Herr S. ist genervt. Er sitzt im Büro seines Autohauses in Cottbus und telefoniert mit einem Journalisten. "Der deutsche Automobilmarkt befindet sich jetzt schon in einer Krise, die Kosten steigen. Wo soll das denn noch hinführen?", fragt er wütend. Für ihn steht fest, dass es mit dem Beitritt Polens zur EU noch schwieriger werden wird.
Einige Kilometer weiter sieht die Stimmung bereits ganz anders aus. Herr R. von einem Autohaus in Angermünde ist gelassen. Für ihn wird sich seiner Ansicht nach nicht viel ändern. Er sieht keine Konkurrenz und vor allem keinen Grund zur Panik, denn die nächst größere polnische Stadt ist weit weg und bis die Polen den Übergang geschafft haben, dauert es.
Die Zahlen beweisen es: Es geht um einen großen Kuchen. Nach Angaben der Außenhandelsbilanz des Statistischen Bundesamtes wurden 2002 für insgesamt 745,39 Mio. Euro Neu- und Gebrauchtwagen von Deutschland nach Polen exportiert. 2000 betrug die Summe noch 566,14 Mio. Euro.
Pkw-Außenhandelsstatistik: Deutschland - Polen
Jahr | Neuwagen | Neuwagen | Gebrauchtwagen | Gebrauchtwagen |
Einheiten | Wert in Mio. Euro | Einheiten | Wert in Mio. Euro | |
2002 | 46.879 | 537,36 | 91.247 | 208,03 |
2001 | 34.107 | 432,73 | 130.488 | 307,31 |
2000 | 32.684 | 323,91 | 99.683 | 242,23 |
Quelle: Statistisches Bundesamt 2003
Brüssel hat derweil entschieden: Zum 1. Mai 2004 wird der europäische Binnenmarkt um weitere zehn Beitrittskandidaten erweitert. Für den deutschen Automobilmarkt ist Polen, nach Ansicht weiterer Händler, ein neuer Konkurrent. Die Händler in den Grenzgebieten erwartet eine spannende Zeit. Vor allem in Hinblick auf die anhaltende schwache Konjunktur des deutschen Marktes, denn die Zahl der Pkw-Neuzulassungen sind hier zu Lande weiter rückläufig.
Neue GVO und alles wird besser?
Um dem Wettbewerb im Neuwagenhandel einen Impuls zu geben und die Preisdifferenz innerhalb der EU zu verringern, soll durch die neu in Kraft tretende Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) eine Verbesserung stattfinden, so die frommen Wünsche der Kommission. EU-Wettbewerbskommissar Monti will künftig mehr Freiheit für die Händler sowie günstigere Preise beim Neuwagenkauf und Service für den Verbraucher. "Wenn die EU-Kommission die Preisdifferenzen auf dem europäischen Binnenmarkt bekämpfen will, verkennt sie die Grundlagen eines wirksamen Wettbewerbes im Prozess der Binnenmarktintegration", betont Dr. Rainer P. Lademann von der Gesellschaft für Unternehmens- und Kommunalberatung mbH in Hamburg. Für ihn sind die vorherrschenden Preisunterschiede ein Spiegelbild eines effektiven Wettbewerbs zwischen den Marken und der Kaufkraft der Konsumenten. In Polen wird die neue GVO ab dem 1.02.2004 in Kraft treten.
Gebrauchtwagen kontra Neuwagen
"Wenn es um den Kauf eines Neuwagens sowie um Serviceleistungen am Fahrzeug geht, nehmen die deutschen Verbraucher gern kurze Wegstrecken in Anspruch. Zudem vertrauen sie oftmals dem einheimischen Händler", erklärt Händler R. aus Angermünde. Tritt Polen nun der EU bei, müssen sich die polnischen Autohändler wie auch alle anderen an Umweltauflagen, Schulungen und den Arbeitsschutz halten. Demnach dürften auch die Auto- und Service-Preise steigen, damit sich der polnische Händler behaupten kann. Daher sieht Herr R. Polen nicht als neuen Konkurrenten auf dem Neuwagenmarkt. Für ihn ist der Beitritt neuer EU-Staaten eine Chance für sein Autohaus. Er setzt auf Wettbewerb. "Es wird sich zeigen, wem die Kunden vertrauen können und wer den besseren Service bietet." Bereits heute verzeichnen die deutschen Autohäuser auch eine rege Nachfrage aus dem osteuropäischen Ausland, was viele Händler bestätigen. "Qualität zahlt sich eben aus", fügt Herr R. hinzu.
