Angesichts der immensen Kosten für den Abgas-Skandal muss Volkswagen den größten Verlust seiner Konzerngeschichte verkraften. Im vergangenen Jahr lag das Ergebnis unterm Strich mit minus 1,6 Milliarden Euro massiv in den roten Zahlen. Das teilte Europas größter Autobauer am Freitag in Wolfsburg nach einer Sitzung des Aufsichtsrats mit. 2014 stand noch ein Gewinn von knapp elf Milliarden Euro in den Büchern. Das operative Ergebnis sackte von 12,7 Milliarden Euro 2014 auf minus 4,1 Milliarden. Ohne die Kosten für die Abgas-Affäre wäre das Ergebnis operativ aber leicht gestiegen. Der Umsatz von Europas größtem Autobauer stieg um 5,4 Prozent auf gut 213 Milliarden Euro.
Der Abgas-Skandal lässt auch die Dividende erheblich einbrechen. Der Konzern will für jede seiner stimmrechtslosen Vorzugsaktion nur noch 0,17 Euro ausschütten. Vor einem Jahr war für 2014 noch der Rekordwert von 4,86 Euro geflossen. Für die stimmberechtigten VW-Stammaktien sollen entsprechend 0,11 Euro fließen (zuvor: 4,80 Euro). Die Vorzugsaktien von Volkswagen sind am Freitag nach der Bekanntgabe von roten Zahlen bei dem Autobauer unter Druck geraten. Die Papiere weiteten ihre Verluste vorübergehend auf rund sechs Prozent aus. Zuletzt notierten sie noch 3,35 Prozent im Minus.
Für die Folgen des Diesel-Skandals muss der Konzern in seiner Bilanz für 2015 rund 16,2 Milliarden Euro zurückstellen. Dazu kommen unter anderem jeweils 200 Millionen Euro für Umbauten in der Lastwagen- und Pkw-Sparte. Damit steigt der Puffer für Sonderbelastungen insgesamt auf 16,9 Milliarden Euro an.
Zuletzt hatte es im Jahr 1993 einen Jahresfehlbetrag gegeben, als sich VW ebenfalls in einer Krise befand: 1,94 Milliarden D-Mark, also umgerechnet rund eine Milliarde Euro. Weitere Verluste in den 1980er und 1970er Jahren waren weit geringer.
Jetzt zieht der Abgasskandal auch die Dachgesellschaft Porsche SE in die Verlustzone. Wegen der roten Zahlen bei Volkswagen habe man 2015 einen Nachsteuerverlust von voraussichtlich 273 Millionen Euro gemacht, teilte die Beteiligungsgesellschaft am Freitag in Stuttgart mit. 2014 hatte es noch einen satten Gewinn von gut drei Milliarden Euro gegeben. Die kompletten Zahlen für 2015 will das Unternehmen Ende kommender Woche vorstellen. Die Porsche SE hält rund 51 Prozent an der Volkswagen AG.
VW-Vorstände legen Boni nur auf Eis
Der Vorstand des VW-Konzerns stellt seinen Anspruch auf Bonuszahlungen unterdessen nur in Teilen zurück und muss keinen endgültigen Verzicht in Kauf nehmen. Zwar behalte der Konzern etwa 30 Prozent der variablen Vergütung der Vorstände ein. Das Geld werde aber in Aktien umgewandelt und geparkt, erklärte der VW-Aufsichtsrat und niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Freitag in Wolfsburg. Nach Ablauf von drei Jahre werde geprüft, wie sich der Aktienkurs entwickelt hat. Liege der um ein Viertel über dem jüngsten Niveau, werde das Geld ausbezahlt, liege er darüber, gebe es sogar entsprechend mehr Geld zurück. Nur wenn der Kurs darunter liege, bekämen die betroffenen Vorstände das Geld nicht.
Angesichts der massiven roten Zahlen drohen bei Volkswagen in den kommenden Wochen und Monaten heftige Auseinandersetzungen zwischen dem Management und den mächtigen Arbeitnehmervertretern. Bei der ertragsschwachen Kernmarke VW mit Modellen wie dem Golf und dem Passat will Markenchef Herbert Diess den Sparkurs verschärfen. Auf Initiative des Betriebsrats soll es aber nun Verhandlungen über feste Produkt-, Stückzahl- und Investitionszusagen für die nächsten Jahre geben.
