Von Annika Grah und Roland Losch, dpa
Rund 5,3 Millionen Autos haben die deutschen Autokonzerne VW, BMW und Mercedes vergangenes Jahr in Europa verkauft - fast eine Million mehr als in China und vier Millionen mehr als in den USA. Der europäische Automarkt ist überraschend um gut neun Prozent gewachsen, stärker als der chinesische oder amerikanische. Gute Vorzeichen also für den Genfer Autosalon, der an diesem Donnerstag eröffnet wird. Dabei steht die europäische Autoindustrie vor zwei großen Herausforderungen: dem drohenden Austritt Großbritanniens aus der EU ("Brexit") und der Diskussion um hohe Diesel-Abgaswerte.
In Europa wurden im vergangenen Jahr 13 Millionen Autos zugelassen - davon 2,5 Millionen in Großbritannien. Zum Vergleich: In Frankreich waren es 1,9 Millionen, in Italien gerade mal 1,6 Millionen. Das Königreich ist für die deutschen Autobauer nach China, den USA und Deutschland der wichtigste Absatzmarkt. Denn die Briten kaufen inzwischen gern wieder teure Autos. Die deutschen Hersteller kommen laut Branchenverband VDA in Großbritannien auf einen Marktanteil von gut 52 Prozent. Der Anteil der Oberklasseautos dort ist laut Daimler doppelt so hoch wie in Frankreich oder Italien.
"Nach der Krise gibt es dort wieder eine gesunde Mittelschicht, die sich auch etwas gönnt", sagt Peter Fuß von der Wirtschaftsberatung Ernst & Young (EY). "Großbritannien ist ein extrem wichtiger Automarkt und sehr, sehr wichtig für die Autobauer aus Deutschland." Die fünf bis sechs Prozent Wachstum der jüngsten Zeit würden sich zwar voraussichtlich nicht wiederholen. Aber es sei ein stabiler Markt.
Ein Austritt Großbritanniens könnte die deutschen Hersteller daher hart treffen. "Umso wichtiger ist es, dass Großbritannien Mitglied der EU bleibt", betont VDA-Präsident Matthias Wissmann. BMW-Vertriebsvorstand Ian Robertson sagte kürzlich, er würde einen Austritt Großbritanniens "sehr bedauern". 2015 hat der Münchner Konzern dort fast drei Mal so viele Autos verkauft wie in Frankreich.
"Premium-Affinität des britischen Marktes"
Auch bei Audi schätzt man "die Premium-Affinität des britischen Marktes". Die Nachfrage nach gut motorisierten Modellen sei auf der Insel sehr hoch, sagte eine Sprecherin. "Auch wenn es im italienischen und spanischen Automobil-Gesamtmarkt wieder bergauf geht, ist die wirtschaftliche Situation nicht mit Deutschland oder Großbritannien vergleichbar", sagt die Audi-Sprecherin. Denn Kaufkraft und Lohnniveau in Italien und Spanien lägen unter dem Niveau Deutschlands oder Großbritanniens. Bei Daimler will man sich zu einem möglichen "Brexit" oder Verkaufszahlen nicht äußern.
"Ein 'Brexit' würde alles verteuern", sagt Stefan Bratzel von der Fachhochschule in Bergisch Gladbach. Allerdings dürfte Großbritannien dann einen Status erhalten wie die Schweiz und sich über Verträge möglichst viel erhalten. Trotzdem ist klar: "Durch einen 'Brexit' würden Handelshemmnisse aufgebaut - insbesondere Zölle mit entsprechenden Auswirkungen auf den Kauf der Produkte", sagt dagegen EY-Experte Fuß. "Umgehen könnten das die Hersteller nur durch lokale Produktion." BMW baut in England Modelle von Mini und Rolls-Royce, VW Bentleys.
Europas Automarkt ist angesichts von billigem Sprit und niedrigen Zinsen stark wie lange nicht - trotz des Abgas-Skandals beim Branchenprimus VW. In Europa erwartet der Branchenverband im laufenden Jahr einen Absatzzuwachs bei den Verkäufen von etwa zwei Prozent auf 14 Millionen Fahrzeuge. Auch dann fehlen noch gut eine Million Autos, um auf das Niveau vor der Finanz- und Wirtschaftskrise zurückzukommen. Aber zuletzt war der Markt zumindest robust. Ob das angesichts der Diskussion um den Diesel so bleibt, wird sich noch zeigen.