Die Zahl der Rückrufaktionen ist auch 2016 hoch. Dies zeigt eine aktuelle Auswertung des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach für den Referenzmarkt USA. Demnach wurden bis Mitte Oktober über 47,9 Millionen Pkw (inkl. LCV) wegen Sicherheitsproblemen in die Werkstätten beordert; das ist der zweithöchste Wert nach dem "Rekordjahr" 2014. Innerhalb von weniger als zwei Jahren waren damit allein in den USA mehr als 93 Millionen Fahrzeuge betroffen.
Laut Studie erreichte die Rückrufquote – also die Zahl der zurückgerufenen Fahrzeuge gemessen an den Neuzulassungen des Jahres – bis Oktober in den USA 340 Prozent (2015: 262 Prozent). Damit waren fast dreieinhalb Mal mehr Fahrzeuge von Rückrufen betroffen als verkauft wurden. Die Rückrufquote lag bereits in acht der letzten zehn Jahre über 100 Prozent.
Im Ranking der Autobauer weisen Mazda (820 Prozent), Honda (611 Prozent), FCA (490 Prozent) und Nissan (478 Prozent) die höchsten Quoten auf. Bei der Menge der betroffenen Fahrzeuge belegen General Motors (8,70 Millionen), FCA (8,62 Millionen) und Honda (7,50 Millionen) die Spitzenplätze. Tesla kann nach einem Großrückruf im vergangenen Jahr aktuell eine relativ geringe Quote von zehn Prozent vorweisen.
Die deutschen Hersteller hingegen können nicht überzeugen. Laut Studie liegen die Quoten von BMW, Volkswagen und Daimler bei 433, 390 und 386 Prozent. BMW muss über 950.000 Fahrzeuge mit neuen Airbags ausrüsten, bei Daimler und VW sind es jeweils über eine Million. BMW hatte zudem Probleme mit Allradantrieben, Daimler bei der Elektronik. VW musste eine leckende Benzinpumpe in seinem Volumenmodell Golf und seinen Ablegern (Sportsvan, GTI usw.) austauschen und Elektronikmängel sowie ein fehlerhaftes Bremspedal beheben. Die Rückrufe um den Dieselskandal sind in diesen Zahlen nicht enthalten, da es sich nicht um sicherheitsrelevante Bauteile handelt.
Mängel nach Baugruppen
Insgesamt betreffen mehr als 86 Prozent der sicherheitsrelevanten Produktmängel am Fahrzeug den Insassenschutz. Dafür verantwortlich waren nicht nur defekte Airbags des japanischen Zulieferers Takata, sondern eine grundsätzliche Überprüfung der Insassenschutzeinrichtungen in den USA. Mit 5,5 Prozent konnten die Mängel dem Antriebsstrang/Motor zugeordnet werden. Auf Qualitätsmängel der Bremsanlage entfielen 3,2 Prozent der Rückrufe, 2,8 Prozent auf Karosserie, zwei Prozent auf Fahrwerk, je rund ein Prozent auf Elektrik/Elektronik und Lenkanlage sowie 3,2 Prozent auf sonstige Baugruppen.
"Wenn 14 von 16 untersuchten Herstellern in 2016 wegen sicherheitstechnischer Mängel mehr Fahrzeuge zurückrufen müssen als diese im gleichen Zeitraum verkauft haben, ist das insgesamt ein bedenkliches Qualitätsniveau der Branche", sagte Studienleiter Prof. Stefan Bratzel. Die Zahlen aus den USA belegten, dass das Thema Produktqualität weiterhin ein zentrales Thema in der Automobilindustrie bleibe. "Außerdem stellen sicherheitsrelevante Mängel meist nur die "Spitze des Eisbergs" dar. Hinzu kommt eine große Anzahl stiller Rückrufe oder auch Serviceaktionen, die in den offiziellen Zahlen nicht enthalten sind."
"Paradigmenwechsel im Qualitätsmanagement"
Wachsende Rückrufrisiken und steigende globale Sensibilität für Qualitätsmängel erforderten einen Paradigmenwechsel im Qualitätsmanagement, so Prof. Bratzel. "Das Risiko großer Rückrufaktionen ist durch marken- und modellübergreifende Plattform- und Gleichteilestrategien sowie globale Produktionsnetzwerke erheblich gestiegen." Gleichzeitig würden sicherheitsrelevante Mängel an Fahrzeugen immer weniger akzeptiert, auch weil Kunden durch das Internet gut informiert seien. "Durch die zunehmende Bedeutung von Software im Fahrzeug entsteht künftig zwar neuer Kundennutzen, aber auch die Anforderungen und Risiken, etwa im Hinblick auf Cyber Security", betonte der Experte.
Das CAM analysiert seit dem Jahr 2005 jährlich die Rückrufe der globalen Automobilhersteller. Der US-Markt ist laut Prof. Bratzel aufgrund seiner Absatzgröße, der relativ scharfen Sicherheitsrichtlinien und vor allem des hohen Klagerisikos ein aussagekräftiger Indikator für die Produktqualität der Automobilkonzerne. (se)
hwb