, Fahrzeugverbringung, etc. wurde durch Corona noch einmal höher. Das ist ein wirtschaftlicher Drahtseilakt, der oft genug schiefgeht.

Nicht auf gutes Recht verzichten

Das Mehr an Service am gemeinsamen Kunden ist aber nicht das einzige Zugeständnis in Sachen erhöhte Werkstattauslastung. Wo liegen weitere Probleme?

H. Hamann: Zugleich erwarten die Schadensteuerer in der Regel zusätzlich, dass die Werkstatt auf die Einschaltung eines neutralen Sachverständigen oder auch eines Anwalts verzichtet – was aus Sicht der Schadensteuerer ja auch verständlich ist, aus Sicht des Geschädigten werden diesem dadurch aber elementare Rechte vorenthalten. Das Argument der Versicherer lautet häufig "einen normalen Reparaturschaden kann die Werkstatt doch genauso gut und im Zweifel schneller kalkulieren, dafür braucht es doch keinen Gutachter. Und in aller Regel fällt bei älteren Fahrzeugen ja auch keine Wertminderung an, also braucht man den Gutachter dafür auch nicht".

Dabei wird aber übersehen, dass die sachverständige Feststellung, dass durch einen Unfall keine Wertminderung angefallen ist, für den Geschädigten auch einen wertbildenden Faktor darstellt. Denn der Geschädigte, der ein auf diese Weise repariertes Fahrzeug zu einem späteren Zeitpunkt veräußern möchte, kann sich mit einem Gutachten in einem Verkaufsgespräche gegen die Versuche des potenziellen Käufers, infolge des Unfalls sei doch wohl ein Wertverlust eingetreten und daher der Kaufpreis zu mindern, bestens verteidigen. Ohne eine gutachterliche Feststellung dürfte das dem Geschädigten aber deutlich schwerer fallen. Aus meiner Sicht verzichtet bei den gesteuerten Aufträgen nicht nur die Werkstatt auf viele Positionen, auch der Geschädigte wird – leider oft unwissend – durch den Verzicht auf die Hinzuziehung von Schadendienstleistern um seine Ansprüche gebracht.

Verhandlungsgeschick gefordert

Ganz konkret: Was passiert, wenn Schadensteuerer das von ihnen zugesagte Volumen aufgrund äußerer Umstände nicht "liefern können"?

H. Hamann: Im Gegenzug zu all den geschilderten Einschränkungen ist die Werkstatt verpflichtet, permanent eine gewisse Personalstärke vorzuhalten und auch zu bezahlen. Die mit dem Schadensteuerer vereinbarten Werkstattvorgänge müssen ja auch irgendwie abgearbeitet werden können. Wenn der BVdP von einem Rückgang des gesteuerten Volumens von bis zu 30 % ausgeht, dann versteht man vielleicht, warum viele Partnerwerkstätten aktuell mehr als nur gelegentliche Sorgenfalten mit sich herumtragen. Rechtlich regeln die Vereinbarungen zwischen den Werkstätten und den Schadensteuerungen die Problematik des zu geringen Volumens. Die HUK-Coburg beispielsweise sichert den Partnerwerkstätten zu, die Stundenverrechnungssätze im Folgejahr anzupassen, wenn das prognostizierte Umsatzvolumen nicht erreicht wird.

Auch hier steckt aber der Teufel im Detail, denn es gibt keine klare Regelung dazu, in welcher Form und in welchem Umfang die Stundenverrechnungssätze angehoben werden. Neben der individuellen Vereinbarung ist dann sicher auch das Verhandlungsgeschick jedes einzelnen Betriebes gefordert, und zugleich die den Betrieb umtreibende Sorge, bei zu hohen Forderungen das Geschäft vielleicht an die Konkurrenz zu verlieren. Die Betriebe sollten ihre Verträge kritisch prüfen und sich genau durchrechnen (lassen), ob damit wirklich Geld verdient oder am Ende des Tages nur solches gewechselt wird. Der von mir so hochgeschätzte Präsident des Zentralverbandes Karosserie- und Fahrzeugtechnik Peter Börner hat vor einiger Zeit zu der Thematik geäußert: "Vielleicht ist weniger Umsatz am Ende mehr Ertrag" – dem kann ich nur beipflichten und tatsächlich nichts mehr hinzufügen.

