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Auto-Betriebssysteme: Wenn der Wagen endlich spurt

02.01.2025 10:08 Uhr | Lesezeit: 3 min
Polestar Touchscreen
Over-the-air-Updates, softwaredefinierte Fahrzeuge, zentrale Betriebssysteme: Immer öfter wird die Autokundschaft mit möglichen Wunderfunktionen aus der digital-vernetzten Welt umgarnt.
© Foto: Polestar

Over-the-air-Updates, softwaredefinierte Fahrzeuge, zentrale Betriebssysteme: Immer öfter wird die Autokundschaft mit möglichen Wunderfunktionen aus der digital-vernetzten Welt umgarnt. Doch der Drang zum rollenden Computer hat auch wirtschaftliche Gründe, die den Menschen im Auto eher wenig Vorteile bringen.

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Als der Nio ET5 vor fast zwei Jahren erstmals über deutsche Straßen rollte, hatte er schon Besonderes vorzuzeigen: elegante Limousinen waren schließlich im SUV-Einerlei der Elektroauto-Konkurrenten eher dünn gesät. Nur leider haben sich die chinesischen Fahrzeuge zuweilen reichlich un-limousinenhaft verhalten. Mit aktiviertem Spurhalte-Assistent etwa pendelte der Wagen meist leicht trunken zwischen rechter und linker Begrenzung der Fahrbahn hin und her. Dafür piepste der Nio schon bei kleinsten Spurveränderungen gern mal hysterisch ins Stammhirn seiner Reisenden. Uff …

Jetzt, nicht einmal zwei Jahre später, hält sich derselbe Wagen souverän in der Mitte der gewählten Spur. Und wer eigenhändig etwa durch Baustellen manövriert, wird nicht mehr ständig von übervorsichtigen Warnmeldungen genervt. Da gibt der Mensch am Steuer doch ganz gern mal sein Lob für die Leistung an den kugeligen Bord-Begleiter „Nomi“ auf dem Armaturenbrett weiter – so etwa: "Hey Nomi - ich gebe mal Feedback: Das neueste Update macht den ET5 jetzt wirklich angenehmer."

Over-the-air-Updates sind en vogue

Hinter der Verbesserung steht die stetige Verbindung des Fahrzeugs in die Cloud der Programmierer. Die hat die Rückmeldung der Besitzer nämlich schon seit dem ersten verkauften Fahrzeug virtuell erreicht – und zu ständigen Verbesserungen tief im Betriebssystem des Autos geführt. „Unsere User treiben Nios Updates mit Vorschlägen und Erfahrungen voran. Unser Betriebssystem Banyan ist ein Beispiel dafür“, sagt Benjamin Steinmetz, Software-Experte beim Autohersteller.

Die aktuelle Version des Betriebssystems Banyan enthalte daher mehr als 50 Aktualisierungen. Jetzt versteht die Sprachsteuerung etwa plötzlich viel mehr und besser den Fahrer, das Infotainment zeigt auch Filme aus dem Disney-Angebot oder die Matrix-Scheinwerfer blenden bei Fernlicht noch passgenauer den Gegenverkehr aus.


Nio ET5 Touring

Nio ET5 Touring schräg von vorn auf Schotterplatz Bildergalerie

Solche Optimierungen über Nacht – und ohne Werkstattbesuch – versprechen immer mehr Hersteller ihren Kunden. Over the air, also aus der schwer gesicherten Cloud des Herstellers, sollen dabei immer neue Wunderdinge ins Fahrzeug einziehen. Die meisten Anbieter beschränken sich dabei bisher noch auf Verbesserungen bei Komfortfunktionen, im Infotainment, bei Navigation oder bei Benutzeroberflächen.

Aber manche können auch in Motorsteuerung und Antriebsstrang-Management, die Fahrerassistenzsysteme, Sicherheitsfeatures oder Batterie-Management eingreifen. Dann nämlich, wenn die Software, Sensoren und Steuergeräte tief miteinander verwoben sind – und auf Basis eines zentralen Superhirns. Dann geht die Reise schon sehr nah zum sogenannten „softwaredefinierten Fahrzeug“, das die ganze Industrie anhimmelt.

Linux ist die Basis

Das Vorbild dabei ist in der Branche Tesla mit seinem „Tesla OS“ (für Operating System) – aber eigentlich sind es Smartphone-Riesen wie Samsung oder Xiaomi. Denn die haben vorgemacht, wie sich die Hardware ohne teures Aufschrauben frisch halten lässt. Die Basis dafür ist nämlich genau betrachtet eine Gemeinschaftsleistung, die jedermann gratis haben kann: Linux.

