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TÜV-Jubiläum: Vom Dampfkessel zur Digitalisierung

06.01.2016 11:03 Uhr
Historischer Kfz-Prüfstand um ca. 1920. Mit dem Stichtag 1. Dezember 1951 wurden die Untersuchungen von Kraftfahrzeugen in bestimmten Zeitabständen durch amtlich anerkannte Sachverständige Pflicht. Vorher erfolgten sie auf freiwilliger Basis.
© Foto: TÜV SÜD

Damit die Technik den Menschen nicht um die Ohren fliegt, ist vor 150 Jahren der TÜV gegründet worden - als Gesellschaft zur Überwachung von Dampfkesseln. Auch heute kontrollieren die Prüfer vor allem Industrieanlagen. Im Brennpunkt steht jetzt die Digitalisierung.

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Weithin bekannt ist der TÜV für die technische Überprüfung von Autos angefangen hat er vor genau 150 Jahren mit der Kontrolle von Dampfkesseln. Und das Industriegeschäft ist auch heute noch sein größtes Arbeitsfeld. Im Jubiläumsjahr – die Feiern beginnen kommende Woche in Mannheim – will sich die Prüforganisation noch stärker für brandaktuelle Herausforderungen wie die sogenannte Industrie 4.0 rüsten.

"Stichwort Digitalisierung: Ein Auto ist heute etwas völlig anderes als vor 30 Jahren - eine Industrieanalage ebenso", meint Johannes Näumann vom Verband der Technischen Überwachungsvereine (VdTÜV). "Das hat natürlich auch für die technische Sicherheit Konsequenzen." Axel Stepken, Vorstandschef der größten Organisation TÜV Süd, sagt: "Zum Beispiel ist Industrial IT Security für uns ein entscheidendes Zukunftsfeld – und es wird in den nächsten Jahren rasant an Bedeutung gewinnen." Systeme und Anlagen würden weltweit miteinander vernetzt, so dass Missbrauchsrisiken neu bewertet und bessere Schutzwerkzeuge entwickelt werden müssten. Der TÜV habe "bislang jede Technik-Revolution erfolgreich mitgestaltet – und genau deshalb stellen wir im Jubiläumsjahr die Weichen für die digitale Revolution", betont Stepken. 

Jedem Autofahrer ist der TÜV als Synonym für die regelmäßige Hauptuntersuchung seines Fahrzeugs geläufig. Dabei ist das für die Vereine in Deutschland nur ein großes Geschäftsfeld neben anderen – weltweiter Marktführer auf diesem Gebiet ist die Dekra, der 1925 von Fuhrpark-Betreibern in Berlin gegründete Deutsche Kraftfahrzeug-Überwachungsverein. Der TÜV Süd seinerseits ist Weltmarktführer auf einem kleinen Geschäftsfeld: Bei der Prüfung "fliegender Bauten" – Achterbahnen, Karussells, Volksfestzelten. Das Oktoberfest, die schnellste Achterbahn der Welt in Dubai oder der "Singapur Flyer" wurde von den bayerischen Ingenieuren geprüft.

Prüfer unter der Lupe

Auch die Prüfer müssen sich prüfen lassen. Sie werden von nationalen Akkreditierungsstellen und den Inspektoren der internationalen ISO-Norm-Organisation unter die Lupe genommen. "Wir haben weltweit 800 Standorte. Jede Woche ist ein Kontrolleur irgendwo bei uns im Haus", sagt TÜV Süd-Sprecherin Heidi Atzler. Und manchmal gibt es auch Zweifel an der Arbeit der Prüfer. So geriet vor einigen Jahren der TÜV Rheinland, der bei Produktprüfungen stark ist, wegen seines Prüfsiegels für Brustimplantate einer französischen Firma in die Schlagzeilen. Aber in letzter Instanz entschied ein Berufungsgericht in Aix-en-Provence, der TÜV habe seine Verpflichtungen bei der Zertifizierung erfüllt.

