Kaufvertragsrecht: Wann ist ein Gebrauchter ein Gebrauchter?

Nicht nur im Steuerrecht, Wettbewerbsrecht, Versicherungsrecht und für die Energieverbrauchskennzeichnung mit jeweils dort ganz eigenen Unterscheidungskriterien, sondern insbesondere auch im Kaufvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), worum es nachfolgend geht, unterscheiden die Gesetze in neue und gebrauchte Waren. Dabei ist zumindest beim sogenannten Verbrauchsgüterkauf (also Verkauf von Händler an Privat) keine Definition durch eine Vereinbarung zwischen den Kaufvertragsparteien zulässig, sondern ein objektiver Maßstab anzulegen. Für die Praxis nachvollziehbar knüpft die Rechtsprechung für die Abgrenzung zwischen Neu- und Gebrauchtwagen zunächst an die lebensübliche Nutzung eines Fahrzeugs an. Da nach der Verkehrsauffassung der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Verkehrsmittels wie eines Fahrzeugs eben im Fahren liegt, wird regelmäßig ein Fahrzeug, welches noch nicht nennenswert im öffentlichen Verkehr genutzt worden ist, als Neufahrzeug behandelt. Wird zum Beispiel ein zugelassenes Fahrzeug nur auf einem Betriebsgelände einige Kilometer rangiert, würden die meisten Gerichte je nach Umständen des Einzelfalls noch von einem Neufahrzeug ausgehen. Es gibt hier aber keine festen Kriterien, sondern die Judikatur besteht aus Einzelfällen, welche je nach Einschätzung der Gerichte entschieden werden. Es lässt sich allenfalls ein Trend ablesen. So wurde beispielsweise bei einer Fahrleistung von 103 Kilometern ein Gebrauchtfahrzeug angenommen, wenn es sich nicht nur um eine Testfahrt im Rahmen der noch zum Herstellungsprozess gehörenden Qualitätskontrolle oder eine Überführungsfahrt gehandelt hat, ebenso bereits bei 35 Kilometern im Falle der Nutzung als Vorführwagen. Eine reine Überführungsfahrt von selbst 450 Kilometern bewirkte hingegen laut einem Urteil noch nicht die Annahme eines Gebrauchtfahrzeugs. Die Gerichte sind bei einer in solchem Sinne geklärten Fahrstrecke also ,,großzügiger" als bei einer ungeklärten. "Gebrauch" durch langes Stehen? Ob und wann eine oft so bezeichnete ,,Standuhr" - also ein Wagen, der beim Händler lange steht, auch wenn er noch nicht bestimmungsgemäß im Straßenverkehr benutzt worden ist und praktisch keine Kilometerleistung und auch keine standzeitbedingten Mängel aufweist - allein aufgrund der Alterung rechtlich zum Gebrauchtfahrzeug werden kann, ist in der Rechtsprechung bisher noch ungeklärt. Die Einstufung wiegt hier deshalb schwer, weil wenn ein Privater (Verbraucher) ein rechtlich als Gebrauchtwagen zu qualifizierendes Fahrzeug vom Händler kauft, die ,,Gewährleistung" (heute sogenannte Sachmangelhaftung) dann von den bei Neuwagen zwingenden zwei Jahren ab Auslieferung auf ein Jahr vertraglich heruntergeschraubt werden darf. Die grundsätzlich verbraucherfreundliche Rechtsprechung wird also ein praktisch unbenutztes und standmangelfreies Fahrzeug, nur weil es vielleicht zwei Jahre im Showroom steht, somit aufgrund der rechtlichen Konsequenzen kaum als Gebrauchtwagen definieren wollen. Keine bestimmungsgemäße Benutzung, trotzdem Gebrauchsspuren? Anders ist es, wenn das Fahrzeug zwar beispielsweise noch keinen Kilometer ,,auf der Uhr", jedoch lange Dienste als Ausstellungsfahrzeug im Showroom geleistet hat und somit durch das vielfache Ein- und Aussteigen sowie Probesitzen etc. bereits erheblich abgenutzt ist. So entschied das Amtsgericht München im Urteil vom 17.12.2021 (Az. 271 C 8389/21): Es ging um ein vor der Auslieferung an die dortige Klägerin weder zugelassenes noch gefahrenes Fahrzeug. Jedoch war das Fahrzeug dennoch ein ,,Vorführfahrzeug" in der Weise, dass es einige Zeit im Showroom ausgestellt worden war und insoweit durch entsprechende Beanspruchung abgenutzt wurde. So gab es an der Verkleidung des Überrollbügels und am Teppichboden Dellen sowie Kratzer an den Einstiegsleisten und Abschürfungen an der Lackierung sowie den Sitzen in Form von üblichen Gebrauchsspuren. Das Amtsgericht ging im Falle eines solchen Ausstellungsfahrzeugs, welches von einer unbestimmten Anzahl von Personen innen und außen angefasst und Probe gesessen wurde, inklusive Verstellung der Sitze, und bei dem Türen und Kofferraum vielfach geöffnet wurden, was Spuren