Diese Grundlage für ein Betriebssystem kostet auch heute noch keinen Cent. Freie Programmierer haben sie einst als Gratis-Konkurrenz zum allmächtigen Windows des Software-Riesen Microsoft entwickelt. Aus Gratis wurde dann indes ein großes Geschäft – mit dem bekanntesten Linux-Ableger Android. Das läuft heutzutage fast auf 90 Prozent aller Smartphones weltweit und inzwischen als Auto-Betriebssystem Android Automotive auch in Fahrzeugen etwa von Renault, GM oder Polestar.

Die Hersteller können so ein nahtloses und tief in die Fahrzeugarchitektur integriertes Erlebnis bieten. Neue Fahrfunktionen, Eingriff in eine Vielzahl von Steuergeräten bis zu besonders geschmeidiger Einbindung von fast allem, was die Kunden aus ihren Handys kennen? Androids Mutterkonzern Alphabet liefert es im Zusammenspiel mit den Herstellern über Nacht.

Updates sind nicht immer gratis

Aber eben nicht so kostenfrei wie die Linux-Software der Programmier-Piraten früherer Tage. Und das ist ein Grund, warum Hersteller wie Lucid, Nio, BYD oder Tesla versuchen, mit eigenen Linux-basierten Betriebssystemen die Herrschaft über das Hirn ihrer eigenen Fahrzeuge zu behalten. Denn einerseits verlangen Lieferanten der zentralen Softwarebasis dafür Geld – und andererseits wollen sie auch an Zusatzgeschäften mitverdienen.

Denn gratis sind manche Upgrades der Hersteller nicht. So verlangen etwa Anbieter wie Audi oder BMW Extra-Gebühren, wenn in den modernsten Fahrzeugen bessere Scheinwerfer oder Lenkradheizungen drahtlos nachbestellt werden.

Viele Firmen wollen zudem nach ein paar Jahren auch grundsätzlich Gebühren für den Zugang zur neuesten Software-Variante. Ohne diese ist es aber etwa nicht möglich, das Navi frisch zu halten oder beliebte Apps auf dem Touchscreen zu behalten. Das kennen viele Menschen ja auch schon von älteren Handys, die irgendwann nicht mehr mit der aktuellen Software-Basis versorgt werden.


Lucid Air Touring

Lucid Air Touring fahrend von der Seite mit Windrädern im Hintergrund im Westen der USA Bildergalerie

Wer ein eigenes Betriebssystem hat, der eröffnet sich zudem auch ein Füllhorn an Zusatzgeschäften. Apple oder Google etwa verdienen an jedem Download aus dem eigenen App-Store mit – und sind so zu den wertvollsten Unternehmen der Welt geworden. Diese Goldgruben bleiben Autoherstellern verschlossen, die kein eigenes Betriebssystem haben. Wer beispielsweise Spotify in einem Renault nutzt, der lässt neben dem App-Anbieter allein die Android-Automotive-Mutter Alphabet verdienen. Und bei der Youtube-App im Peugeot-Touchscreen über Apple-Carplay verdienen Google und Apple für die Nutzung.

"Je mehr man hier selber entwickelt, desto flexibler ist man"

Neben diesen Geschäften der Zukunft gibt es für die Autohersteller aber noch einen anderen Grund, möglichst viel Software und ein einzelnes zentrales Betriebssystem in ihre Fahrzeuge zu bringen: Dieses Gesamtkonzept ermöglicht schnellere Innovationszyklen mit flexibleren und maßgeschneiderten Eigenschaften und Funktionen, alles durch eine zentrale Software definiert und gesteuert. „Je mehr man hier selber entwickelt, desto flexibler ist man – in der Adaption des Systems, aber auch in der Updatefähigkeit“, erklärt Nio-Fachmann Steinmetz.

Diese Betriebssystem-Basis lässt sich zudem ganz unabhängig vom Modell oder dessen Generation kontinuierlich immer weiterentwickeln – Microsoft ist ja auch bereits bei Windows-Version 11 angelangt oder Google bei Android 15. Ähnlich kontinuierliche OS-Pflege beim Fahrzeug senkt erheblich die Gesamtkosten, erklärt John Heinlein vom Auto-Softwarespezialisten Sonatus. Die Verkabelung in solche durch Software definierten Fahrzeugen sei zudem weniger komplex und damit auch leichter, was Herstellungskosten und Fahrzeuggewicht senke und Reparatur und Wartung einfacher mache.


Nio Day 2024

Nio Bildergalerie

Wer also im Jahr 2025 ein modernes Fahrzeug erwirbt, bekommt schon ziemlich oft ein Auto mit Funktionen, die je nach Bedürfnis und technischen Fortschritt mitwachsen. So bleibt das Fahrzeug auch nach vielen Jahren noch technisch auf dem neuesten Kurs, oder ein Zweitbesitzer kann es mit Funktionen upgraden - zumindest, solange die Hardware in Form des zentralen Bordrechners bei Kapazität und Geschwindigkeit noch mitspielt. Aber das Problem kennen die meisten Kunden ja schon vom PC oder Handy.

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