Wolfgang Hertel besuchte mehr als 50 Jahre ohne eine einzige Unterbrechung den Deutschen Verkehrsgerichtstag (VGT) in Goslar. Den Großteil seiner beruflichen Laufbahn war er zunächst bei der Allianz und später bei der Vereinten Versicherung AG tätig. Das Amt des Schadenchefs bekleidete er, bis die Vereinte im Jahr 2002 nach insgesamt 190-jähriger Geschichte aufgelöst wurde und nach dem Squeeze-Out der letzten verbliebenen Aktionäre unter der Marke Allianz aufging.
Rechtsthemen verständlich gemacht
Als anerkannter Experte im Versicherungs- sowie Verkehrszivil- und Verkehrsstrafrecht stand er regelmäßig auch Journalisten Rede und Antwort, wenn es darum ging, beispielsweise Autofahrer:innen die Resolutionen aus Goslar praxisnah und verständlich mitsamt entsprechenden rechtlichen Auswirkungen näher zu erläutern.
Dass er selbst hoch komplexe Rechtsthemen "verbrauchergerecht ausdeutschen" konnte, sprach sich bei den Medien schnell herum. Fernsehmoderatorin und Programmsprecherin Petra Schürmann († 2010) beispielsweise holte ihn regelmäßig ins Studio oder begleitete ihn gleich direkt mit einem Kamerateam in den Goslarer Arbeitskreisen.
"Muss ich nach einem Auffahrunfall in den Knast?"
Da die Resolutionen aus früheren Verkehrsgerichtstagen nicht selten durchaus spektakuläre Ergebnisse beinhalteten, erschien eine verständlich gemachte Aufklärung der Verbraucher durchaus für geboten. So auch in einer Sendung des Vormittagsprogramms von ARD und ZDF am 4. April 1984, als die kardinale Frage lautete, ob man "nach einem Auffahrunfall ins Gefängnis" müsse und der fachliche Gast zur Beantwortung dieser Frage einmal mehr Wolfgang Hertel hieß.
Die letzten Jahre, insbesondere auch wegen der Corona-Pandemie, tat sich Hertel die 600 km weite Reise von München nach Goslar verständlicherweise nicht mehr an. Wie sein Sohn Dominik Hertel, ebenfalls Rechtsanwalt und amtierender Leiter Governance im Fachbereich Schaden der Allianz Versicherungs-AG, auf dem diesjährigen Goslar-Stammtisch der Allianz berichtete, wollte er allerdings bis zuletzt sofort darüber informiert werden, welche Beschlüsse jeweils neu gefasst wurden. "An der rechtlichen Weiterentwicklung war mein Vater bis zuletzt hoch interessiert", so Dominik Hertel.
Motorcare-Geburtshelfer der ersten Stunde
Vor gut 25 Jahren war der jetzt am 2. Januar 2023 im 88. Lebensjahr Verstorbene übrigens auch einer der Protagonisten und Wegbereiter für Schadenmanagement sowie Schadensteuerung: Aus seiner eigenen Münchner Anwaltskanzlei heraus unterstützte er die Anfänge der damals in Deutschland gerade frisch gestarteten Motorcare GmbH (heute Innovation Group).
Da sich auch der Verkehrsgerichtstag schon frühzeitig mit Schadenslenkung beschäftigte, nahm Wolfgang Hertel den hierzulande noch relativ unbekannten Engländer Matthew Whittall kurzerhand mit nach Goslar in den gegenständlichen Arbeitskreis. "Matthew wusste seinerzeit noch gar nicht so richtig, wie auch die politische Lobbyarbeit in Goslar verläuft bzw. um was es da im Detail eigentlich geht, musste aber gleich mit abstimmen", erinnerte sich sein Sohn Dominik im kürzlich mit AUTOHAUS geführten Gespräch.
Schadenlenkung – Rückblick auf die Anfänge und Stand heute
Während heute Schadenmanagement und Schadensteuerung zum internationalen Standard geworden sind und dieses Geschäft nahezu alle Versicherungen, Leasinggesellschaften und auch Automobilhersteller über ihre Financial Services Gesellschaften bzw. Captive-Versicherer betreiben, war der Widerstand in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre noch deutlich ausgeprägter. Größte Widersacher waren seinerzeit der ADAC und der ZDK, wohingegen der ZKF das Motorcare-Konzept von Anfang an nachhaltig unterstützte.
Diese Interessens-Divergenz zwischen den beiden Zentralverbänden für das Kfz- bzw. das Karosserie- und Fahrzeugtechnik-Handwerk wurde erstmals im Jahr 2000 auch einer breiten Fachöffentlichkeit bekannt, als der ZKF gemeinsam mit Hertel, dem seinerzeitigen AZT-Chef Dr. Dieter Anselm und GDV-Sprecher Peter Gauly auf der damaligen Automechanika in Frankfurt Schadensteuerung zum Kardinalthema einer Pressekonferenz erhob.
Eine tagesgleich von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) dazu verbreitete Meldung führte denn auch unmittelbar zu einer mehrere Jahre andauernden, tiefen Verstimmung zwischen ZDK und ZKF, die sich erst langsam wieder auflöste, als die beiden Innungen von München-Oberbayern (für Kfz bzw. Karosserie/Fahrzeugbau) einen neuen Kurs der Versöhnung einleiteten. Friedrich Nagel als ZKF-Präsident und Wilhelm Hülsdonk als ZDK-Vizepräsident brachten den Kurs schließlich auch auf Bundesebene wieder ins rechte Lot, ehe der heutige ZKF-Präsident Peter Börner zusammen mit Hülsdonk und ZDK-Präsident Jürgen Karpinski vor einigen Jahren eine weit in die Zukunft gerichtete Kooperation mit enger fachlicher Zusammenarbeit auf unterschiedlichsten Gebieten begründete.
Längst hat sich übrigens auch der frühe Antagonist ADAC mit Schadenmanagement nicht nur abgefunden, sondern zusammen mit dem Konzern Versicherungskammer Bayern, der Allianz-Versicherung und der Sparkassen-Versicherung Sachsen die SPN Service Partner Netzwerk GmbH als gemeinsame Gesellschaft begründet und aufgebaut. Die SPN verfügt über ein eigenes Werkstattnetz, in das die genannten Gesellschafter ihre Unfallaufträge zur Instandsetzung einsteuern.
Breite Akzeptanz als "Lohn" für mehr als 20 Jahre Kärrnerarbeit
Dass darüberhinaus im Markt noch weitere Unternehmen (z.B. Consense, DMS-Deutschland oder Riparo) schwerpunktmäßig bzw. ausschließlich mit Schadensteuerung befasst sind, darf der Vollständigkeit halber an dieser Stelle mit erwähnt sein und hatte insbesondere dessen Pionier und Wegbereiter Wolfgang Hertel noch zu seinen Lebzeiten mit sicherlich großer persönlicher Genugtuung zur Kenntnis genommen.
Insbesondere die Werkstattsteuerung als eines seiner großen "Leitplanken-Projekte" ist nach vielen Jahren des politischen Ringens für Wolfgang Hertel schlussendlich da angekommen, wo er und seine frühen Mitstreiter es immer haben wollten: In einem branchenübergreifenden Konsens und genutzt von allen Marktplayern. W.K. Pfauntsch