Ausgabe 18/2009: Zerfall und Konzentration

Zerfall und KonzentrationTop 25 Händlergruppen in Europa E In einigen europäischen Märkten wird sich der Konzentrationsprozess fortsetzen, in anderen ist schon wieder eine Fragmentierung zu beobachten. von Susanne Royer, Hans-Gerhard Seeba und Uwe StratmannWährend der letzten Dekade hat sich die automobile Vertriebslandschaft in Europa nachhaltig verändert. Dabei ist es eher überraschend, dass es im Vergleich zu anderen Branchen so lange bis zur Etablierung von überdurchschnittlich großen Unternehmen und stark konsolidierten Netzen gedauert hat. Lediglich in Großbritannien wurde frühzeitig ein Konzentrationsprozess initiiert, der mittlerweile weit fortgeschritten ist und deutlich an Fahrt verloren hat. Gleichzeitig sind es die traditionell fragmentierten Märkte, die derzeit neue Handelsorganisationen hervorbringen, etwa in Deutschland, Frankreich und Italien. Sonderfall GroßbritannienAls Indikator für die Bedeutung von Händlergruppen kann deren Marktanteil herangezogen werden (siehe Grafik rechte Seite). Generell zeigt sich ein voranschreitender Konzentrationsprozess. Vor allem in Deutschland, Frankreich und Italien hat sich der Marktanteil der Top 25 in den letzten fünf Jahren jeweils um etwa ein Viertel erhöht. In Großbritannien ist dagegen der Marktanteil der größten 25 Gruppen leicht rückläufig. Kontrollierten diese Gruppen etwa 28 Prozent des gesamten Neuwagenmarkts im Jahr 2006, so lag ihr Marktanteil in den Jahren 2007 und 2008 leicht unter diesem Wert. Dies ist mit Zusammenschlüssen einiger Unternehmen zu erklären, die mit dem Abstoßen von Filialen einhergingen. Bei der Akquisition der Handelsgruppe Reg Vardy durch Pendragon ist beispielsweise das britische Kartellamt eingeschritten und hat den Verkauf einiger Händlerstützpunkte durchgesetzt, um eine übermäßige Marktmacht zu verhindern. Russischer MarktBemerkenswert ist die Konzentrationsgeschwindigkeit in Russland und Polen. Der russische Automarkt zeigt in diesem Zusammenhang allerdings ein zwiespältiges Bild. In der Boomphase bis Sommer 2008 sind in Moskau und St. Petersburg zahlreiche prachtvolle Autohäuser entstanden. Die Hälfte aller importierten Neuwagen wird allein in Moskau abgesetzt. Dort kontrollieren ausschließlich große Gruppen den Markt. Auf Grund des starken Wachstums haben einige Unternehmen Einzug in die Gruppe der europäischen Top 25 gehalten (siehe Tabelle linke Seite). Die russische Rolf Gruppe entwickelt sich im Unterschied zu einer Vielzahl anderer russischer Wettbewerber trotz der Krise verhältnismäßig stabil. Einer der ehemals größten russischen Händler dagegen, IncomAvto, hat im Frühjahr dieses Jahres Insolvenz anmelden müssen. Europäische Top 25 Angeführt werden die europäischen Top 25 von der Porsche Holding, die sich vor allem auch in den osteuropäischen Märkten engagiert. Bezogen auf den Umsatz macht das Großhandelsgeschäft etwa 40 Prozent aus. Seit dem Jahr 2000 hat die Holding den Absatz mehr als verdoppelt, was vor allem auf umfassende Akquisitionen zurückzuführen ist. Die Akquisition der größten französischen Automobilhandelsgruppe Pierre Guenant Automobiles (3,56 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2008) war ein Meilenstein in der Wachstumsstrategie. Interessant ist die weitere Entwicklung vor allem hinsichtlich der möglichen Verschmelzung mit dem Niederlassungsnetz von Volkswagen. Etwa die Hälfte der Top 25 generiert ihr Verkaufsvolumen vor allem durch Großhandelsgeschäfte, etwa die Unternehmen Pon Holding (NL), D’Ieteren (BE) und AutoBink (NL). Außerdem sind etwa 60 Prozent der Gruppen auch außerhalb ihres Heimatmarktes tätig. Auffällig sind Investitionen in „Emerging Markets“: Inchcape war beispielsweise einer der ersten Händler mit Aktivitäten in Russland. Die spanische Bergé Gruppe konzentriert sich auf Lateinamerika. Neben den international tätigen Gruppen dominieren vor allem die britischen Unternehmen die Liste der Top 25. Dieses reflektiert die Netzstrukturen in Großbritannien. Vor allem im Einzelhandelsbereich zählen die britischen Gruppen zu den größten Unternehmen überhaupt.Größe und PerformanceDass Größe nicht alles ist, zeigen die Ergebnisse unterschiedlicher ICDP-Studien. Unternehmen müssen den Trade-off zwischen Größenvorteilen auf der einen und Komplexitätsnachteilen auf der anderen Seite meistern. Im Autohandel gelingt dies nur wenigen. Oft überwiegen die Nachteile, was sich in der negativen Profitabilität zahlreicher Händlergruppen widerspiegelt. Versuche, Synergien zu erzielen, haben sowohl innerhalb der Unternehmen als auch bei den Kunden in vielen Fällen mehr Verwirrung gestiftet als Mehrwert geschaffen. Hier zeigt sich