Fährst du noch, oder wohnst du schon? Was Lichtdesigner mit neu entwickelten Autos veranstalten, scheint auf den ersten Blick manchmal eher ins Reich der Innenarchitektur als zu den schlichten Funktionen eines Fortbewegungsmittels zu passen. Und doch soll es mehr sein als reine Spielerei oder Ästhetik: Immer mehr Leuchtelemente im zunehmend automatisierten und vernetzten Fahrzeug haben die Aufgabe, den Fahrer (solange er denn noch als solcher tätig ist) zu unterstützen. Das mag nicht jedem Auto-Puristen gefallen. An "Lichtsignaturen" auf vier Rädern führt aber kein Weg mehr vorbei.
Bunte Zierleisten und atmosphärische Ambient-Beleuchtung sind nur eines der sichtbaren Zeichen. Das gesamte Wesen der Mobilität ändere sich, sagt Markus Klein. Er verantwortet in der Autosparte des Leuchtmittelkonzerns Osram den Bereich Innenausstattungen. "Die Megatrends Autonomes Fahren, Konnektivität, Elektrifizierung und Sharing führen dazu, dass das Auto neben der Wohn- und der Arbeitsstätte zum dritten Habitat wird", erklärt er. Das sei keine Science-Fiction, sondern erhärte sich in Nachfrageanalysen: Viele wollten künftig auch im Auto "Qualitätszeit" verbringen - Licht spiele dabei eine große Rolle.
Personalisierung lautet ein zentrales Schlagwort. "Je autonomer das Fahrzeug wird, desto wichtiger wird die Attraktivität eines persönlichen Innenraums", glaubt Klein. "Früher mögen PS-Zahlen und Reifenbreiten Kennzeichen von Emotion gewesen sein." Bald seien es dagegen vor allem individuelle Ausführungen der Auto-"Wohlfühlzone".
Nichts geht hier ohne LED-Technik. Kleine Halbleiter-Leuchtdioden können heute alle möglichen Farben darstellen. Damit zusammen hängt das Ziel der Miniaturisierung - "Vorzüge der Technik genießen, ohne sie zu sehen", wie Klein es beschreibt: "LEDs werden auch eingebettet in Leder- oder Kunststoffe, in Sitzbezüge. Dieser Trend geht auch in die Mittelklasse über." Und beim Cockpit-Anzeigefeld könnten Micro-LEDs mit Millionen Elementen einen weiteren Technologieschub bringen.
Was die Zulieferer planen oder schon im Programm haben, fließt bei den Autobauern direkt in die Modellkonzeption ein. VW etwa hat mit dem vollelektrischen ID.3 jüngst eine neue Generation gestartet, die mittelfristig das Kernsegment im Massengeschäft bilden soll. Auch hier gibt es eine Lichtstrategie, die viele Betrachter vor vielleicht zehn Jahren wohl als bestenfalls utopisch bezeichnet hätten.
Valentina Wilhelm hat bei Volkswagen an der "Lichtinszenierung" des ID.3-Innenraums mitgewirkt. "Man kann mit Licht Gefühle erzeugen und die Architektur des Fahrzeugs unterstreichen", sagt die Designerin.
Doch es gehe auch um bessere Kommunikation. Ein LED-Streifen ändert seine Farbe gemäß dem aktuellen Zustand des Autos - aufgeschlossen, fahrbereit, abgeschlossen. Mitunter wird der Fahrer auch optisch zum Bremsen oder Spurwechseln aufgefordert. Ein weiteres Thema sei die persönliche Note: "Es ist ein wenig wie mit akustischer Kommunikation bei Alexa. Mit Lichtdesigns kann man den Charakter ausdrücken."
Fahrzeugfronten wie Gesichter aussehen lassen
Wilhelms Kollege Urs Rahmel befasst sich vor allem mit dem Äußeren von Autos. "Früher hatte Licht fast ausschließlich die Funktion, dem Fahrer die Straße auszuleuchten", sagt er. "Das hat sich sehr stark verändert." Treiber der Entwicklung sei etwa, Fahrzeugfronten wie Gesichter aussehen zu lassen: Der ID.3 hat einen "Augenrand", der so noch nirgends vorgekommen sei. Die Coming-Home-Funktion - vor dem Öffnen des Wagens geht das Licht an - werde ebenfalls neu inszeniert. "Der Fahrer erlebt sie wie ein Augenaufmachen des Fahrzeugs."
Aber dürfte sich nicht manch ein Kunde überfordert fühlen? Man könne Helligkeit und Einstellungen selbst konfigurieren, entgegnet Wilhelm. Und falls mal etwas kaputt geht, soll es nicht zu komplex und teuer werden: "Es wird darauf geachtet, dass die Bauteile bei Bedarf leicht austauschbar sind", erklärt Rahmel. Das gelte auch für Steuergeräte.
Auch beim Lichttechnik- und Elektronikanbieter Hella weiß man um die Potenziale neuer Lichtdesigns. "Die Zahl der Anwendungen ist immens gestiegen", sagt Herbert Wambsganß, Entwicklungsleiter für die Fahrzeuginnenbeleuchtung. Neben der optischen Unterstützung in Assistenzsystemen beschäftigt sich der Zulieferer mit dem Thema "Wohlfühl-Beleuchtung": "Viele Leute verbringen heute sehr viel Zeit im Auto. Dazu gehören auch Lichtszenarien fürs Arbeiten am Computer oder Lesen." Kostspielige Reparaturen spielten fast keine Rolle, denn "LEDs müssen für die Lebenszeit des Fahrzeugs geschaffen sein".
Die Systeme sollen Stress reduzieren. Also kein Überreizungsrisiko? Über Lichtqualität und Regeloptionen soll dies jedenfalls verhindert werden, sagt Klein. Und Hella erforscht die Akzeptanz der Angebote zusammen mit der Uni Paderborn. "Das hilft uns dabei festzulegen, wie eine optimale Beleuchtung aussieht und wo die Grenzen sind." (dpa)
M.L.