Von Louis Posern, dpa
Als ob die bisherigen Vorwürfe gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn nicht schon genug wären, taucht nun ein weiterer Verdacht in den Ermittlungsakten auf: Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen womöglich nicht bezahlter Steuern. Die "Bild am Sonntag" zitiert aus den Akten, es geht unter anderem um Überweisungen von insgesamt rund zehn Millionen Euro auf Schweizer Konten in den vergangenen beiden Jahren. Der Deutschen Presse-Agentur wurden Existenz und Inhalt am Sonntag bestätigt.
Doch was haben Steuerermittlungen mit den Vorwürfen im Abgas-Skandal zu tun? Nichts, sagt Winterkorns Anwalt Felix Dörr am Sonntag der dpa. Und er geht sogar noch weiter: Er prüft juristische Schritte gegen die Staatsanwaltschaft Braunschweig. "Wir erwägen, Strafanzeige wegen Verrats von Dienstgeheimnissen zu stellen", sagt Dörr.
Klaus Ziehe, Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig, sagt zu den Steuerermittlungen gegen Winterkorn der "Bild am Sonntag": "Wir werden uns nach dem Abschluss der Ermittlungen zu den Ergebnissen äußern, vorher nicht." Am Wochenende war die Behörde für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
"Die Staatsanwaltschaft in Braunschweig muss mir den tieferen Sinn des Vorgehens erläutern", sagt Dörr. Angaben über die persönlichen Vermögensverhältnisse und Steuerfragen hätten nichts in den Akten zu den Abgas-Ermittlungen zu suchen. "Detaillierte Kreditkarten-Abrechnungen, Kontoauszüge und Bankvollmachten von Herrn Winterkorn liegen nun auf den Schreibtischen von 39 Anwälten anderer Beschuldigter der Abgas-Ermittlungen. Dabei haben die privaten Vermögensverhältnisse von Herrn Winterkorn nichts mit dem Verfahren zu tun", sagt der Anwalt. Die "Bild am Sonntag" beschreibt mit Verweis auf die Ermittlungsakten detailliert einzelne Einkäufe Winterkorns, Bonuszahlungen und Überweisungen an Familienmitglieder.
Das Steuerverfahren begann im Jahr 2017 zunächst mit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München wegen des Verdachts auf Geldwäsche. Sie bekam einen entsprechenden Hinweis von Winterkorns Bank. Ein normaler Vorgang, bei hohen Überweisungen sind Geldinstitute dazu sogar verpflichtet. Da die Ermittler einen Zusammenhang mit dem VW-Dieselskandal vermuteten, übernahm die Staatsanwaltschaft Braunschweig den Vorgang und fügte die fünf Steuer-Aktenordner zu den Diesel-Akten hinzu.
In den Diesel-Ermittlungsakten ist nun zu lesen, was mit Winterkorns Millionen geschah. 2016 und 2017 hatte Winterkorn hohe Beträge von einem seiner Konten bei der Sparda Bank Nürnberg auf ein Treuhandkonto seines Steuerberaters überwiesen. Von dort floss das Geld in Depots der Bank Vontobel nach Zürich. Darunter war auch ein Depot, das Winterkorns Ehefrau zugeordnet wurde. Die Ermittler hegen den Verdacht, dass ein Teil der Überweisungen eine Schenkung gewesen sei, für die mehr als eine halbe Million Euro Schenkungssteuer angefallen wäre.
"Absoluter Blödsinn"
In einem Vermerk hat die Staatsanwaltschaft festgehalten, dass Winterkorn vermutlich Vermögenswerte in die Schweiz verschoben habe. "In den Akten ist die Notiz zu finden, es könne sich um einen 'Notgroschen' Winterkorns handeln. Das ist absoluter Blödsinn", sagt Dörr. Angesichts der Dieselaffäre drohen Winterkorn hohe Schadensersatzansprüche von VW, sollten ihm Pflichtverletzungen nachgewiesen werden.
Zu den steuerrechtlichen Vorwürfen sagt Dörr, es sei die höchstpersönliche Entscheidung von Winterkorn, wo und durch wen er sein Geld verwalten lasse. Ein Geldtransfer von einer deutschen Bank in die Schweiz sei rechtlich völlig in Ordnung. "Nach Beurteilung des steuerlichen Beraters von Herrn Winterkorn ist dieser Vorgang frei von jeder steuerlichen Beanstandung", so der Anwalt des früheren VW-Chefs.
Die Bank Vontobel betonte am Sonntag, sie beachte alle gesetzlichen Regelungen. Die Schweizer Gesetze erlaubten es ihr nicht, bestehende oder auch nicht bestehende Kontoverbindungen zu kommentieren. "Darüber hinaus weisen wir auf den seit 2018 bestehenden automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten zwischen der Schweiz und Deutschland hin, mit dem vollständige Transparenz geschaffen wurde."
Welch unschönes Detail über seinen Mandanten sich in den Akten versteckt, hat Anwalt Dörr übrigens nach eigenen Angaben nicht von den Behörden erfahren, sondern erst durch eine entsprechende Anfrage der "Bild am Sonntag". "Wir wurden von den Steuerermittlungen selbst überrascht. Die Staatsanwaltschaft hat uns keinen Hinweis gegeben. Und wir hatten uns zunächst auf die 20 000 Seiten des Hauptverfahrens konzentriert."
Im eigentlichen Verfahren, dem Abgas-Skandal, wird gegen Winterkorn wie auch gegen den neuen VW-Konzernchef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch wegen möglicher Marktmanipulation ermittelt, gegen Winterkorn zusätzlich auch wegen Betrugs. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat insgesamt 49 Beschuldigte im Visier – bei 39 geht es um Software-Manipulationen beim Stickstoffdioxid-Ausstoß, bei sechs um falsche CO2- und Verbrauchsangaben. In drei Fällen geht es um Marktmanipulation, in einem Fall um einen Mitarbeiter, der zum Löschen von Daten aufgerufen haben soll. Winterkorn war 23. September 2015 von seinem Amt zurückgetreten, kurz nachdem US-Behörden Manipulationen bei Dieselautos aufgedeckt hatten.
JS