ein Dilemma vieler Gruppen: Sie haben die kritische Größe zur Erzielung von Skalen- und Verbundvorteilen noch nicht überschritten und es noch nicht geschafft, dafür notwendige Organisationsstrukturen zu etablieren. Die ICDP-Studien zeigen in diesem Kontext Wettbewerbsvorteile für solche Gruppen, die es schaffen, eine dominante Marktposition innerhalb eines begrenzten Marktraumes aufzubauen. Diejenigen Unternehmen verzeichnen Erfolge, die ihre Unternehmensressourcen nicht nur auf die Vermarktung attraktiver Fabrikate konzentrieren, sondern sich gleichzeitig auch auf eine überschaubare Zahl von Fabrikaten spezialisieren. Aber auch kleinere ‚Local Heros’ können überdurchschnittlich profitabel arbeiten, indem sie durch Kundennähe und -bindung die Kostenvorteile großer Unternehmen kompensieren. Die derzeitige Krise trifft solche Unternehmen besonders hart, denen es an finanzieller Stabilität mangelt. Im russischen Markt sind einige große Player bereits nach wenigen Monaten Krise aus dem Markt ausgeschieden. Rolf und Atlant-M haben mehrheitlich Investitionspläne eingefroren. Auch Großbritanniens größte Händlergruppe Pendragon musste zwischen 2007 und 2008 Filialen abstoßen und Mitarbeiterzahlen reduzieren. Pendragon und Inchcape haben in den letzten Jahren zahlreiche Akquisitionen betrieben und sind stark gewachsen, beide befinden sich jedoch nicht in der Top 20 der profitabelsten britischen Gruppen. Diese generieren sich eher aus den kleineren Händlergruppen.z Fazit Die Händlerlandschaft in Europa unterliegt weiter einer hohen Veränderungsdynamik. In einigen Märkten kann man gar wieder von Fragmentierungsprozessen ausgehen. Eine ähnliche Entwicklung wie im Lebensmittel- und Elektronikhandel, in denen wenige große Unternehmen dominieren, ist für die europäische Automobilwirtschaft daher mittelfristig eher unwahrscheinlich. zKurzfassungIn diesem Beitrag werden die Händlergruppenstrukturen und die zentrale Entwicklung in den europäischen Automobilmärkten dargestellt. Dabei werden individuelle Märkte und Gruppen beleuchtet und die Vor- und Nachteile großer Händlergruppen dargestellt und reflektiert. Vor allem werden Größenvorteile beziehungsweise Komplexitätsnachteile für Gruppenbetriebe erläutert. In diesem Kontext wird ein Überblick über die Top 25 Gruppen in Europa gegeben. ICDPDas International Car Distribution Programme (ICDP) ist eine Non-Profit Forschungs- und Beratungsorganisation zu allen Themenbereichen des Automobilvertriebs. Ziel dieses Netzwerkes ist die neutrale und praxisnahe Forschung. Mitglieder des ICDP-Projekts sind neben nahezu allen großen Automobilherstellern auch automobilnahe Dienstleister, Verbände, aber auch zunehmend Autohandelsgruppen. In Deutschland führt ICDP die Projekte in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Institut für Management der Universität Flensburg durch. Ansprechpartner für ICDP sind Christina Gutjar, Professor Dr. Susanne Royer, Professor Dr. Hans-Gerhard Seeba (Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel) und Uwe Stratmann. Kontakt: Tel. (0461) 805 25 43 oder E-Mail: uwestratmann@icdp.netDie 25 größten Gruppen in EuropaRangHeimatmarktFirmierungAbsatz Neuwagen im Einzel- & GroßhandelVertriebsaktivitätenAktivitäten außerhalb des Heimatmarktes1ÖsterreichPorsche Holding 470.400 Groß- und Einzelhandel Ja 2UkraineUkrAvto 240.000 Groß- und Einzelhandel Ja 3SchweizEmil Frey 186.150 Groß- und Einzelhandel Ja 4GBPendragon 184.000 Einzelhandel Ja 5RusslandRolf Group 137.000 Groß- und Einzelhandel Ja 6NiederlandePon Holding 133.000 Groß- und Einzelhandel Ja 7GBInchcape 133.000 Groß- und Einzelhandel Ja 8BelgienD‘Ieteren 119.000 Groß- und Einzelhandel Nein 9SpanienBergé 106.000 Groß- und Einzelhandel Ja 10RusslandAvtomir 81.200 Groß- und Einzelhandel Ja 11GBCamden Motor Group 72.350 Einzelhandel Nein 12GBLookers 67.200 Einzelhandel Nein 13GBArnold Clark Automobiles 67.000 Einzelhandel Nein 14SchweizAMAG 64.200 Groß- und Einzelhandel Nein 15RusslandAtlant-M 61.600 Groß- und Einzelhandel Ja 16PortugalSalvador Caetano 61.000 Groß- und Einzelhandel Ja 17NiederlandeAutoBinck Holding 57.600 Groß- und Einzelhandel Ja 18RusslandMajor 51.000 Groß- und Einzelhandel Nein 19DeutschlandAVAG Holding 48.000 Einzelhandel Ja 20RusslandKuntsevo 40.000 Einzelhandel Nein 21RusslandGenser 37.300 Einzelhandel Nein 22GBHartwell 33.500 Einzelhandel Nein 23SpanienQuadis 31.400 Einzelhandel Nein 24FrankreichSchuller Groupe 30.500 Einzelhandel Nein 25SchwedenBilia 29.500 Einzelhandel Ja Anmerkung: Die Liste erhebt keinen Anspruch auf VollständigkeitQuelle: ICDP Händlergruppen Datenbank, Unternehmensangaben, Autobiz 2008

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