"Ich bin schlicht begeistert, dass sich die Allianz jetzt festgelegt und für unseren grünen Schadenmanagement-Kreislauf mit Gebrauchtteilen in der Unfallinstandsetzung entschieden hat", sagte net.casion Geschäftsführer Michael Kauß heute exklusiv gegenüber unserer Redaktion. Am Freitag erklärte Frank Sommerfeld, Vorstandsvorsitzender der Allianz Versicherungs-AG, den Einstieg der Münchner Assekuranz in die Unfallinstandsetzung mit wiederverwendeten Teilen aus zuvor bei zertifizierten Verwertern fachgerecht zerlegten Unfallfahrzeugen (siehe auch unsere weitere Meldung von heute zum Thema).
"Zeit ist reif, Interesse steigt deutlich"
Die klare, öffentliche Positionierung der Allianz kommt für net.casion CEO Kauß "genau zur richtigen Zeit". Schließlich spare der "konsequente und nachhaltige Weg" nicht nur den Versicherungen Kosten ein. Auch deren Kunden seien am Ende "deutlich zufriedener, weil sie ihr repariertes Fahrzeug schneller wieder zurück bekommen". Das Gesamtpaket sei insgesamt in allen Bereichen stimmig.
Nicht zuletzt wegen zahlreichen weiteren Kfz-Versicherern, die sich seit einem Jahr intensiv mit der Gebrauchtteil-Reparatur beschäftigen und sich die Prozesse auch bereits vor Ort bei den entsprechend eingebundenen Verwertern zusammen mit net.casion und deren Töchtern green.casion sowie ClaimParts detailliert haben erklären lassen, ist Kauß überzeugt: "Nach dem offiziellen Einstieg der Allianz wird das den endgültigen Durchbruch für die Instandsetzung mit gebrauchten Teilen bedeuten, für den wir als heute einziger Dienstleister den komplett geschlossenen Grünen Kreislauf anbieten."
"Wichtiges Signal"
Der finale Startschuss sei aber auch ein "wichtiges Signal an unsere Verwerter und Partnerunternehmen, die ebenfalls viel Vorarbeit und Engagement in unser gemeinsames Projekt gesteckt haben". Michael Kauß wörtlich: "Ich kann mit Stolz und Dankbarkeit davon berichten, dass wir mittlerweile bereits 20 der führenden und zertifizierten Verwerter Deutschlands in den Bieter-Funktionen mit drin haben. Und wir bekommen jetzt auch zusehends mehr Autos direkt aus der Versicherungswirtschaft."
Konkrete Namen von weiteren Versicherern wollte Kauß explizit nicht nennen. Einige interessierte Assekuranzen sind indes der Redaktion von AUTOHAUS ohnehin bereits bekannt. Wir werden dann über sie berichten, wenn sie sich ebenfalls öffentlich erklärt haben. Als gesichert gilt, dass auch eine in Norddeutschland ansässige Autoversicherung bereits intensiv an einem Businessplan arbeitet und ein regionaler Versicherer aus dem Südwesten der Republik vorhatte, die Vorreiterrolle einzunehmen, die sich nun aber die Allianz gesichert hat.
Allianz als First Mover – 2024 wie auch 1998
Dass der Münchner Versicherer, bei dem die operativen Vorbereitungen in den vergangenen Jahren laut Schaden-Vorständin Lucie Bakker "mit großem Engagement" hauptsächlich von Dominik Hertel als Head of Sustainability getrieben wurden, sich die "First Mover" Position nicht mehr nehmen lassen wollte, liegt für Insider ohnehin auf der Hand.
Schließlich beendete die Allianz jetzt eine für sie lange "Leidenszeit", die mehr als ein Vierteljahrhundert andauerte: Zusammen mit einigen anderen Versicherungen versuchte sie federführend bereits 1998, Gebrauchtteil-Reparatur hierzulande salonfähig zu machen. Dr. Gerhard Küppersbusch (87), damaliger Allianz-Schadenchef und bis vor wenigen Jahren noch aktiver Anwalt in der Kanzlei Bach Langheid Dallmayr (BLD), trieb das Thema auf dem Verkehrsgerichtstag 1998 in Goslar mit Kollegen aus anderen Häusern bis hin zur positiv verabschiedeten Resolution.
Erste Vorstöße scheiterten kläglich
Diese war seinerzeit aber (noch) ohne Wert. Denn auch eine parallel vom Allianz Zentrum für Technik von Dieter Anselm durchgeführte Praxisstudie erbrachte ein völlig unbefriedigendes Ergebnis: 745 Gebrauchtteile wurden für die damalige GT-Studie bundesweit bestellt, 53 Teile wurden tatsächlich ans AZT nach Ismaning geliefert, brauchbar (nach teilweise aufwendiger Nacharbeit!) waren gerademal noch 24. Der klägliche Rest von 29 weiteren Teilen waren Falschlieferungen oder purer Schrott. Kurzum: Das Vorhaben scheiterte damals krachend – und niemand wollte es seither nochmals neu anfassen.
