Es ist eine Operation am offenen Herzen des Autobauers Opel. Auf dem Werksgelände des Stammsitzes in Rüsselsheim werden neue Zäune gezogen, Schranken aufgebaut und Abteilungen aufgespalten. Hunderte Mitarbeiter müssen umziehen. Grund ist die Abtrennung wesentlicher Betriebsteile, die in diesen Tagen an den Ingenieursdienstleister Segula übergehen. Für diesen Freitag (30. August) ist der Abschluss des bereits vor einem Jahr verabredeten Geschäfts geplant, das Opel-Chef Michael Lohscheller seinerzeit als "großen Deal" bezeichnet hat.
Nach der Übernahme durch den Peugeot-Mutterkonzern PSA im August 2017 wurde schnell klar, dass das Opel-Entwicklungszentrum eine deutlich zu große Mannschaft an Bord hatte. Die Aufträge des alten Mutterkonzerns General Motors (GM) liefen nach und nach aus, neue kamen nicht im gleichen Umfang hinzu, schließlich verfügte der PSA-Konzern selbst über eine eigene schlagkräftige Entwicklung.
Nur wegen der Synergien unter anderem beim Entwurf neuer Modelle ergab die Übernahme für PSA überhaupt einen Sinn – die neue Tochter Opel berichtete schon im Sommer 2018, dass die Entwicklungskosten für neue Autos jeweils um bis zu 50 Prozent gesunken seien im Vergleich zum Vorgängermodell. Die neue Mutter hatte die unter GM lang vermisste umfassende Elektrostrategie praktischerweise auch noch im Gepäck. Opel fährt seit dem vergangenen Jahr auch wegen der harten Sparmaßnahmen wieder operative Gewinne ein.
PSA hatte bei der Übernahme der IG Metall tariflich zugesichert, alle deutschen Standorte zu erhalten und bei den rund 19.000 Beschäftigten bis zum 30. Juni 2023 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Stattdessen starteten die Franzosen ein üppig dotiertes Abfindungsprogramm, das zunächst auf 3.700 Leute beschränkt bleiben sollte und dann aber noch mehrmals wieder geöffnet wurde, zuletzt für die Produktionsfabriken in Eisenach, Kaiserslautern und Rüsselsheim.
Auch wenn eine große Teilmenge der Abgefundenen aus den Rüsselsheimer Ingenieursreihen stammte, reichte der Abbau dem Management nicht. Vor gut einem Jahr wurde der Teilverkauf des Zentrums an den französischen Dienstleister Segula verabredet, 2.000 von noch 6.400 Mitarbeitern sollten mit wechseln, zu unveränderten Tarifbedingungen.
In der Belegschaft bildete sich aber rasch starker Widerstand gegen einen Wechsel in die französische "Entwicklungsbude", wie Segula im Werk beschimpft wurde. Das Geschäftsmodell, vom Standort Rüsselsheim aus den deutschen Markt für Entwicklungsdienstleistungen mit Opel und vielen weiteren Kunden aufzurollen, überzeugte viele Opelaner nicht. Das stark wachsende Unternehmen sieht sich hingegen als profitabel. Segula-Chef Martin Lange betont die Marktchancen inmitten des branchenweiten Umbruchs zu Elektromobilität und autonomen Fahren.
1.343 Beschäftigte wählten den goldenen Handschlag
Der Betriebsrat setzte in den Verhandlungen schließlich durch, dass die Abfindungskasse erneut geöffnet wurde. In einem mehrstufigen Verfahren wählten schließlich nach Betriebsratsinformationen 1.343 Beschäftigte den goldenen Handschlag, lediglich rund 200 Opelaner wollten freiwillig zu Segula wechseln. Die restlichen 490 wurden zunächst in einen Opel-Teilbetrieb versetzt und sollen nun per Betriebsübergang beim Dienstleister landen. Dagegen sind individuellen Einsprüche möglich: Allein die Wiesbadener Kanzlei Caesar-Preller hat diese nach eigenen Angaben für knapp 40 Mandanten eingelegt.
Diese Beschäftigten bleiben bis zu einer gerichtlichen Entscheidung bei Opel, und auch sonst fällt der um zwei Monate verspätete Segula-Start in Rüsselsheim kleiner aus als angekündigt. Statt 2.000 sind bestenfalls 700 Opel-Leute an Bord, dazu kommen noch rund 50 Leute in den Zentralfunktionen. Der Betriebsrat hat intern vorgeschlagen, dass zunächst nur die Freiwilligen wechseln sollten und Opel dem künftigen Dienstleister Leute ausleihen könne. Grund seien Fehler bei der Abspaltung: So stünde die bei Opel verbleibende Werkstankstelle ab Montag ohne Leute da – und Segula verfüge über Prüfstände ohne kundige Mitarbeiter.
Über die Einzelheiten des Vertrags haben beide Seiten bislang geschwiegen. Bekannt ist, dass rund 20 Gebäude und mehr als 120 Prüfstände an die Franzosen gehen. Dazu kommen garantierte Opel-Aufträge und eine Mitgift in unbekannter Höhe, von der "Wirtschaftswoche" auf 190 Millionen Euro taxiert. Das Testgelände im nahen Rodgau-Dudenhofen bleibt in Opel-Besitz, wird künftig aber von Segula betrieben.
Mit der Operation ist der Stellenabbau bei Opel wohl noch längst nicht abgeschlossen. Auf der Grundlage von PSA-Rentabilitätsvorgaben müsse das Unternehmen bis 2023 europaweit noch mehr als 5.000 weitere Jobs abbauen, sagt der Experte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Institut der Universität Duisburg-Essen. Neben den immer wieder geöffneten Abfindungspaket wird in Rüsselsheim derzeit darüber nachgedacht, wie man im Stammwerk die Produktionslücken bis zur Einführung des neuen Modells Astra im Jahr 2021 überbrücken soll. Ein Mittel der Wahl ist dabei die Kurzarbeit.