Klar kennen wir diesen Namen. Seit 1996 bis ins letzte Jahr hinein wurde der kompakte Familien-Van Scenic gut fünf Millionen Mal gebaut, gehört zu den bekanntesten Renault-Modellen und gründete eine neue Fahrzeugklasse. Das Konzept eines recht stadttauglichen und geräumigen Fünfsitzers mit höherer Sitzposition als in normalen Limousinen wurde vielfach kopiert. Zum Beispiel von VW mit dem Touran oder vom Opel Zafira. Für den mit Verbrennermotor angetriebenen Scenic, der im Laufe seiner Jahre deutlich gewachsen war, schlug 2023 sein letztes Stündchen. Dabei war seine Wiedergeburt schon im Anflug.
Natürlich ist der neue, mindestens 41.400 Euro teure Scenic ein Elektroauto und hat mit seinem Vorgänger bis auf die Außenmaße nichts mehr gemein. Seine Optik gleicht sich der des kleineren Bruders Megane E-Tech ebenso wie manchen Stromer der inzwischen zahlreichen Rivalen aus aller Welt. Da werden typische Merkmale eines SUV mit Elementen von Limousinen mit flacher Windschutzscheibe oder langgestreckten Fensterflächen kombiniert. Durchaus ansehnlich und modern sind der aus vielen kleinen Rhomben zusammengesetzte Kühlergrill oder das Tagfahrlicht, das einen halben Rhombus nachzeichnet. Auch die in einem Spoiler endende sportive Dachlinie macht einiges her.
Renault Scénic E-Tech Electric
BildergalerieRenault Scenic E-Tech: Mit hochkant stehendem 12-Zoll-Monitor
Im Innenraum dominiert auch bei Renault ein hochkant stehender 12-Zoll-Monitor, der neben zahlreichen Touchfunktionen auch noch Drucktasten bietet, zum Beispiel für die Heizscheibe oder die Klimaanlage. Diese Schaltzentrale ist verheiratet mit dem ebenfalls volldigitalen 12,3-Zoll-Kombiinstrument vor dem Fahrer. So sehen Autos heute aus. Die Klassik-Fans analoger Rundinstrumente müssen stark sein.
Vor dem Start zur ersten Rundfahrt durch den andalusischen Frühling scheitert der Versuch, sich in die zahllosen Funktionen mal kurz einzulesen. Technik und Wirkung der mehr als 30 Assistenzsysteme erschließen sich erst nach Kilometern. Alles, was der klassischen Bedienung eines E-Autos dient, ist schnell erklärt und auch schon vom Megane E-Tech her bekannt. Der Startknopf rechts an der Lenksäule entflammt die zahlreichen Lämpchen und Anzeigen in den beiden Bildschirmen. Per Lenkstockhebel die Fahrtrichtung "D" für "vorwärts" wählen. Das war's dann schon.
Renault Mègane E-Tech Electric Fahrbericht (2022)
BildergalerieRenault Scenic E-Tech: Akku wird auf dem Weg zur Ladestation vorgeheizt
Der Umgang mit dem neuen serienmäßigen Beifahrer namens Google will geübt sein, will man die verschiedenen Strategien erleben, um eine Reise von einer Ladestation zur nächsten so zu planen. Hilfreich ist, dass der Akku bereits auf dem Weg dorthin vorgeheizt wird, um dann schneller und effizienter geladen zu werden.
Schnell fällt auf, dass der Scenic heller und vernehmlicher singt als andere Stromer. Kein Wunder, lud Renault doch Elektromusik-Ikone Jean-Michel Jarre ins Tonstudio, um fünf "Melodien" zu kreieren. Die wichtigste ist sicher das Warngeräusch für leichtsinnige Fußgänger. Wenn der eigene Geschmack nicht getroffen wird, lässt sich das alles ausschalten. Nicht komponiert werden musste jener allgegenwärtige U-Bahn-Gesang beim Beschleunigen oder Rekuperations-Verzögerung. Keine Sorge, man gewöhnt sich daran.
Im Gegensatz dazu fällt es schwer, sich mit dem neuen elektronischen Innenspiegel anzufreunden. Er liefert per Heckkamera zwar ein gestochen scharfes farbiges Bild des Geschehens hinter dem Scenic, neigt aber zu verwirrenden Sonnenlicht- und Schattenspielen, die auf den Monitor gespiegelt werden. Dann schaltet man also schnell wieder per kleinem Hebel zurück in die vertraute analoge Spiegelansicht, die auch die Korrektur des Lippenstifts wieder erlaubt.
Renault Scenic E-Tech: Starke Beschleunigung
Nicht überraschend ist die Wucht, mit der der 160 kW / 218 PS-Elektromotor lostobt. Die Beschleunigung wurde von den Ingenieuren zwar sanfter ausgelegt als anderswo üblich, liefert aber weiterhin das überlegene Lautlos-Erlebnis, das die Fans dieser Autos nun mal so lieben. Die Lenkung wird Liebhaber der puren Direktheit vielleicht enttäuschen, wer leichtgängigen Komfort bevorzugt, sitzt hier richtig. Herantasten mit dem Fußballen ist beim Bremsen gefragt. Bei leichtem Druck passiert wenig, bis die Scheiben dann kraftvoll zubeißen. Auch hier hilft etwas Übung. Unterm Strich also schlicht ein gutes Auto, mit viel Wohlfühl-Power und überragendem Raumgefühl auf allen Sitzen. Ein waschechtes Familienauto.
Das gilt auch für den Gepäck-Platz. Mit 545 Litern im Fünf-Personen-Betrieb bietet er SUV-Maße, als Helfer beim Möbeleinkauf transportiert er mit umgelegten Rücklehnen sogar 1.670 Liter, auch wenn die Regalbretter dann auf einer deutlichen Stufe gelagert werden müssen. Neu im Scenic ist ein fast wagenlanges Panorama-Glasdach, das zwar nicht geöffnet werden kann, aber viel Licht ins Auto bringt. Um auf eine Jalousie verzichten zu können, die die Kopffreiheit mindert, wird die Transparenz des Glases elektrisch per Schalter verändert. Die Neuheit kostet jedoch 1.500 Euro Aufpreis.
Renault E-Kangoo und E-Trafic
BildergalerieRenault Scenic E-Tech: Einstiegsmodell kostet 41.400 Euro
Apropos Preise: Bei den ersten Testfahrten suchte man die Scenic-Varianten mit dem kleineren 60-kWh-Akku vergeblich. Die liefert den Strom für das Einstiegsmodell mit Namen Evolution, kostet 41.400 Euro oder mit besserer Ausstattung 43.900 Euro, und ist für 430 Kilometer Reichweite gut. Die 87-kWh-Batterie, mit der man 625 Kilometer weit kommt, steht mit 48.900 Euro in der Preisliste und reiht sich so in das handelsübliche Niveau vieler Langläufer auch der Konkurrenz ein. Für die Top-Modelle mit Komplettausstattung sind dann weitere rund 1.800 bis 2.300 Euro fällig.
Doch wer kauft schon ein E-Auto? Gut 80 Prozent werden geleast. An der Höhe der Raten mit und ohne Anzahlung wird sich der Erfolg des recht überzeugenden Renault Scenic-E-Tech also erweisen müssen.