Von Michael Gebhardt/SP-X
Immer stärker, immer schneller – diese Devise hat im Autobau schon lange nicht mehr oberste Priorität. Inzwischen lautet das Credo der meisten Hersteller: runter mit dem Verbrauch. Schließlich wollen scharfe Abgas-Grenzwerte eingehalten werden, und die Kundschaft freut sich, wenn die Tankrechnung nicht so hoch ausfällt. Das ist auch bei Jeep nicht anders, die erst kürzlich mit einem Dreizylinder im Renegade für Begeisterung bei der Sparfraktion und Entsetzen bei den Traditionalisten gleichermaßen gesorgt haben. Ganz losgelöst von der alten Noch-mehr-Parole haben sich die Amis aber doch noch nicht: Mit dem Grand Cherokee Trackhawk haben sie ein Auto im Portfolio, dass der Vernunft die kalte Schulter zeigt, mit einem Handstreich alle Effizienz-Bemühungen vom Tisch fegt und mit einem kompressorgeladenen 6,2-Liter-V8 unter der Haube in die Downsizing-Ära platzt.
Mit 522 kW / 710 PS steht der Grand Cherokee Trackhawk in der SUV-Leistungstabelle ganz oben; sowohl bei Jeep, als auch markenübergreifend gibt es kein stärkeres Serien-Modell. In der Preisspalte dagegen rangieren einige Mitbewerber über dem mit 119.900 Euro fast als Schnäppchen bewerteten Ami: Deutlich schwächere Boliden wie Mercedes-AMG G 63 oder Porsche Cayenne Turbo sind um einiges teurer, und für die beiden einzigen ernst zu nehmenden Konkurrenten, Lamborghini Urus und Bentley Bentayga, muss man fast das doppelte auf den Tisch legen. An den letztgenannten beißt sich allerdings selbst der Über-Jeep die Zähne aus: Obwohl ihn seine 868 Newtonmeter Drehmoment mächtig anschieben und in unwirklichen 3,7 Sekunden auf Landstraßentempo katapultieren, nimmt ihm der Lambo beim Ampelstart eine Zehntelsekunde ab, und beide verfrühstücken ihn auf der Geraden: Urus und Bentayga laufen über 300 Sachen, der Jeep hat bei 289 km/h dem Luftwiderstand nichts mehr entgegen zu setzen.
Jeep Grand Cherokee Trackhawk
BildergalerieKleinigkeiten, die nur auf dem Papier ausschlaggebend sind. Denn niemand, der auch nur einmal mit dem Jeep die Launch Control ausprobiert hat, wird dem Ami zu wenig Leistung bescheinigen: Der Kompressor heult kurz auf, der V8 markiert mit lautem Gebrüll sein Revier, die Motorhaube geht ein bisschen nach oben – und nur einen Wimpernschlag später kribbelt es im Magen und man riskiert auf der Landstraße seinen Führerschein. Damit das Material der archaischen Kraftentfaltung standhält, wurden die hinteren Antriebswellen, die Hinterachse und die Achtgang-Automatik verstärkt und der eher hecklastig ausgelegte Allradantrieb überarbeitet. Um den Trackhawk wieder Einhalt zu gebieten, montiert Jeep riesige Brembo-Stopper – vorne mit 400er-Scheiben, hinten mit 350 Millimeter Durchmesser.
Das alles sorgt dafür, dass sich die 2,5-Tonnen-Schrankwand erstaunlich durchtrainiert anfühl. Und ja, in der Kurve krallt er sich richtig fest. Ein Sportwagen aber wird der Jeep dadurch noch lange nicht: Zu sehr drückt das Gewicht zum Kurvenrand, zu viel Bewegung ist in der Karosserie, und die Lenkung arbeitet zu indirekt. Das können Porsche und Lamborghini besser, Cayenne und Urus wirken verbindlicher, präziser – aber auch ein bisschen langweiliger. Die Boliden aus dem VW-Konzern sind durch kaum etwas aus der Ruhe zu bringen, stellt man beim Jeep den Fahrmodusschalter dagegen auf Track, gewährt das ESP ihm reichlich Freiheiten und wer nicht aufpasst, wird in der Kurve trotz Allrad vom Heck überholt.
17 Liter Norm- und nur selten weniger als 20 Liter Praxisverbrauch
Dass sich mit dem Jeep tatsächlich jemand auf den Track, also die Rennstrecke traut, ist allerdings genauso unwahrscheinlich, wie ein Ausflug ins Gelände. Das wissen auch die Ingenieure, und haben, wie beim bisherigen V8-Top-Modell Grand Cherokee SRT, die Getriebeuntersetzung weggelassen. Die meisten Trackhawks werden wahrscheinlich ganz brav auf der Straße gefahren, und genau da überrascht der Jeep – mit ordentlichem Komfort und zahmen Manieren. Die adaptiven Bilstein-Dämpfer federn im Auto-Modus erstaunlich viel Unbill der Straße weg und hat man seinen rechten Fuß im Griff, grummelt der V8 nur leise vor sich hin und der Jeep wirkt alles andere als nervös oder aggressiv. Selbst optisch haut er nicht auf dem Putz: Ok, die Luftauslässe auf der Motorhaube fallen auf, ansonsten aber verrät er sich nur durch gelbe Bremssättel und vier Endrohre. Nur der Tankwart wird ihn schnell erkennen: Mit fast 17 Liter Norm- und nur selten weniger als 20 Liter Praxisverbrauch ist der Trackhawk trotz 90-Liter-Tank häufiger Gast an der Zapfsäule.