hinterlassen hatte, auch rechtlich von einem Gebrauchtwagen aus. Es kommt hier natürlich auf den Grad der Abnutzung und auf den konkreten Einzelfall an. Nicht jedes Fahrzeug, was für eine überschaubare Zeit ausgestellt wurde und keine nachhaltige Abnutzung aufweist, ist ein Gebrauchter! Tricky: Fabrikneuheit Die Rechtsprechung, allen voran der Bundesgerichtshof (BGH), unterstellt beim Verkauf eines Neuwagens durch einen Händler in der Regel die konkludente (also durch schlüssiges Verhalten gegebene) "Zusicherung" (heute sogenannte Garantie), dass das verkaufte Fahrzeug nicht nur neu im oben beschriebenen Sinne von ,,praktisch nicht benutzt" ist, sondern zudem eine besondere Eigenschaft der ,,Fabrikneuheit" aufweist. Fabrikneu ist das Fahrzeug demnach unter anderem dann nicht mehr, wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrages mehr als zwölf Monate liegen (BGH, Urteil vom 15.10.2003, Az. VIII ZR 227/02). Die zwölf Monate zwischen Produktionsdatum und Verkauf sind aber nach einem Teil der Rechtsprechung nicht strikt taggenau zu betrachten, so dass danach z. B. zwei Tage mehr nicht schaden (Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a.M., Urteil vom 03.08.2021, Az. 5 U 84/20). Auch eine Tageszulassung als solche schadet nicht. In der juristischen Literatur - teils sogar auch von Gerichten - wird häufig verkannt, dass ein Fahrzeug, welchem die Eigenschaft ,,fabrikneu" fehlt, nicht allein deshalb bereits ein Gebrauchtwagen ist! Würde der Händler ein im Sinne der obigen Einordnung unbenutztes und beschädigungsfreies Fahrzeug, nur weil es über ein Jahr im Showroom steht und damit nicht mehr ,,fabrikneu" ist, als Gebrauchtwagen verkaufen dürfen, könnte er einem Verbraucher damit, wie bereits oben angesprochen, entgegen der gesetzgeberischen Intention beispielsweise die Sachmängelhaftung vertraglich von zwei Jahren auf ein Jahr kürzen. Was tun? Neufahrzeuge, die lediglich nicht mehr ,,fabrikneu" sind, müssen selbstverständlich mit den Neuwagen-Verkaufsformularen verkauft werden, allerdings mit konkretem Hinweis, dass sie z. B. mehr als ein Jahr im Showroom standen. Es dürfen hier eben nicht vermeintlich einfach die Gebrauchtwagen-Vertragsformulare benutzt werden. Des Weiteren sollten - was auch angesichts des seit dem Jahre 2022 verschärften neuen Sachmängelhaftungsrechts (sei es auch unter erheblichen Hürden) zulässig ist - rechtssichere vertragliche Hinweise an den Kunden erfolgen, wenn es sich um ein Ausstellungsfahrzeug mit erheblichen Abnutzungsspuren handelt; ebenso sicherheitshalber, wenn das Fahrzeug eine ,,grenzwertige" ungeklärte Fahrstrecke aufweist. Auch wenn das Fahrzeug mehrere Jahre steht, bietet sich generell ein vertraglicher Hinweis an. Aber Achtung: Wird hier lediglich die Bezeichnung ,,Lagerfahrzeug" verwendet, hat nach Auffassung des Landgerichts (LG) Braunschweig (Urteil vom 17.09.2004, Az. 4 0 1240/04 (15 I) der Käufer eine maximale Lagerdauer von zwei Jahren hinzunehmen, ansonsten müsste ein konkreterer Hinweis erfolgen. Wie oben gezeigt, kommt es hier auf den Gusto der Gerichte an und gilt wie so oft der bekannte Grundsatz: "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand." K. Martin Hake Rechtsanwalt, der sich seit 30 Jahren schwerpunktmäßig den Gebieten des Autoverkaufs-, Reparatur- und Unfallschadensrechts sowie dem Handelsrecht und auch Verkehrsstraf- und Bußgeldsachen, ferner dem Recht des Forderungsmanagements im Kfz-Bereich widmet. Gemeinsam mit den Anwälten in seiner Kanzlei "Hake Rechtsanwälte" (kontakt@hake-rechtsanwaelte.de) ist er deutschlandweit bei der Beratung sowie außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung insbesondere von Kfz-Händlern und Werkstätten sowie Herstellern und Importeuren im Einsatz. Parallel betätigt sich der Spezialist für Autorecht als Autor von Fachbüchern, Fachbeiträgen in Zeitschriften sowie als Konzeptionist und Dozent u. a. für die zertifizierten Lehrgänge der Branche rund um das Thema Kfz-Recht. Seine Bücher"Rechtsfragen der Kfz-Werkstatt" (8. Auflage), "Rechtssicherheit beim Autoverkauf" und die Fibel "Forderungsmanagement im Autohaus" sind im Verlag Springer Fachmedien erhältlich. www.hake-rechtsanwaelte.de

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