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Passive Sicherheit: Warum Airbags und Gurte schlauer werden müssen

16.08.2023 14:08 Uhr | Lesezeit: 3 min
Airbag
Airbags müssen sich an Gewicht und Statur der Insassen anpassen.
© Foto: ZF

Ein dicker Mann soll vom gleichen Airbag geschützt werden wie ein kleines Mädchen. Das kann nicht klappen. Die Industrie arbeitet an Lösungen.

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Männlich, 175 Zentimeter, 78 Kilogramm: Wer diese Eigenschaften mitbringt, ist in einem Auto bei einem Verkehrsunfall optimal geschützt. Frauen, Kinder oder einfach alle Menschen mit deutlich abweichenden Körpermaßen und Proportionen hingegen unterliegen bei einem Crash einem hohen Verletzungsrisiko. Denn Gurt- und Airbag-Systeme sind für den Durchschnittsmann entwickelt. Doch das ändert sich nun.

Ab 2026 stehen Änderungen bei den EuroNCAP-Crashtests sowie in den internationalen Zulassungsregeln an, die die jahrzehntelange Ungleichbehandlung von Autoinsassen beenden sollen. "Dabei geht es vor allem darum, Unterschiede bei Gewicht, Statur und Geschlecht stärker zu berücksichtigen", erläutert Rudolf Stark die Pläne. Der Ingenieur ist beim Zulieferer ZF als Chef der Division "Passive Sicherheit" für die Technologien zuständig, die bei einem unausweichlichen Unfall Schutz bieten sollen. Im Unterschied zu den aktiven Sicherheitssystemen, die unter anderem mit Radar und Kameras verhindern sollen, dass es überhaupt zu einem Crash kommt.

Neuregeln drehen sich um handfeste Gefahren

Bei den Neuregelungen geht es nicht um abstrakte Fragen der Geschlechter- oder Generationengerechtigkeit, sondern um ganz handfeste Gefahren. "Bei einem Kind sollte man den Gurt beispielsweise nicht so stark straffen wie bei einem Erwachsenen, da der Körper nur geringe Kräfte aufnehmen kann", bringt Stark ein konkretes Beispiel. Im Gegenzug darf und muss der Gurtstraffer bei einem übergewichtigen Erwachsenen deutlich verbindlicher eingreifen, um die zusätzlichen Kilos im Griff zu halten. Dazu kommen prinzipielle anatomische Unterschiede. So haben weibliche Oberkörper etwa meist einen anderen Schwerpunkt als männliche, was die Reaktion auf einen Crash beeinflusst. Studien zeigen, dass Frauen häufiger Brustverletzungen, wahrscheinlich durch Gurte und Airbags, erleiden als Männer. Das Risiko lebensbedrohlicher Verletzungen liegt sogar um 30 Prozent höher.

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Den Autoherstellern sind die Probleme schon lange bewusst. Viele arbeiten daher bei Crash-Tests bereits mit unterschiedlichen Dummy-Typen, etwas in Kinder- oder Frauengröße. Das grundsätzliche Problem, dass unterschiedliche Körper unterschiedliche Schutz-Strategien benötigen, lässt sich so aber nicht lösen. Künftig müssen Rückhaltesysteme daher wohl steuerbar sein und sich an unterschiedliche Insassen anpassen. ZF hat zu diesem Zweck eine Bilderkennungs-Software entwickelt, die über die in allen neuen Autos vorhandene Innenraumkamera sehen und einschätzen kann, wie groß und schwer die Fahrzeuginsassen sind. "Über diese Prognose errechnen wir, wie sich der Airbag aufblasen muss, damit er den Insassen während des Aufpralls sehr gut schützt. Auch das eingesetzte Gasvolumen sowie die Airbag-Abström-Öffnungen – und damit die Härte des Airbags - selbst sind künftig steuerbar", so Stark. Ähnliches gilt für den Gurtstraffer, der auch nicht immer gleich intensiv auslösen darf.

Airbag
Airbags und Gurte sollen Unfallfolgen abmildern.
© Foto: ZF

Neue Möglichkeiten entstehen

Neben der flexibleren Steuerung von Airbag und Gurt eröffnet die Abstimmung der passiven mit den aktiven Sicherheitssystemen neue Möglichkeiten. Denn um die Rückhaltesysteme optimal nutzen zu können, hilft es beispielsweise zu wissen, von welcher Seite ein Aufprall kommt. Radar, Kamera und Ultraschallsensoren erkennen das schon Millisekunden vor der tatsächlichen Kollision. Fährt heute ein Pkw beispielsweise auf einen Lkw auf, registriert der Beschleunigungssensor ein Signal und löst relativ stur die Airbags aus. "In Zukunft wird es so sein, dass das System beispielsweise erst einmal detektiert, dass der Beifahrersitz unbelegt ist", so Stark. Dann nimmt er die Signale aus den Assistenzsystemen und sieht unter Umständen, dass es sehr viel schlauer wäre, nicht frontal auf den Lkw aufzufahren, sondern ein wenig auszuweichen und einen überdeckten Aufprall mit der Beifahrerseite zu machen. "Damit haben wir Möglichkeiten, nur die Fahrseiten-Airbags auszulösen und die Auslösung so zu modulieren, dass ich den Fahrer optimal auffange", so Stark.

Passive und aktive Sicherheit werden künftig stärker miteinander verschmelzen. Aber egal wie leistungsfähig Notbremssysteme und andere intelligente Unfallverhinderer werden – ohne den Schutz von Airbag, Gurt und Karosseriestruktur wird auch in Zukunft kein Auto auskommen.

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