Der TÜV Süd beginnt seine Feiern zum Jubiläumsjahr eine Woche nach dem Stichtag am 13. Januar in Mannheim. Dort fing vor 150 Jahren alles an: Nach der Explosion eines mangelhaft gewarteten Dampfkessels in der Mannheimer Aktienbrauerei mit einem Toten und vier Verletzten riefen am 6. Januar 1866 die ortsansässigen Betreiber die "Gesellschaft zur Ueberwachung und Versicherung von Dampfkesseln" ins Leben. Denn Unfälle dieser Art häuften sich während der Industrialisierung, und zunehmend forderten Landesherren, die Gefahr in den Griff zu bekommen. So gründeten Industrielle deutschlandweit Überwachungsvereine, die in staatlichem Auftrag auch elektrische Anlagen, Förderanlagen, Lagertanks und Seilbahnen begutachteten.

In der TÜV Süd AG ist auch der Dampfkessel-Überwachungsverein aufgegangen. Eigentümer sind der Verein mit 12.000 Mitgliedern sowie eine Stiftung – Gewinne werden wieder investiert. Mehr als die Hälfte der 22.600 Mitarbeiter arbeiten im Ausland, allein in Asien sind es 5.500. Im Jubiläumsjahr sind die Gründung zweier digitaler Kompetenzzentren in München und in Singapur geplant. Höhepunkt der Feiern soll ein großer Festakt mit Politik und Wirtschaft am 2. Juni in München sein. (dpa)


Die Meilensteine der TÜV Süd-Historie:

1866: Gründungjahr: Am 6. Januar 1866 gründen 22 badische Unternehmer die "Gesellschaft zur Ueberwachung und Versicherung von Dampfkesseln mit dem Sitze in Mannheim".

1868: Erster Sachverständiger: Am 13. Oktober 1868 tritt in Mannheim der 29-jährige Ingenieur Carl Isambert seinen Dienst an. Er ist der erste hauptamtlich tätige Sachverständige eines technischen Überwachungsvereins in Deutschland.

1870: Revisionsverein in Bayern: Am 23. April 1870 wird der Bayerische Dampfkessel-Revisionsverein (BDRV) bei einer Versammlung im Pavillon des Englischen Caféhauses in München aus der Taufe gehoben. Erster Vorsitzender wird der Lokomotivfabrikant Georg Krauss.

1877: Der Erfolg spricht für sich: Walther Gyssling, Chefingenieur des Bayerischen Dampfkessel-Revisionsvereins, berichtet den Mitgliedern, dass seit fünf Jahren keiner der mehr als 1.000 Dampfkessel, die vom Verein überwacht wurden, explodiert ist.

1881: Einheitliche Standards: Die sogenannten Würzburger Normen von 1881 betreffen den Bau der Kessel. Die 1884 verabschiedeten Hamburger Normen bilden die Richtlinien für die Berechnung der Kesselkörper.

1888: Grenzüberschreitende Kooperationen:  Einige ausländische Vereine sind inzwischen dem in Hannover beheimateten Verband von Dampfkessel-Überwachungsvereinen beigetreten. Deshalb benennt sich die deutsche Dachorganisation 1888 in Internationaler Verband von Dampfkessel-Überwachungsvereinen um.

1903: Dampf und Strom: Die beiden Vereine "Revisionsverein für elektrische Anlagen" und der "Dampfkessel-Revisionsverein" schließen sich zum Bayerischen Revisionsverein zusammen.

1906: Wegbereiter des Automobils: Die badische Regierung erlässt eine Verordnung zur Überprüfung von Kraftfahrern und Automobilen. Mit der Durchführung der Prüfungen wird der Badische Dampfkessel-Revisionsverein beauftragt. Die technische Überprüfung von Kraftfahrzeugen nimmt ihren Anfang.

1913: Aufzugsprüfung wird Standard: Laut einer Verordnung in Baden müssen Lastenaufzüge alle vier Jahre untersucht werden. Sämtliche Ingenieure des Badischen Revisionsvereins werden per Ministerialerlass zu Sachverständigen für Fördertechnik erklärt.

1914: Rückschläge im Krieg: Die Arbeit im seit 1888 existierenden Internationalen Verband kommt zum Erliegen. Auch die Normenkommission stellt ihre Arbeit ein. Erst 1921 wird die Dachorganisation – nun als deutscher Verband – neu gegründet.