Genau kalkulieren

Welche Handhabe haben betroffene Werkstätten, um sich zur Wehr zu setzen?

H. Hamann: Die Betriebe sollten sich, wie bereits ausgeführt, eingehende Gedanken darüber machen, ob sie sich weiterhin abhängig machen wollen von den übermächtigen Schadensteuerern, oder ob sie nicht den Versuch unternehmen sollten, tatsächlich genau diejenigen Kosten abzurechnen und am Ende auch – notfalls gerichtlich – durchzusetzen, die für die Beseitigung eines Schadens notwendig waren.

Also mit realistischen und vor allen Dingen kostendeckenden Stundenverrechnungssätzen, mit einer Entschädigung für coronabedingte Mehrkosten, mit dem Ersatz für Kosten der Fahrzeugverbringung, falls schadenbedingt angefallen, mit der Erstattung der Kosten der Fahrzeugreinigung, falls schadenbedingt erforderlich, der Kosten der Probefahrt, Mietwagenkosten, und so weiter. Ich habe den Verdacht, dass einige Werkstätten einer kritischen betriebswirtschaftlichen Betrachtung des aktuellen Modells ihrer Schadensteuerung nicht standhalten würden.

Rechtsprechung schützt Geschädigte

Welche Unterstützung bieten Sie Autohäusern und K&L-Betrieben auf diesem Gebiet an?

H. Hamann: Die Anwälte der ETL Kanzlei Voigt können dabei helfen, weiterhin die Rechte der Geschädigten zu wahren, und der Werkstatt erläutern, warum es rechtlich keine Relevanz hat, wenn der Versicherer mithilfe seiner Prüfberichte den Eindruck zu erwecken versucht, die Entschädigungsleistung kürzen zu dürfen. Tatsächlich ist die Werkstatt nämlich bei Einhaltung gewisser Spielregeln, etwa neutrale Begutachtung durch einen Sachverständigen, Beauftragung im Rahmen des Gutachtens durch den Kunden, bei während der Reparatur auftretenden Erweiterungen zeitnahe Rücksprache mit dem Gutachter, vor all diesen Kürzungsversuchen der Versicherer weitgehend sicher. Der subjektive Schadenbegriff, den der Bundesgerichtshof schon vor Jahrzehnten geprägt hat, schützt nämlich den Geschädigten umfangreich vor der Regulierungspraxis der Versicherer, und damit am Ende des Tages auch die Rechnung der Werkstatt.

Zudem sollte jede Werkstatt mit den Grundzügen des Quotenvorrechts, also der kombinierten Inanspruchnahme von eigener Vollkasko- und gegnerischer Haftpflichtversicherung vertraut sein, um dadurch vollkommen legal die Umsätze bei solchen Unfallschäden zu steigern, in denen der Kunde den Unfall nicht vollkommen alleine verursacht hat, aber eben auch nicht vollständig schuldlos daran war – die sogenannten Quotenfälle.

Es gibt darüber hinaus viele weitere Themen, mit denen auch in den heutigen Zeiten der Service in Werkstätten noch ertragreich gestaltet werden kann: Wie rechne ich eigentlich einen Mietwagen richtig ab? Was passiert mit werkstatteigenen Schäden? Wir begleiten die Betriebe gerne auf diesem Weg, veranstalten darüber hinaus Schulungen und Kongresse und versuchen auf diesem Weg, weiterhin für die Rechte der Geschädigten und damit auch für die Werkstätten zu kämpfen.

Herr Hamann, besten Dank für dieses Gespräch. (kt)

Henning Hamann, Geschäftsführender Gesellschafter ETL Kanzlei Voigt
© Foto: ETL Kanzlei Voigt
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