In puncto Gebrauchtwagen ist die Lage etwas anders. Prof. Ferdinand Dudenhöffer von der FH Gelsenkirchen zieht einen Vergleich mit der Zeit nach dem Mauerfall. "Damals gab es einen Boom auf dem Gebrauchtwagenmarkt." Dudenhöffer begründet dies mit dem niedrigeren Einkommen der Ausländer. Auch viele Händler sehen dies so. "Auf dem Gebrauchtwagenmarkt wird sich der Standort Deutschland nicht behaupten können", heißt es seitens einiger Händler. "Hier haben die Polen die Nase vorn", so der Tenor.
Gebrauchtwagen auf Abwärtstrend
Es gibt aber auch gegenteilige Trends: Der Gebrauchtwagen-Restwert dreijähriger Fahrzeuge zeigt in Europa steigende Tendenzen. Dies belegt der "European Fleet Index" des Marktbeobachters Eurocarprice. Den größten Zuwachs hierbei verzeichnet Polen mit einem Plus von 6,3 Prozent. Ferner war 2003 ein Anstieg der Import-Abgaben für Gebrauchtwagen im Nachbarland zu verzeichnen. Die Abgaben stiegen auf 30 bis 65 Prozent des Kaufpreises, zuvor waren es maximal 17,6 Prozent.
Diese Entwicklung schlägt sich auch auf die Zahlen des Außenhandels nieder: Die Entwicklung bei den Gebrauchtwageneinheiten ist im Vergleich zu denen der Neuwagen rückläufig. Letztes Jahr wurden 91.247 Gebrauchtwagen-Fahrzeuge gemeldet. 2001 waren es noch 130.488, ein Jahr zuvor 99.683. Darüber hinaus ist dieser rückläufige Trend bei den Gebrauchtwagen auch dadurch zu erklären, dass es inzwischen üblich ist, die Fahrzeuge vor dem Import "zu zerlegen" und somit "nur" die Einzelteile einzuführen. Nach Passieren der Grenze werden die Fahrzeuge dann wieder zusammengebaut. Somit fallen die Import-Abgaben für Gebrauchtwagen weg. Eine schwierig zu kalkulierende Dunkelziffer.
Die Handelspreise für Neuwagen (brutto) liegen derzeit deutlich unter dem europäischen Mittel: Laut Eurocarprice betrug der Index-Wert für Polen im Februar 88. 100 repräsentiert den europäischen Durchschnitt. Deutschland liegt bei 98. Beim Preisniveau für Gebrauchte ist Polen Eurocarprice zufolge klares Schlusslicht in Europa. Das Niveau liegt signifikant unter dem Deutschlands.
Automobilindustrie engagiert sich in Polen
Die Automobilindustrie setzt verstärkt auf Polen. Hersteller wie Toyota oder Fiat bauen Werke im europäischen Nachbarland. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kaufkraft des jeweiligen Landes. Die Industrie- und Handelskammern (IHK) machen hierzu keinerlei Angaben. Bei einer steigenden Kaufkraft der Polen - und von dieser ist in Zukunft auszugehen - steigen aber auch sicherlich die Ansprüche. Händler R. aus Angermünde und viele seiner Kollegen sind sich daher einig: "Ruhe bewahren und abwarten. Wenn wir unseren Service beibehalten und neue Kunden aus dem Nachbarland pflegen, dann wird sich für deutsche Händler nicht viel ändern". (sr)