Von Benjamin Bessinger/SP-X
Formel 1 für die Straße – nach diesem Prinzip hat sich der Rennstall McLaren in kürzester Zeit auch abseits der Rundstrecke zu einem ernsthaften Konkurrenten von Ferrari oder Porsche gemausert. Doch je kompromissloser die Autos, desto kleiner auch der Kundenkreis. Im Prinzip ist das kein Schaden, schließlich steigt mit kleinen Stückzahlen die Exklusivität und damit der Preis, den einen Firma für ihre Autos erzielen kann.
Doch weil auch die Briten wild auf Wachstum sind und sich nicht auf ewig mit etwa zweitausend Zulassungen begnügen wollen, haben sie im letzten Jahr einen Kurswechsel eingeläutet und den Flirt mit dem Alltag begonnen. Schon das neue "Basismodell" 570S ist deshalb eine kleine Revolution, weil es als erster McLaren überhaupt mit Handschuhfach und Schminkspiegeln aufwartet. Und wenn in den nächsten Wochen zu Preisen ab 195.350 Euro mit dem Kürzel GT die zweite Karosserievariante in den Handel kommt, zahlt McLaren einen noch höheren Tribut an das Leben diesseits der Rennstrecke. Denn zum ersten Mal gibt es beim GT nun sogar einen Kofferraum.
Wobei die Briten natürlich viel zu vornehm sind für solch profane Begriffe: "Touring Deck" heißt deshalb die mit feinem Leder ausgeschlagene Ablage, die sich hinter den Sitzen unter einer zur Seite öffnenden Glashaube erstreckt. Zwar kann man den früher wie ein Kunstwerk drapierten Motor unter einem schmalen Streifen Lochblech jetzt allenfalls noch erahnen. Aber dafür passen nun bis zu 220 Liter auf die Premium-Pritsche. Zusammen mit der 150 Liter großen Kuhle im Bug kommt der 570 GT so auf ähnlich viel Stauraum wie ein VW Golf und taugt schon fast zum Urlaubsauto.
Freier Blick nach oben
Und das ist nicht die einzige Änderung, die McLaren an der Karosserie vorgenommen hat. Denn wo die Briten schon mal dabei waren und eine Glaskuppel über das Heck gestülpt haben, wurde auch das Blech über den Sitzen gegen ein Fenster zum Himmel ausgetauscht. Der freie Ausblick unter getöntem Glas gibt nicht nur einen Vorgeschmack auf den kommenden Spider, sondern lässt den 570er ungewöhnlich licht und luftig wirken.
Mit dem zusätzlichen Stauraum und dem neuen Gefühl von Weite ist es allerdings noch nicht getan. Weil McLaren es ernst meint mit der Alltagstauglichkeit und der Idee vom Gran Turismo haben die Briten den Wagen auch etwas softer abgestimmt. Die Federung ist nicht mehr ganz so bandscheibenmordend, die Lenkung gerade so viel weniger direkt, dass der 570 GT nicht nervös wie ein Rennpferd über die Piste tanzt und der Auspuff wurde so stark gedämmt, als habe der Kraftmeier Kreide gefressen. Selbst das Einsteigen wird einfacher, weil eine Easy-Entry-Funktion nun das Lenkrad zurückzieht und die Sitze nach hinten rückt, sobald sich die Türen öffnen.
Doch keine Sorge, nur weil McLaren die praktische Seite betont, machen die Briten bei der Performance keine Kompromisse. Hinter der Gepäckablage tobt deshalb wie eh und je der 3,8 Liter große V8-Motor, der eindrucksvolle 419 kW / 570 PS mobilisiert und die siebenstufige Doppelkupplung mit bis zu 600 Nm traktiert. Selbst wenn auch das Getriebe etwas sanftmütiger wirkt und das Gewicht mit dem ganzen Glas auf 1.350 Kilo gestiegen ist, raubt einem der 570 GT noch immer den Atem: Denn 3,4 Sekunden von 0 auf 100 und 328 km/h Spitze reichen allemal zum Powerplay mit dem Praktiker. Und spätestens, wenn man die beiden Drehknöpfe für Antrieb und Handling auf der Mittelkonsole von Normal in Sport oder gar Track dreht, reitet man wieder auf Messers Schneide. Kofferraum hin, Sonnendach her – auch als GT ist und bleibt der McLaren ein Rennwagen reinsten Wassers – nur dass er jetzt eben auch für die Langstrecke taugt.
Kritiker mögen angesichts des 570GT zwar die gleiche Verweichlichung befürchten wie bei Porsche und sich um die reine Lehre sorgen. Doch bei den Kunden kommt das Konzept offenbar gut an. Nachdem die Briten bislang mit einem Verkaufsanteil von zehn bis 15 Prozent kalkuliert hatten, planen sie nach den Reaktionen auf die Genfer Premier und den Erfolg im Vorverkauf mittlerweile mit mindestens 50 Prozent.