Von Harald Schmidt, dpa und Max-Morten Borgmann, dpa-AFX
Europas Automarkt droht schon wieder die Puste auszugehen. Nach dem starken Jahresstart hat sich das Wachstum spürbar verlangsamt - auch weil die Wirtschaft im Euroraum noch immer nicht in Schwung kommt. Deshalb zögern die Menschen mit dem Kauf eines neuen Autos. "Der Aufschwung zu Jahresbeginn könnte sich als Strohfeuer erweisen", sagt EY-Experte Peter Fuß: "In den kommenden Monaten müssen wir uns eher auf eine Stagnation auf dem historisch niedrigen Niveau des Vorjahres einstellen."
Zudem bricht im Zuge der Russland-Krise ein wichtiger Markt für viele Hersteller weg. "Der russische Markt wird zur Katastrophe. Da muss man in den nächsten Monaten mit 20 Prozent Einbruch rechnen", warnt Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer. Auf bis zu vier Millionen Autos im Jahr 2020 hatte die Branche gehofft - und werde nun bitter enttäuscht. "Da war bei vielen Herstellern der Wunsch Vater des Gedankens", sagt Uwe Kumm, Russland-Experte beim Beratungsunternehmen Roland Berger. Im schlimmsten Fall könnten die Verkaufszahlen sogar bei weniger als drei Millionen Stück verharren. Kein Wunder also, dass die Stimmung in der Branche vor dem Pariser Autosalon (4. bis 19. Oktober) eher durchwachsen ist.
Eigentlich soll auf der Messe, die vor zwei Jahren mehr als 1,2 Millionen Besucher anzog, die Zukunft des Automobils im Fokus stehen. Doch um sich für diese Zukunft fit zu machen, müssen die Hersteller viel Geld in Forschung und Entwicklung stecken, wollen sie bei den Megathemen alternative Antriebe und vernetztes Auto voranfahren.
Sparprogramme und Kurzarbeit
Da gleichzeitig das Wachstum auf Europas Automarkt nachlässt und das Geschäft in Russland und Brasilien regelrecht einbricht, steuern die Hersteller um: Daimler und Volkswagen haben scharfe Sparprogramme eingeleitet oder verlängert, Ford und Fiat Kurzarbeit beschlossen, Opel drosselt die Produktion in Russland. "Wir glauben an das langfristige Potenzial Russlands, aber Volumen und Preise sind momentan unter starkem Druck und der Rubel verliert an Wert", begründet Opel-Chef Karl-Thomas Neumann den Abbau von 500 der 2.000 Arbeitsplätze in St. Petersburg.
Zwar fahren deutsche Oberklasse-Hersteller wie Audi, BMW, Mercedes und Porsche weiter satte Gewinne ein. Doch tatsächlich könnten bald nur noch die weltweit wichtigsten Märkte China und USA als Stützen der Autokonjunktur übrigbleiben. Fachmann Fuß ist jedenfalls überzeugt, dass der Aufschwung auf dem europäischen Automarkt blutleer bleibt. Er sieht angesichts der Konjunkturschwäche in Ländern wie Frankreich und Italien eine große Gefahr, dass die Autohersteller wieder in Versuchung geraten, den Absatz über Rabatte anzukurbeln.
Doch das wäre Gift für Autobauer und Händler, weil Rabatte auf die Marge drücken. Stattdessen sollen wichtige Neuheiten das Geschäft ankurbeln. Opel setzt in Paris auf den runderneuerten Bestseller Corsa, VW präsentiert eine neue Version des Verkaufsschlagers Passat, Ford enthüllt den überarbeiteten S-Max und Mercedes-Benz zeigt den Sportwagen AMG GT. Für die Hersteller seien das Schicksalsautos, meint Dudenhöffer: "Der Corsa ist der Lackmustest für Opel-Chef Neumann. Der VW-Passat ist wohl der wichtigste Hebel, um die schlechte VW-Pkw-Marge zu verbessern und der AMG GT hat beste Chancen, der über 40 jährigen Vorherrschaft des Porsche 911 einen sehr ernsten Wettbewerber entgegenzusetzen."
Ernüchterung statt Aufbruchstimmung
Ob die Pariser Messe, die alle zwei Jahre im Wechsel mit der Frankfurter IAA die Herbstneuheiten der Branche zeigt, Europas Automarkt beflügeln kann, ist aber eher unwahrscheinlich. Experte Stefan Bratzel erwartet Ernüchterung statt Aufbruchstimmung, und auch Dudenhöffer ist skeptisch: "Man wird in den Fachgesprächen über Kurzarbeit in Europa sprechen, über noch höhere Rabattprogramme und schlechte Gewinnaussichten im europäischen Autogeschäft." Alle die in USA und Asien gut unterwegs seien, könnten das ausgleichen: "Wer überwiegend in Europa sitzt, wird gekniffen."
Analyst Tim Urquhart vom Beratungsunternehmen IHS Automotive erwartet, dass sich Europas Autokonjunktur im letzten Drittel des Jahres weiter abschwächt. Er traut dem Markt nur noch ein Wachstum von 4,9 Prozent im Vergleich zum schwachen Vorjahr zu: Nach den ersten acht Monaten 2014 steht noch ein Plus von sechs Prozent.