Mit 96 Jahren ist der "Große" am Samstag, 14. Januar 2023 in Wolfsburg von uns gegangen. Prof. Dr. Carl Horst Hahn hat bis zuletzt täglich in seinem Büro im Kunstmuseum Wolfsburg, das er einst selbst bauen ließ, gearbeitet. Ein Pensionärsleben war ihm fremd. Seine geistige Fitness konnten wir noch live im Oktober 2021 bewundern, als er, 94 Jahre alt, frei die Festansprache zu 60 Jahren Autohaus Gehlert in Freiburg hielt.
Sportlich gehörte Prof. Hahn jener Gattung an, die jeden Morgen pünktlich um 7 Uhr von den Personenschützern zum Joggen abgeholt wurde. Die letzten Jahre wechselte er aufs Trampolin.
Als der VW-Händlerverband 2015 in Hannover sein 50. Jubiläum feierte, wirkte Prof. Hahn (89) als Keynote Speaker. Präsent wie immer! Da stand ein sportiver Manager, der immer noch vielfach unterwegs war und dabei stets in ganz großer Noblesse die Konzernmarken verkörperte. Die VW-Händlerschaft applaudierte stehend und dankte Prof. Hahn in großer Wertschätzung für sein großartiges automobiles Lebenswerk. Wahrlich, ein Vorbild, ein Sir!
Die Wirkstationen
Prof. Hahn wurde in Chemnitz geboren. Sein Vater war schon bei DKW für den Vertrieb verantwortlich. Und so wuchs er von jung an mit Benzin im Blut und stets mit hoher Vertriebsorientierung auf. Sein Händler-Credo: "Die Händler sind die Lunge der Fabrik!" Und das lebte er. Mit Überzeugung! Von Hause aus hatte er die Möglichkeit für ein internationales Studium in Zürich, Bristol, Paris, Bern und Perugia. Seine Dissertation schrieb er 1952 bei Fritz Marbach in Bern zum Thema: "Der Schumann-Plan im besonderen Hinblick auf die deutsch-französische Stahlindustrie." 1954 startete er als Assistent des legendären VW-Vorstandsvorsitzenden Heinrich Nordhoff seine VW-Karriere. Dieser schickte ihn 1958, gerade mal 32 Jahre alt, als Chef zur umstrittenen "Volkswagen of America". Dort machte er den "Beatle" salonfähig. Wie muss ihn da die Werksschließung von Westmoreland 1986 geschmerzt haben? Oder auch das Verlust-Engagement 1979 bei Triumph Adler!
Mit 38 Jahren saß er im VW-Vorstand. Vertriebsvorstand! Da kam dann 1965 Audi hinzu. Es gab mit VW-Chef Rudolf Leiding, der den Übergang vom Käfer zum Golf gestaltete, Differenzen. Hahn ging und wurde Vorstandsvorsitzender von Continental (1973 bis Ende 1981). Toni Schmücker holte ihn 1982 zurück und er wurde VW-Vorstandsvorsitzender. Prof. Hahn war es, der 1984 die VW-Weichen nach China stellte. Wirklich, er wirkte vielfach nicht nur als Industriekapitän, sondern in Wahrheit als deutscher Außenminister, Brückenbauer, Türöffner. 1992 hatte ihn Gorbatschow privat zu Hause besucht. Papst Johannes Paul II. hat ihn empfangen, ebenso der chinesische Ministerpräsident Li Peng u.a. Den Erwerb von Seat (1986) kann man heute noch so oder aber auch so sehen. Ebenso stellte er die Weichen für den Erwerb von Skoda (1990 – 2000). 1993 übernahm Ferdinand Piech von ihm den Chefposten. Prof. Hahn wechselte noch bis 1997 in den Aufsichtsrat.