Am Donnerstag erzielte VW Fortschritte in den USA, wo der Skandal vor sieben Monaten seinen Ursprung genommen hatte. VW einigte sich mit den US-Behörden auf die Grundzüge einer Lösung im Abgas-Skandal. VW hat nun die Chance, mit Behörden und Sammelklägern Vergleiche auszuhandeln. Die Lösung umfasst nach Angaben des zuständigen Richters in San Francisco die Option, dass VW einen Großteil der Autos zurückkaufe oder durch Umrüstung in einen erlaubten Zustand versetze. Leasingnehmern werde das Recht eingeräumt, ihre Verträge zu beenden und ihre Wagen zurückzugeben. Zudem werde der Hersteller "substanziellen Schadenersatz" an die Besitzer zahlen. Konkrete Zahlen hierzu wurden aber zunächst nicht genannt. Die laufenden strafrechtliche Ermittlungen der US-Justiz und Verfahren von US-Staatsanwälten sind von der Einigung nicht betroffen.
Opposition und Minister wollen erweitertes Klagerecht
Verbraucherschutzminister und die Opposition im Bundestag fordern, das Klagerecht für Verbraucher in Deutschland zu erweitern. Union und SPD müssten Sammelklagen ermöglichen, damit Autokunden ihre Forderungen gemeinsam einklagen können, sagte der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Oliver Krischer am Freitag. Ähnlich äußerte sich der der Obmann der Linke-Fraktion im Verkehrsausschuss, Herbert Behrens, der voraussichtlich den Vorsitz des geplanten Untersuchungsausschusses übernehmen wird. Linke und Grüne wollen den Untersuchungsausschuss kommende Woche gemeinsam beantragen. Er soll bis ins Jahr 2007 zurückblicken. Aufgabe sei auch, "Hinterzimmerdeals" zwischen Politik und Autobranche offen zu legen, sagte Behrens.
Die Verbraucherschutzminister von Bund und Ländern sprachen sich am Freitag ebenfalls dafür aus, die Möglichkeiten für Muster- und Sammelklagen auszuweiten. Damit könnten etwa Verbraucherschutzverbände befugt werden, Schadenersatzansprüche stellvertretend feststellen zu lassen. Bei Skandalen dieser Größenordnung könnten Verbraucher es bislang kaum mit so großen Konzernen aufnehmen, sagte NRW-Verbraucherminister Johannes Remmel (Grüne).
Ein Sprecher des Bundesministeriums für Verbraucherschutz sagte, in Deutschland sei die Rechtslage eine andere. Daher sei es schwierig, unmittelbar Rückschlüsse auf die Situation in Deutschland zu ziehen. Es müsse im Einzelfall geprüft werden, ob Käufer aufgrund des Kaufvertrags oder der Herstellergarantien Gewährleistungsansprüche hätte.
Zwischenbericht zu Schuldfrage verschoben
Entgegen eigener Ansagen will Volkswagen die bisherigen Ermittlungsergebnisse zur Schuldfrage im Diesel-Skandal auf unbestimmte Zeit nicht veröffentlichen. Mit einer Veröffentlichung von Zwischenergebnissen "zum gegenwärtigen Zeitpunkt" wären unvertretbare Risiken für Volkswagen verbunden, hieß es. Als Gründe für die Entscheidung nannte Volkswagen sowohl mögliche finanzielle Risiken bei den drohenden Strafzahlungen in den USA als auch negative Effekte bei der Ermittlungsarbeit der amerikanischen Behörden. "Volkswagen bedauert, von seinem ursprünglichen Vorhaben, Zwischenergebnisse der Untersuchung bis Ende April zu veröffentlichen, abweichen zu müssen."
Wann der Bericht nun der Öffentlichkeit präsentiert werden könne, sei unklar. Aufsichtsrat und Vorstand gingen gegenwärtig davon aus, dass zunächst ein umfassender Vergleich mit dem US-Justizministerium erfolgen müsse. Die US-Behörden haben bislang noch keine Angaben zu ihren Ermittlungen oder den zeitlichen Rahmenbedingungen gemacht. (dpa)
Roger
Bernhard Humborg