1921: Erste Schritte im Umweltschutz: 1921 erstellt der Bayerische Revisionsverein ein Gutachten über die Staubbelastung durch Feuerungsanlagen. Auch hier fordert er, beim Bau der Schornsteine Mindesthöhen einzuhalten.

1923: Hyperinflation: Die starke Inflation sorgt dafür, dass Dienstreisen unterbrochen werden müssen. Erst mit der Einführung der Rentenmark im November 1923 können die Revisionsvereine zu einer soliden Wirtschaftsweise zurückkehren.

1930: Fliegende Bauten: Aufgrund einer Verordnung des Bayerischen Staatsministerien des Äußeren, des Inneren und für Landwirtschaft und Arbeit im
Sommer 1929 soll der Bayerische Revisionsverein regelmäßig die "Fliegenden Bauten" im südlichen Bayern prüfen. 1930 werden erstmals drei Vereins-Ingenieure auf der "Wiesn" eingesetzt, um drei Achterbahnen, drei Toboggan-Rutschen und eine "Autobahn" auf Schwachstellen zu untersuchen.

1938: Neuordnung und Gleichschaltung: Im März 1938 kommt es zu einer grundlegenden Umgestaltung der technischen Überwachung in Deutschland: Aus den bisher 37 Institutionen im Reichsgebiet werden 14 regionale Überwachungsvereine, die erstmals einheitlich als TÜV (Technische Überwachungsvereine) bezeichnet werden. Für Unternehmen mit überwachungspflichtigen Anlagen wird die Mitgliedschaft im jeweils zuständigen TÜV verpflichtend.

1943: Im Bombenhagel: In Mannheim erleidet die Hauptverwaltung des für Baden und Württemberg zuständigen Überwachungsvereins bereits 1943 mehrere Bombentreffer. Bis Kriegsende werden auch die Vereinsgebäude in Augsburg, München, Nürnberg, Stuttgart, Ulm und Würzburg schwer beschädigt. Regional kommt die Tätigkeit der TÜV damit völlig zum Erliegen.

1948: Neugründung im Westen: Noch vor Gründung der Bundesrepublik werden in den Jahren 1948 und 1949 die meisten regionalen Organisationen wieder in die Vereinsregister eingetragen. Auf Basis neuer Satzungen kehren die westdeutschen TÜV-Gesellschaften zur Selbstverwaltung zurück.

1951: Verkehrssicherheit bekommt Priorität: 1951 schreibt der Gesetzgeber regelmäßige Hauptuntersuchungen vor. Mit der Durchführung
werden fast überall die Technischen Überwachungsvereine beauftragt. Im November 1954 wird in Bayern die erste Medizinisch-Psychologische Untersuchungsstelle (MPU) eröffnet.

1957: Die Anfänge der Kernenergie: Im Herbst 1957 richtet der TÜV Bayern eine Arbeitsgruppe Kernenergie und Strahlenschutz ein und erstellt ein Sicherheitsgutachten für den Forschungsreaktor München, der am 31. Oktober des Jahres in Betrieb geht.

1964: Auslandsgeschäft: Regelmäßig werden TÜV-Sachverständige ins Ausland gerufen, um bei der Aufklärung technischer Defekte zu helfen – besonders dann, wenn die betroffenen Anlagen von deutschen Unternehmen geliefert wurden.

1969: Erste Tochtergesellschaft: 1969 kauft der TÜV Bayern die Elektroberatung Bayern GmbH (EBB), die als Beratungsstelle für die Elektrifizierung der bayerischen Landwirtschaft bereits 1926 entstanden ist. Mit der Akquisition wird erstmals ein deutscher TÜV über eine Tochtergesellschaft im freien Wettbewerb tätig.

1973: Tarifverträge: Im Oktober 1973 gründen elf Mitarbeiter in München-Unterhaching den Interessenverband "Bedienstete in der Technischen Überwachung (btü)" und distanzieren sich von einem von der Gewerkschaft ÖTV verhandelten Tarifvertrag.