Die Ära nach der aktiven VW-Zeit
Als gebürtiger Chemnitzer hatte er schon vor der Grenzöffnung für die "DDR" einen ganz besonderen Herzschlag. Er ist heute nicht nur aus gutem Grunde in Chemnitz Ehrenbürger und hat hier seit der Wiedervereinigung im Hintergrund vieles, auch kulturell zusammengeführt. Nicht nur über das neue Motorenwerk 1992 in Chemnitz. 2013 verstarb seine Frau Marisa, was ihn sehr schmerzte. Prof. Hahn hatte vier Kinder und neun Enkel. Er war auch ein Familienmensch. 2006 gründete der Jubilar eine Stiftung. Jetzt erhielt sie den Namen Carl und Marisa Hahn-Stiftung Wolfsburg. Prof. Hahn engagierte sich ferner stark zum Thema Bildung und war bis zuletzt Mitglied in verschiedenen Kuratorien und Vorstandschaften.
Sir Prof. Dr. Dr. hc.mult. Carl H. Hahn
Carl H. Hahn gehörte zu den Ausgewählten, für die der seltene Ehrentitel "Sir" Wesenhaftes über ihre Persönlichkeit aussagte. Immer Haltung, immer Respekt, immer Contenance, immer Stil! Wahrlich ein gigantischer Contrapunkt zu seinem Nachfolger Ferdinand Piech. Ich hatte meine erste Begegnung mit ihm anlässlich "75 Jahre ZDK" in Düsseldorf. Er war dort neben Bundesinnenminister Dr. Friedrich Zimmermann (CSU, "Pomaden-Fritz") der Festredner. Der überragende ZDK-Präsident Fritz Haberl hatte beide verpflichtet. Zu gut erinnere ich mich an Hahns Einlassung: "Ich beteilige mich nicht – zumal in diesem Kreis – an der Verbreitung von Kolportagen, die wissen wollen, kein anderes Produkt habe in so kurzer Zeit so viele Millionäre 'produziert' wie der Volkswagen." Er wollte damit allen anwesenden VW-Großhändlern deutlich machen, dass sie ihr Millionärsdasein Volkswagen zu verdanken haben.
An der Hochschule in Geislingen
Am 19. Oktober 2006 schenkte Prof. Hahn uns die Freude und das einmalige Erlebnis und nahm eine Einladung zum Vortrag an der Automobil-Hochschule in Geislingen an.
Unvergesslich, wie er im Alter von 80 Jahren eineinhalb Stunden vor den Studenten referierte und sie zu Fleiß, Offenheit und Neugier anhielt. Ich fragte ihn damals, weshalb er sich für China engagierte und nicht gleichermaßen auch für Indien, nachdem dort ebenso 1,2 Milliarden Menschen lebten. Prof. Hahn: "Wenn sie neue Märkte erschließen brauchen sie viel Managementkapazität. Und das lässt sich in dieser Dimension nicht zeitgleich in einem Wurf gestalten."
Prof. Hahn war ohne Frage ein Pionier der Globalisierung. Er hat den Konzern internationalisiert und Volkswagen zum Europamarktführer gemacht.
Wir danken einem Sir, der große Automobilgeschichte schrieb, der stets das Ganze im Blickfeld hatte und sich menschlich stets für Klein und Groß engagierte. Sein Name und sein großartiges Wirken werden immer mit Volkswagen in Verbindung stehen. Wir werden sein vorbildliches stilvolles Wirken stets in besonderen Ehren halten.
Unsere letzte persönliche Begegnung
Es sollte unsere letzte persönliche Begegnung sein: Im Oktober 2021 feierte das Autohaus Gehlert in Freiburg sein 60-jähriges Firmenjubiläum. Prof. Hahn ließ es sich nicht nehmen, die Einladung als Ehrengast anzunehmen! Vor der Festveranstaltung machte sich Prof. Hahn vor Ort ein persönliches Bild. Er legte großen Wert darauf! Franz-Xaver Grünwald, der Inhaber, seine Frau Edit mit Schwägerin Ingrid Thoma begleiteten dabei den Ehrengast.
Gerhard Marbart