Von Michael Gebhardt/SP-X
Axel Harries hat bei Daimler gerade einen sehr dankbaren Job. Als CEO der "schnellen Einsatzttruppe" Case kann er mit seinem Team nach Start-up-Manier forschen und entwickeln, gleichzeitig aber steht ihm der Mutterkonzern mit Geld und Ressourcen jederzeit zur Verfügung. Ende 2016 hat Daimler die neue Case-Strategie vorgestellt, und die Buchstaben mit Leben gefüllt: C steht für Connectivity, A für autonomes Fahren; S bedeutet Shared und Service und E bezeichnet den Elektroantrieb. Auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas wird diese Strategie nun teilweise konkretisiert.
Das Thema autonomes Fahren steht bei Mercedes schon längere Zeit ganz oben auf der Agenda. Doch stehen die Stuttgarter aktuell vor den gleichen Problemen wie alle anderen Hersteller: Das Auto verfügt noch nicht über ausreichend künstliche Intelligenz, um komplexe Entscheidungen so gut und sicher wie ein Mensch zu treffen, und auch die Bilderkennung muss noch deutlich besser werden. Zumindest Letzteres scheinen die Ingenieure langsam aber sicher in den Griff zu kriegen. Neue Systeme verarbeiten pro Stunde bis zu sieben Terrabyte an Daten und können nicht nur Straßen, Fußgänger und andere Fahrzeuge ausmachen, sondern auch den Gehweg, Laternenpfosten, Gebäude und den Himmel erkennen und sogar Motorradfahrer von Radlern unterscheiden. Und: Die Technik ist lernfähig. Hat ein Auto in Australien einmal ein Känguru als solches erkannt, kann es die Information ans Backend übermitteln und mit dem nächsten Update können alle Mercedes das hüpfende Beuteltier bestimmen.
Weitere Fortschritte auf dem Feld der künstlichen Intelligenz sollen außerdem dabei helfen, dem Fahrer die Fahrt angenehmer zu machen. Die auf dem Messestand ausgestellte C-Klasse zum Beispiel lernt durch die Auswertung von Verhaltensmustern ihren Fahrer immer besser kennen und ist nach wenigen Wochen in der Lage, die wahrscheinlich gewünschte Route schon beim Einsteigen vorzuschlagen oder vorherzusehen, wann der Lenker wen anrufen möchte. Apropos anrufen: Auch mit dem eigenen Heim steht das Auto künftig in Kontakt. Ab Anfang 2017 können die Kunden über Google Home oder Amazon Alexa mit ihrem Auto Kontakt aufnehmen und zum Beispiel den Tankfüllstand abfragen, oder schon von daheim aus Naviziele einspielen. Umgekehrt lässt sich natürlich auch aus dem Auto das Smart Home steuern und zum Beispiel das Licht einschalten.
Gesundheitsdienstleistungen
Im Bereich der neuen Service setzt Mercedes vor allem auf Gesundheitsdienstleistungen. Die zum Konzeptfahrzeug "Fit & Healthy" umgebaute Maybach S-Klasse bietet zum Beispiel zwei sogenannte Erlebniswelten, die Einfluss auf Beduftung, Massage, Ambientelicht und Ionisation der Klimatisierung nehmen und in ähnlicher Form schon bald mit dem S-Klasse Facelift in Serie gehen könnten. Je nachdem ob einem nach Regeneration oder Aktivierung ist, werden zahlreiche Sinne angeregt – sogar die Bauchmuskeln. Beim neuen 4D-Sound wird der Klang derart in mechanische Bewegung umgesetzt, dass er in der Magengegend gut spürbar ist. Spüren kann der Fahrer auch die Tiefenmassage und den Aktivsitz, der im Motion-Modus in Bewegung gerät: Kleine Veränderungen der Sitzposition, zum Beispiel durch Variation der Neigung, sollen auf längeren Fahrten für Entspannung sorgen. Eine ähnliche Technik hat allerdings BMW schon vor einigen Jahren präsentiert.
Ganz neu ist dagegen die Predictive Emergency Defense. Über Sensoren im Lenkrad oder eine Smartwatch kann der Wagen den Puls des Fahrers abfragen und daraus den Gesundheitszustand ableiten. Speziell für Vielfahrer und Berufskraftfahrer hat Mercedes eine Sensor-Weste entwickelt, die es sogar ermöglicht, ein EGK während der Fahrt anzufertigen. Diagnostiziert das Auto einen Herzinfarkt, kann es unverzüglich die Rettung rufen und kontrolliert anhalten. Bei einem medizinischen Notfall ist es zweitrangig, wo der Wagen parkt – in der City aber kann die Suche nach einer freien Lücke sehr nervenaufreibenden sein. Das will Mercedes zusammen mit Bosch ändern: Mithilfe der an Bord verbauten Sensoren scannen Mercedes-Modelle freie Stellplätze am Straßenrand und melden diese an die Cloud. Andere Fahrer können die Info abrufen und direkt einen verfügbaren Stellplatz ansteuern.
Neben der Pkw-Sparte hat Daimler erstmals auch seine Van-Abteilung mit nach Las Vegas gebracht. Und die wollen gleich eine kleine Revolution bei der Paketauslieferung auf der letzten Meile anzetteln. Von einem Mercedes-Sprinter mit ausgeklügeltem Ladesystem, der zwischen verschiedenen innerstädtischen Lager-Hubs pendelt, sollen Roboter ausgesendet werden, die die Zustellung einer Bestellung zum Kunden über die letzten ein, zwei Kilometer übernehmen. Einen entsprechenden Feldversuch will Mercedes zusammen mit seinem Roboter-Partner Starship und einem noch nicht näher benannten Logistikunternehmen noch im ersten Halbjahr 2017 starten.