1977: Geprüfte Sicherheit: Im Winter 1977/78 findet das Siegel "Geprüfte Sicherheit" (GS-Zeichen) seinen Weg auf hunderttausende Skier in bundesdeutschen
Geschäften. Bald ist es bei den Verbrauchern fast genauso bekannt wie die HU-Plakette für Kraftfahrzeuge.

1979: Einheitliche Ausbildung: Die Technischen Überwachungsvereine Baden, Bayern, Saarland und Stuttgart beschließen, eine Mitarbeiterschule
zu gründen.

1983: Neue Zentrale in München: Nach 80 Jahren verlässt der TÜV Bayern das Vereinsgebäude in der Kaiserstraße in München-Schwabing und bezieht eine neue Hauptverwaltung in der Westendstraße – die heutige Konzernzentrale von TÜV SÜD. Parallel dazu wird in der benachbarten Ridlerstraße ein modernes Prüfzentrum eingeweiht.

1989: TÜV Product Service GmbH: 1989 nimmt die TÜV Product Service GmbH, als Gemeinschaftsunternehmen der Technischen Überwachungsvereine Bayern, Hannover und Hessen, ihre Arbeit auf.

1990: Neugründungen und Fusionen: 1990 geht aus dem TÜV Baden und der TÜV Stuttgart der TÜV Südwest hervor. Und im Jahre 1992 fusionieren der TÜV Chemnitz und der TÜV Bayern.

1991: Erste Niederlassungen in Asien und USA: Parallel zum Wachstum in Deutschland entstehen erste asiatische Niederlassungen in Hongkong, Japan und Taiwan. In Nordamerika werden parallel dazu die Tochterunternehmen TÜV Product Service Inc. mit Standorten in Kalifornien, Massachusetts und Oregon sowie Emaco Product Service Inc. in San Diego gegründet.

1996: TÜV Süd entsteht: Mit 8.500 Mitarbeitern und 1,4 Milliarden DM Jahresumsatz entsteht der größte Technische Überwachungsverein in Deutschland. Rückwirkend zum 1. Januar 1996 erfolgt die Vereinigung der Unternehmensgruppe TÜV Bayern und des TÜV Südwest zur TÜV Süddeutschland AG (ab 2005: TÜV Süd AG). Auch der TÜV Hessen wird durch einen Beschluss der Mitgliederversammlung im März des Jahres Teil des neuen Unternehmens.

1998: TÜV Süd im Netz: Autofahrer können sich nun beim TÜV Süd online zur Haupt- und Abgasuntersuchung anmelden, um die Wartezeit zu minimieren. Auch die Seminare der TÜV Süd Akademie können jetzt online gebucht werden.

2001: Das Oktagon: Das blaue Achteck vom TÜV Süd wird offizielles Firmenlogo.

2006: Internationale Meilensteine: Im März 2006 übernimmt TÜV Süd die in Singapur beheimatete PSB-Gruppe und baut dadurch sein Asien-Geschäft aus. Im folgenden Jahr beginnt der TÜV SÜD unter dem Dach von TÜV Türk in der Türkei ein Netz von rund 200 Kfz-Service-Centern aufzubauen.

2009: Vision vom emissionsfreien Auto: 2010 nimmt TÜV Süd die weltweit erste Hauptuntersuchung an einem vollelektrisch fahrenden Pkw vor und erarbeitet die erste EU-weite Zulassung für ein Elektroauto. Das Unternehmen setzt sich 2009 das ehrgeizige Ziel, weltweit der Marktführer bei der Prüfung von Batterien für E-Fahrzeuge zu werden.

2015: Echte Internationalität: Die Zahl der Beschäftigten bei TÜV Süd wächst seit Jahren kontinuierlich. Im Frühjahr 2015 beschäftigt der Konzern erstmals mehr Mitarbeiter im Ausland als in Deutschland.


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KOMMENTARE


Sebastian Koch

24.08.2017 - 14:36 Uhr

Danke für diesen spannenden Artikel! Ich wusste gar nicht, dass die Geschichte der TÜV mit Dampfkesseln anfing. Seit dem ist viel passiert, das stimmt! Lieben Gruß, Sebastian


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