Dem deutschen Mercedes-Vertrieb steht die nächste große Zäsur bevor. Der Autobauer prüft den Verkauf seiner Niederlassungen an private Investoren. Entsprechende Informationen aus Branchenkreisen bestätigte das Unternehmen am Freitagnachmittag in Stuttgart. AUTOHAUS hatte bereits vorab über die Pläne berichtet.
"Wir optimieren die traditionellen Vertriebsstrukturen kontinuierlich. Nach sehr guten Erfahrungen in verschiedenen europäischen Märkten prüfen wir nun auch in Deutschland, wie wir unsere konzerneigenen Niederlassungen eigenständiger aufstellen können", erklärte ein Mercedes-Sprecher gegenüber AUTOHAUS. Dabei sei auch ein Verkauf an erfahrene und renommierte Händlergruppen nicht ausgeschlossen.
Die Prüfung der Own Retail-Strukturen soll den Angaben zufolge ergebnisoffen und schrittweise erfolgen. "Jede Niederlassung wird individuell und niederlassungsspezifisch geprüft – dies gilt für alle Own-Retail-Betriebe in Deutschland, unabhängig ob in ländlichen oder städtischen Regionen", so der Sprecher weiter. Die Neuausrichtung geschehe aus einer Position der Stärke heraus, denn die Betriebe seien profitabel. Der physische Handel bleibe eine zentrale Säule für den Erfolg des Unternehmens.
Im Falle von Gesprächen mit möglichen Kaufinteressenten hat Mercedes klare Vorstellungen. Maßgebliches Kriterium soll "Best Ownership" sein – nur wer alle Voraussetzungen für den bestmöglichen Betrieb eines Autohauses nachweisen kann, kommt als potenzieller Erwerber in Frage. Dazu gehören Handelsexpertise, unternehmerische Kompetenz, wirtschaftliche Stärke, Investitionsbereitschaft, Zukunftsfähigkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber Arbeitnehmervertretungen.
Verkauf an Großinvestor oder Betriebsschließungen ausgeschlossen
Spekulationen, die Own-Retail-Standorte gesamthaft an einen Erwerber zu übergeben, erteilte der Autobauer eine Absage. Auch der Verkauf an reine Finanzinvestoren oder die Schließung von Standorten seien nicht Gegenstand der Überprüfung. Vielmehr wolle man die Vertriebs- und Service-Präsenz vor Ort stärken, hieß es.
Mercedes bildet sein deutsches Einzelhandelsgeschäft aktuell in mehr als 60 Niederlassungen ab. Die Betriebe sind in sieben Verbünde, sogenannte Vertriebsdirektionen, organisiert: Bayern (Augsburg, München, Nürnberg), Berlin, Nord (Bremen, Hamburg, Hannover, Lübeck), Rheinland (Aachen, Köln), Rhein-Main (u.a. Darmstadt, Frankfurt, Mainz, Mannheim), West (u.a. Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Wuppertal) und Württemberg (Stuttgart, Reutlingen, Ulm). In den werkseigenen Autohäusern werden nach Firmenangaben rund 8.000 Mitarbeitende beschäftigt.
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Mit Blick auf die Belegschaft unterstrich Mercedes-Benz seine soziale Verantwortung: "Bei einer möglichen Neuaufstellung wird es nicht zu Kündigungen kommen." Man wolle die Zukunftsfähigkeit der regionalen Arbeitsplätze langfristig schützen. Wegen der "Zukunftssicherung 2029" für Tarifmitarbeitende muss der Betriebsrat die Entscheidung mitgehen. Die Gespräche sollen nun beginnen.
Gesamtbetriebsrat: "Schlag ins Gesicht"
Der Gesamtbetriebsrat kritisierte die Pläne als "Schlag ins Gesicht" der Mitarbeiter. "Nach Jahren des Verzichts und damit einhergehend zahlreicher Zugeständnisse seitens der Beschäftigten sind die Niederlassungen profitabel und leisten ihren Beitrag zum Konzernergebnis", teilte Betriebsratschef Ergun Lümali mit. Die Pläne seien weder akzeptabel noch nachvollziehbar.
Gerade in Zeiten der Transformation bräuchten die Beschäftigten Rückhalt, Konstanz und Zuversicht. "Wir werden alles dafür tun, damit die Beschäftigten langfristige Garantien erhalten", sagte er. Sollte dies in Gesprächen mit dem Unternehmen nicht auf fruchtbaren Boden fallen, werde man Widerstand leisten.
Bereits in den Jahren 2014 und 2015 hatte der damalige Daimler-Konzern 63 seiner einst 158 Niederlassungen an unabhängige Händler veräußert (wir berichteten). 2021 stellten die Schwaben mehr als 25 eigene Autohäuser in England, Spanien und Belgien zum Verkauf. Der Hersteller verwies auf die positiven Erfahrungen in diesen Märkten: "Alle Betriebe sind weiterhin am Netz, die Kunden hervorragend betreut und die Belegschaft hat auch nach Betriebsübergang vertraglich vereinbarte Arbeitsplatzsicherheit."
Ernst