Neue Marktsituation geschaffen
Das änderte sich erst, als die Restwertbörse net.casion auf dem letztjährigen Messekongress Schadenmanagement & Assistance in Leipzig öffentlich einen tatsächlich funktionierenden Prozess vorstellte, der mit "Grüner Kreislauf im Schadenmanagement" überschrieben war.
Die einzelnen Bestandteile dieses ganzheitlichen und in sich geschlossenen Kreislaufs sind:
1. Die Versicherung, die aktiv das Thema Nachhaltigkeit vorantreiben möchte und Totalschäden zur Zerlegung freigibt anstatt sie via Restwertbörse vorwiegend ins Ausland zu verkaufen.
2. green.casion als neue Plattform, die ausschließlich zertifizierten Verwertern zur Verfügung steht und in der die eingesteuerten Totalschadenfahrzeuge der Versicherer fachgerecht zerlegt und geprüft werden.
3. ClaimParts als ebenfalls neue Plattform für gebrauchte i.O.-Kfz-Ersatzteile, die Partnerwerkstätten der Versicherer zur Instandsetzung von gesteuerten Schäden verwenden können.
Der grüne Schadenmanagement-Kreislauf
Und so funktioniert’s: Die Versicherung startet den grünen Kreislauf und stellt das Kfz in die neue Verwerterbörse green.casion ein. Zertifizierte Verwerter erwerben dort das Fahrzeug in einer Live-Auktion und stellen die daraus gewonnenen Gebrauchtteile in die GT-Plattform ClaimParts ein. So schließt sich für die Versicherung der Kreis durch die kostensparende Reparatur mit Gebrauchtteilen. Dieser "grüne Kreislauf" im Schadenmanagement, der bei der Ersatzteilgewinnung ansetzt und bis zur Unfallschadenreparatur reicht, macht nach den Worten der beiden projektverantwortlichen Geschäftsführer Oliver Hallstein und Michael Kauß überhaupt erst "nachhaltiges Schadenmanagement und eine nachhaltige Versicherung" aus.
Projektstart vor vier Jahren
Vor inzwischen vier Jahren haben die beiden Börsen-Vordenker das Gesamtkonzept gestartet. "Natürlich auch, weil wir gesehen haben, wie massiv der gesamte Schadenmarkt durch die Corona-Pandemie belastet wurde", so Michael Kauß in seiner aktuellen Rückschau gegenüber unserer Redaktion. Ab Anfang 2020 war bekanntlich auch der deutsche Markt immer stärker durch vielfache Krisen belastet. Stichworte hierzu: Hohe Inflation, Energie- und Transportkosten, mangelhafte Verfügbarkeit von Ersatzteilen, Neu- und Gebrauchtfahrzeugen, permanente, überdurchschnittliche Preissteigerungen bei Unfall-Ersatzteilen usw.
"E-Fahrzeuge brauchen Experten-Komplettprozess"
Konfrontiert mit aktuellen Bedenken aus der Abschleppszene zum richtigen Umgang mit verunfallten Elektrofahrzeugen und dass diese kein Thema für Restwertbörsen seien, antwortete Kauß: "Diese Aussage ist grundsätzlich richtig und betrifft auch unsere Restwertbörse car.casion. Sie gilt aber explizit nicht für die Verwerterbörse green.casion, weil wir hier den Kreislauf komplett abbilden, in dem ausschließlich qualifiziertes Personal mit sämtlichen Prozessen betraut ist – von der Abholung, über die Fahrzeug-Zerlegung bis hin zur Weiterleitung an das Unternehmen Re.Lion.Bat.Circular GmbH als komplettem Prozess über unsere Verwerterbörse, in der von vorne bis hinten nur Profis beschäftigt sind."
Netzwerk-Partnerschaften
Re.Lion.Bat.Circular – übrigens ein Joint-Venture des Mobilitätsspezialisten LUEG und der DEPPE-Unternehmensgruppe – habe nicht nur ein bundesweites Abschlepp-Netzwerk für den Transport von E-Fahrzeugen aufgebaut, sondern zusätzlich ein komplett neues Werk, um die Akkus zu recyceln. Zwischen dem Unternehmen und green.casion wird eine Partnerschaft für den sicheren Umgang mit Lithium-Ionen-Batterien unterhalten.
Batterie-Recyclingquote bis zu 96 %
Re.Lion.Bat.Circular übenimmt das Recycling von Lithium-Batterien übrigens auch für Hersteller, Händler in der Automotive-, Werkzeug-, Batterie- oder auch Mikromobilitätsindustrie. Das Meppener Unternehmen verspricht einen Recyclingsprozess, bei dem "bis zu 96 Prozent der Batteriematerialien wiedergewonnen" werden. Über eine FE-/NE-Separation sowie eine Feinstseparation gewinne man Sekundärrohstoffe aus Stahl, Aluminium, Kupfer und Kunststoffen zur Wiederverwertung.