USA. Tuscaloosa – auf normalen Landkarten muss man diese Kleinstadt im US-Staat Alabama schon gründlich suchen. Doch auf dem Mercedes-Globus hat sie eine prominente Markierung. Auch wenn es ein bisschen gedauert hat, bis die Schwaben dort ihr erstes und noch immer einziges US-Werk zum Laufen gebracht haben, ist es aus dem globalen Produktionsverbund nach mittlerweile 25 Jahren nicht mehr wegzudenken. Schließlich ist es die Heimat der großen Geländewagen, die am Absatz und mehr noch am Ertrag des Konzerns längst einen gewichtigen Anteil haben. Nicht ohne Grund ist die Jahresproduktion dort von Anfangs 65.000 M-Klassen auf mittlerweile 260.000 GLE, GLS und Maybach gestiegen.
Aber dass sie von Stuttgart aus alle so gerne in den Süden der USA schauen, hat noch einen anderen Grund als die vier Millionen SUV, die dort seit der Eröffnung im April 1997 gebaut worden sind: Der US-Standort ist so etwas wie eine Kaderschmiede und hat so manche Karriere befördert. Nicht zuletzt die Herren Källenius und Schäfer haben dort nacheinander den Hut aufgehabt und es seitdem – der eine als Vorsitzender, der andere als oberster Techniker – in den Vorstand geschafft.
In dieser Zeit sind Freundschaften entstanden, die bis heute fortbestehen, sagt Schäfer und schwärmt von der "Southern Hospitality". Dabei war Alabama anfangs alles andere als gastlich zu Mercedes. Auch im übertragenen Sinn war Tuscaloosa lange eine große Baustelle für Mercedes, weil die Autos der ersten Jahre alles andere als Mercedes-like waren.
"Die Sterne vom Himmel holen"
Aber auch die lausige Qualität der frühen Jahre ändert nichts daran, wie sehr Schäfer von den Menschen schwärmt, von ihrer Motivation und von ihrem Stolz darauf, hier die Sterne vom Himmel zu holen. Und auch Källenius ist voll des Lobes und lässt sich bis heute keine Gelegenheit entgehen, hier ein paar BBQ-Ribs zu essen und ein Spiel der lokalen Football-Mannschaft zu besuchen. Selbst wenn die Firmendüse dafür einen Umweg machen muss.
Mitte März hatten die beiden mal wieder Gelegenheit, vor Ort die alten Erinnerungen aufzufrischen, mal wieder bei ihren alten Freuden vorbeizuschauen und neue Freundschaften zu schließen. Denn Mercedes hat gerade kräftig in den Standort investiert und einen Steinwurf vom Werk entfernt eine Batteriefabrik eröffnet:
Auf einer rund 400 Meter langen Fertigungsstraße mit 70 Arbeitsschritten sollen dort bald 600 neue Mitarbeiter im Team mit einem Heer von Robotern binnen jeweils vier Stunden eine sechsstellige Zahl an Batteriepaketen pro Jahr packen. Und schon in wenigen Jahren sollen die Zellen dafür ebenfalls in den USA produziert werden.
Der buchstäblich größte Grund für die neue Akku-Produktion dreht – noch mit der üblichen Tarnfolie überzogen – auf dem einstmals für die M-Klasse angelegten Offroad-Parcous am Rand des Werksgeländes bereits eifrig seine Runden: Spätestens nach den Sommerferien soll hier die Produktion des EQS SUV beginnen, dem zum Jahreswechsel dann auch noch ein Geländewagen des EQE und kurz darauf der erste elektrische Maybach folgen - alle mit mindestens 500 Kilometer Reichweite und deshalb mit zehn oder zwölf Akku-Paketen von dann 90 oder 107 kWh Netto-Kapazität.
Kein Wunder also, dass sie im neuen Batteriewerk schon mit dem Aufbau der zweiten Fertigungslinie begonnen haben. War Tuscaloosa mit seinen Dickschiffen bislang – nun ja – nicht eben eine grüne Insel in der Mercedes-Welt-Landkarte, soll mit den elektrischen Geländewagen der CO2-Fußabdruck des Konzerns weiter schrumpfen und der bis zum Ende der Dekade versprochene Umstieg auf die Elektromobilität bekräftigt und beschleunigt werden.
Wichtiger Meilenstein
"Die Eröffnung unseres neuen Batteriewerks in Alabama ist ein wichtiger Meilenstein auf unserem Weg zur vollelektrischen Zukunft", sagt denn auch Källenius und schiebt dann einen Satz hinterher, der die eher zierliche Gouverneurin Kay Ivey gleich zwei Handbreit wachsen lässt: "Mit einem ganzheitlichen Ansatz, der auch eine lokale Zellbeschaffungs- und Recyclingstrategie beinhaltet, unterstreichen wir die Bedeutung unseres US-Standorts, an dem Mercedes-Benz seit Jahrzehnten erfolgreich ist."
Ja, mit dem Invest ist Tuscaloosa jetzt dann "fit for future" und wird zum Motor des Wandels. Der aufgebockte EQS meistert die steinige Strecke durch Waldstücke und Wasserläufe mühelos. Und die Vorbereitungen in der Fabrik für den Start der EQ-Produktion sind nahezu abgeschlossen. Doch der Weg auf die Electric Avenue ist für Tuscaloosa noch nicht ganz geschafft.
Auch wenn Mercedes seit der Eröffnung des Werkes bereits sechs Milliarden Dollar in den Standort investiert und jetzt noch einmal eine Milliarde für die Batteriefabrik, ein Logistikzentrum und die Flexibilisierung der Fabrik nachgeschossen hat, werden sie wohl noch ein paar Schecks unterschreiben müssen, damit die Elektromobilität und mit ihr die vielen Strom-SUV "Made in Alabama" so richtig in Fahrt kommen. Denn mit den drei Ladesäulen alleine, die aktuell auf dem Parkplatz vor der neuen Batteriefabrik stehen, werden sie den Trip in die Zukunft kaum speisen können.